Wenn auch anfangs etwas zögernd, so war es doch Max. J. Friedländer, der diese Tafel mit Lucas Cranach dem Älteren in Verbindung brachte.[1] Er führte aus, dass die langen Schwünge und ausgeprägten Verschattungen des Kopfes vergleichbar zu denen auf den Bildnissen des Altars der Heiligen Sippe von 1509 (Städel Museum, Frankfurt) seien und vermutete, die Tafel könnte während Cranachs Reise in die Niederlande 1508 entstanden sein.[2] Seit der Zeit von Friedländers und Jakob Rosenbergs 1932 erschienene Monographie bestand kein Zweifel an dieser Zuschreibung.[3]
1966 vermutete Dieter Koepplin erstmals in diesem Bildnis das Gegenstück zum Porträt einer betenden Frau, einer Tafel, die auf der Rückseite ebenfalls eine Grisailledarstellung einer Heiligen in einer Nische, der hl. Katharina von Alexandrien, zeigt [CH_KHZ-KMB_Dep24].[4] Abgesehen von dem Umstand, dass das weibliche Bildnis am unteren Rand 5 cm beschnitten ist, besitzen die beiden Tafeln die gleichen Abmessungen. Auch der grüne Hintergrund ist ähnlich, wenn auch bei den beiden Tafeln unterschiedlich erhalten.[5] Sehr wahrscheinlich gab es eine Mitteltafel mit der doppelten Breite jeder Bildnistafel. Wurden diese geschlossen, waren die Grisaillemalereien zu sehen.[6]
Diese beiden Heiligen, möglicherweise ebenfalls von der Hand Cranachs,[7] sind wahrscheinlich die Namenspatrone der beiden Dargestellten, namentlich also möglicherweise Peter (?) und Katharina.[8] Andere Hinweise zur Identifizierung finden sich beim Gewand der Frau, die eine Haube niederländischer Art trägt, und dem Ring des Mannes, welcher das Wappen des niederländischen Familie Six van Hillegom oder Six van Oterleek zeigt.[9] Weiterhin ist bemerkenswert, dass die Tafel aus baltischer Eiche besteht, einer üblichen Holzart für Bildträger aus den Niederlanden, die aber innerhalb des Werks Cranachs sehr selten auftritt.[10] Diese Aspekte, zusammen mit einem möglichen Verwendungszusammenhang eines für die Niederlande typischen Triptychons, legen die Vermutung nahe, dass die Dargestellten aus den Niederlanden stammen und die Tafel dort gemalt wurden. Aber wann und wo genau mag dies geschehen sein? Cranach besuchte die Niederlande 1508, möglicherweise für politische und geschäftliche Angelegenheiten im Namen des Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen. Laut Walther Scheidig könnte er auch schon früher dorthin gereist sein, nämlich 1506.[11] Zwei Zahlungen an Cranach und einen anderen Maler namens „maistre Christoffele“ sind 1508 für unbestimmte Arbeiten in Malin im Auftrag von Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande, belegt. Diese zeigen Cranachs Verbindungen in die höchsten höfischen Kreise.[12] Werner Schade und Dieter Koepplin weisen beide auf die starken niederländischen Einflüsse in Cranachs Werken nach 1509 hin[13], und Bodo Brinkmann beobachtet korrekt, dass Cranachs wachsendes Einfühlungsvermögen bei Porträts unmittelbar von der Kenntnis großer niederländischer Maler wie Jan van Eyck oder Quentin Metsys herrührt.[14] Die wenigen gemalten Bildnisse Cranachs aus dem 1509 liefern unzureichendes Material für einen stilistischen Vergleich[15], aber, wie Friedländer schon früh ausführt, bestehen Bezüge zum Altar der Heiligen Sippe.[16] Vor allem aber die für Cranach typische Maltechnik und Farbauftrag sichern die Zuschreibung ab. Im Gesamten betrachtet weisen die aufgeführten Beweise deutlich darauf hin, dass Cranach das vorliegende Bildnis und sein Gegenstück während seiner Reise in die Niederlande 1508 malte.
[1] Friedländer 1916, Sp. 132.
[2] Friedländer 1919, S. 84.
[3] Friedländer und J. Rosenberg 1932, S. 39. Zuletzt folgten dieser Zuschreibung: Bodo Brinkmann in Frankfurt und London 2007 – 8, S. 138, Nrn. 12, 13; Guido Messling in Brüssel und Paris 2010 – 11, S. 138, Nr. 60.
[4] Koepplin, unpublizierte Einschätzung, 12. August 1966 (Werkakte, Department of European Paintings, MMA). Koepplin veröffentlichte diese Beobachtung 1972, S. 347, und wurde später darin von Angelica Dülberg (1990, S. 85, 261) gestützt. Schon 1919 nahm Friedländer (S. 85) an, dass das Bildnis in Zürich mit einem Männerbildnis als Diptychon oder Teile eines Triptychons zusammen gehören müsse, konnte dies aber nicht identifizieren. Die 1978er Ausgabe von Friedländer und Rosenberg berücksichtigte leider Koepplins Beobachtung nicht; sie datiert das Züricher Bildnis um 1508 – 10 und das andere um 1510 – 12 (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 74, Nr. 27).
[5] Der Hintergrund des Metropolitan-Bildnisses zeigt sich in dstumpferem, dunkleremunkleren Grün als das Bildnis aus Zürich, das eine kühlere Temperatur der gleichen Farbe besitzt. Dies ist wahrscheinlich auf unterschiedliche Erhaltung und Restaurierung zurückzuführen nachdem diese getrennt wurden.
[6] Versuche die mittlere Tafel ausfindig zu machen blieben erfolglos. Koepplin (in Basel 1974, Bd. 2, S. 682) vermutet als mögliche Vorlage eine halbfigurige Darstellung von Maria, Christus und dem hl. Johannes wie im Braque-Triptychon Rogier van der Weydens (Musée du Louvre, Paris).
[7] Koepplin (in Basel 1974, Bd. 2, S. 682 – 83) bringt die Grisailledarstellungen mit Holzschnitten des Wittenberger Heiltumsbuch von 1509 in Verbindung (vgl. Basel 1974, Bd. 1, S. 417, Abb. 233) sowie die entsprechenden Heiligen auf den Außenflügeln des Altars des Katharinenmartyriums von 1506 (National Gallery, London, Mitteltafel und Vorderseiten der Flügel in Dresden).
[8] Maryan W. Ainsworth in New York 1993, S. 55.
[9] Wehle und Salinger 1947, S. 200.
[10] Heydenreich 2007b, S. 48. Heydenreich führt außerdem aus, dass die breite Fase auf der Rückseite ebenfalls bei vielen niederländischen Tafeln des 16. Jahrhunderts auftritt (Heydenreich 2002, Bd. 1, S. 35 und Anm. 46) und zitiert Wadum 1998, S. 160 – 61.
[11] Scheidigs Vermutung basiert auf Dokumenten aus dem Weimarer Staatsarchiv. Vgl. Scheidig 1972, S. 301. Die Reise in die Niederlande ist vor allem durch Christoph Scheurls Lobrede auf Cranach bekannt, gehalten am 16. Dezember 1508 und 1509 gedruckt (für eine deutsche Übersetzung des lateinischen Textes siehe Lüdecke 1953, S. 51). Scheidig bezweifelt jedoch, dass Cranach während der Reise als Maler aktiv war (Scheidig 1972, S. 302). Zur Reise selbst vgl. Koepplin 2003b, 4.2, “Warum reiste Cranach 1508 in die Niederlande?,” besonders S. 60 – 67; Schade 2007; Borchert 2010a.
[12] Vgl. Duverger 1970, S. 9; Schade 1974, S. 28, 404, Nr. 52. Das Dokument befindet sich in Lille, Départementales du Nord, Namelijk van de Rekeningen van Margareta van Oostenrijk, Gehouden door haar Tresorier Diego Flores, B 19167 Bl. 53.
[13] Schade sah diesen Einfluss vor allem bei Druckgraphiken nach 1509 sowie bei den Grisailleflügeln des Altars der Heiligen Sippe, der 1509 in Wittenberg gemalt wurde (Schade 1980, S. 28), und vermutet, dass Cranach möglicherweise Hieronymus Bosch oder eher noch Quentin Metsys in Antwerpen getroffen habe (Schade 1980, S. 30). Koepplin erkennt den Einfluss von Jan Joests Kalkarer Altar auf Cranachs Holzschnitt „Der Verrat an Christus“ von 1509 (Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 472 – 73). Obwohl er sich mit einem Vergleich zwischen dem Jüngsten Gericht von Bosch und Cranach beschäftigt, geht Dirk Bax nicht auf Cranachs Reise in die Niederlande ein (vgl. Bax 1983). Jozef Duverger bezweifelte jeglichen diplomatischen Hintergrund von Cranachs Reise (vgl. Duverger 1970, besonders S. 8 – 13). Laut Franz Matsche (1996, S. 38, Anm. 39) stamme die Vorstellung, dass Cranach als Diplomat für Friedrich den Weisen tätig war von Heinrich Lilienfein (1942, S. 21).
[14] Brinkmann in Frankfurt und London 2007 – 8, S. 138, Nr. 12, 13.
[15] Weitere Beispiele sind das Diptychon Johann des Beständigen und seines Sohns Johann Friedrich (National Gallery, London), das Bildnis Christoph Scheurls (Privatsammlung, Nürnberg),und jenes Georg Spalatins (Museum der Bildenden Künste Leipzig). Die beiden letztgenannten sind schlecht erhalten und stark restauriert.
[16] Friedländer 1919, S. 84.
[Ainsworth, Cat. New York 2013, 45, 46, 284, No. 8]