Bei diesem Werk handelt es sich um einen katholischen Altar. Dies lässt sich aufgrund der folgenden zwei Anhaltspunkte aufzeigen:
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Die Reformation erreichte Rochlitz erst im Jahr 1527.[1]
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Die rückseitige Epitaphfunktion nimmt Bezug auf einen Altaristen. (Altaristen arbeiteten ausschließlich für die katholische Kirche)
[Thiepold, cda 2014]
Die Abendmahlsdarstellung erinnert zunächst an reformatorisches Bildprogramm. Tatsächlich waren Abendmahlsdarstellungen im 16. Jh. jedoch sowohl in der protestantischen, als auch in der katholischen Kirche weit verbreitet.[2]
Die Tatsache, dass der Altar vornehmlich Szenen abbildet, die dem letzten Abendmahl zugehörig sind, ist recht ungewöhnlich. Zwar finden sich auch bei den protestantischen Altären Lucas Cranach d. Ä. Bildtafeln mit Abendmahlsszenen, wie beispielsweise beim Reformationsaltar in Wittenberg von 1547 oder dem Schneeberger Altar von 1539 [DE_WSCH_NONE-WSCH001F], doch erscheinen diese ausschließlich in einer Reihe von anderen biblischen Szenen. Dass sich das Hermsdorff-Retabel in seiner Festtagsansicht ausschließlich mit dem Tag bzw. Abend des Mahls beschäftigt, erscheint neu. Wenn dieser Altar im Auftrag eines Stifters zur Errettung des Seelenheils gemalt wurde, so steht das Bildprogramm in deutlicher Diskrepanz zur Liturgie einer Seelenmesse. Da ein Altarist, im Gegensatz zu einem Priester[3], nicht die Befugnis hatte, das Sakrament der Eucharistie zu feiern und gleichsam die Seelenmesse lediglich eine stille Andacht des Altaristen ohne Gemeinde beinhaltete[4], wirkt die Darstellung des Abendmahls, bezogen auf die Tätigkeiten des Altaristen, widersprüchlich. Ausgehend von diesem Wissensstand lassen sich drei Theorien ableiten:
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Der Stifter des Altars wünschte sich ausdrücklich, dass die Szenen des Abendmahls auf seinem Altar abgebildet werden, weil der Altarist die Eucharistie nicht zelebrieren durfte und er zumindest das damit verbundene Sakrament im Bildprogramm festgehalten haben wollte. Vielleicht sollte die Abendmahlszene zudem an das Viaticum, die Wegzehr, erinnern, welche der Sterbende in der Stunde des Todes erhielt.[5]
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Der Stifter wünschte sich, dass der Altarist trotz der eingeschränkten Befugnisse hier eine Heilige Messe, also auch das Abendmahl, feierte.
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Hermsdorff stiftete diesen Altar zu Lebzeiten und ließ das Abendmahl darauf abbilden, weil er als Altarist nie das Sakrament der Eucharistie zelebrieren durfte. Das Bildprogramm zeigt somit, was er im Leben nicht erreichte, sich jedoch sehnlich wünschte.
[Vgl. Thiepold 2013, 38-39]
Dass der Altar zunächst einem anderen Zweck diente, ist auszuschließen. Aufgrund seiner mäßigen Größe und der Tatsache, dass ein Epitaphaltar in der Regel gestiftet werden musste, damit vor ihm zu Ehren des Stifters Seelenmessen abgehalten werden konnten, ist auszuschließen, dass der Altar zunächst als Hauptaltar einer Kirche fungierte.
[Vgl. Thiepold 2013, 39]
Es ist aufgrund mehrerer Indizien davon auszugehen, dass die Epitaphseiten nachträglich zum Tode des Ambrosius Hermsdorff, wohl im Jahr 1521, gemalt wurden. Dafür spricht zunächst die Epitaphinschrift, die besagt, dass Hermsdorff Altarist dieses Altars war. Dies würde bedeuten, dass das Retabel bereits zuvor existiert haben muss. Man könnte auch davon ausgehen, dass mit der Aussage „dißes Altars“ [Thiepold 2013, 36] nicht das Altarretabel, sondern die Altarmensa gemeint war, die wohl seltener ausgetauscht wurde. Wahrscheinlicher erscheint jedoch, wie im anschließenden noch aufgezeigt wird, die nachträgliche Bemalung der Epitaphseite bzw. Altarrückseiten. Auch der wohl damalige und heutige Aufstellungsort des Altars spricht für den nachträglichen Zusatz der Epitaphseite. Da es sich wohl um einen Seitenaltar handelt, konnte dieser aufgrund der architektonischen Voraussetzungen in der Kunigundenkirche nur so aufgestellt werden, dass die Rückseite des Altars an der Wand des nördlichen Seitenschiffs stand. Es scheint ganz so, als habe man in Kauf genommen, dass die Epitaphinschrift lediglich auf der Rückseite zu sehen ist und nicht von jedermann immerwährend gelesen werden konnte. Dies lässt die Vermutung zu, dass Hermsdorff nicht der eigentliche Stifter beziehungsweise Auftraggeber des Altars war, sondern er als Altarist dieses Altars lediglich die Möglichkeit hatte, seine Epitaphinschrift und sein Abbild auf der Mitteltafelrückseite hinterlassen zu dürfen.
[Vgl. Thiepold 2013, 41-42]
Es besteht eine deutliche Diskrepanz im malerischen Duktus zwischen den Vorder- und Rückseiten des Epitaphaltars. Dies lässt sich zunächst deutlich am Faltenstil der Gewänder aufzeigen. Es scheint ganz so, als habe der Maler der Epitaphseite, den Maler der eventuell bereits zuvor existierenden Bildfelder imitiert. Die Darstellungen der Wege mit Gräsern und Steinen wirken ähnlich, sind auf den Altarrückseiten jedoch von schlechterer malerischer Qualität. Auch die Physiognomien der Engel erinnern an den typischen markanten Stil des Pflockschen Meisters, erinnern jedoch gleichsam wenig, an die Cranachschule.
[Vgl. Thiepold 2013, 49-65]
Wie bereits im obigen Abschnitt erläutert, sind die Kopfformen und Physiognomien auf den Altarinnenseiten in typischer Manier des Pflockschen Meisters gemalt. Die Gesichter sind überlang dargestellt, die Stirn extrem hoch. Die Köpfe sind meist schmal und lang, wogegen die Schädeldecke kugelförmig erscheint. Dies lässt sich besonders bei der Darstellung des Judas in der Abendmahlsszene aufzeigen. Es muss an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich dieses Bildfeld stark an Dürers Abendmahlsszene aus der Kleinen Passion orientiert, auf welcher die Physiognomien gleichsam ein wenig eigentümlich erscheinen. Neben den Physiognomien sind auch Körperhaltung und Faltenwürfe äußerst charakteristische Merkmale in den Gemälden des Pflockschen Meisters. Das Knie des Spielbeins tritt bei den Dargestellten häufig aus der Kontur des Gewandes hervor. Dabei sitzt die Kniescheibe zu tief, sodass der Oberschenkel deutlich zu lang erscheint. Besonders bei Jakobus in der Ölbergszene und Christus in der Fußwaschungsszene wird deutlich, dass der Maler Schwierigkeiten hatte, den Übergang vom Kopf zur Hals-Nacken-Partie anatomisch korrekt wiederzugeben.
[Vgl. Thiepold 2013, 51-62]
Innerhalb des Retabels lassen sich unterschiedliche malerische Qualitäten aufzeigen. Die Außenseiten der Altarflügel, die Johannes den Täufer und den heiligen Erasmus zeigen, sind von deutlich besserer Qualität, als die übrigen Bildfelder. Dies lässt die Vermutung zu, dass diese vom Meister selbst gemalt wurden. Die Bildfelder der Abendmahlsvorbereitungen und des Abendmahls könnten eventuell von Meister und Werkstattmitarbeiter gemalt worden sein. Die Bildfelder mit den Darstellungen des Ölbergs und der Fußwaschung könnten aufgrund ihrer stilistischen Differenzen zu den übrigen Altarvorderseiten von einem Werkstattmitarbeiter des Pflockschen Meisters entstanden sein. Die Rückseite des Altars, die Epitaphseite, ist eventuell ebenfalls von einem Werkstattmitarbeiter gemalt worden.
[Vgl. Thiepold 2013, 70], [Thiepold, cda 2014]
Die Verbindung zu Dürers Werk lässt sich, abgesehen von der Abendmahlsszene, auch für eine weitere Darstellung des Retabels, die Ölbergszene, belegen. Hier übernimmt der Maler nahezu identisch Dürers Anordnung und Wiedergabe der Apostel Petrus, Johannes und Jakobus aus der Ölbergszene der Kupferstich-Passion von 1508[6].
[Vgl. Thiepold 2013, 44]
[1] Vgl. Heine, Samuel Gottlieb, ed., Historische Beschreibung der alten Stadt und Grafschaft Rochlitz in Meißen, Leipzig (1719) 161
[2] Vgl. Harbison, Craig, ‘The northern altarpiece as a cultural document’, in P. Humfrey, M. Kemp, The altarpiece in the Renaissance, Cambridge (1990) 49-75
[3] Vgl. Kasper, Walter, ‘Skandal einer Trennung - Offene Kommunion als Zeichen der Hoffnung’, In: Publik-Forum, Heft 45 (1970) 23
[4] Vgl. Sander, Kai Gallus, Email an Laura Thiepold, 21.08.2013, verfasst von Prof. dr. theol. Kai Gallus Sander (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Campus Paderborn)
[5] Vgl. Angenendt, Arnold, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 2. Aufl., Darmstadt (2000) 668
[6] Vgl. Schoch, Rainer et al.: Albrecht Dürer - Das druckgraphische Werk, Bd. 1, Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter, München (2001) 131