Nachdem es 1965 entdeckt wurde, ordnete es Dieter Koepplin einer Gruppe von kleinen Rundbildern von Lucas Cranach dem Älteren zu, die verschiedene biblische, Mythologische, historische und bildnishafte Bildgegenstände zeigten.[1] Beispiele italienischer Medaillen und Rundplaketten zusammen mit den Werken des Medalisten Hans Schwarz in Augsburg und Nürnberg mögen Cranach dazu inspiriert haben das Rundformat zu wählen.[2] Das Auftreten solcher Gemälde scheint auf wenige Jahre beschränkt zu sein; die datierten Tafeln stammen fast alle aus dem Jahr 1525, keine ist später als 1527.[3] Auch wenn die vorliegende Tafel keine Jahreszahl trägt, gehört sie doch zum gleichen Zeitraum.[4] In Entwurf und Ausführung steht die Venus der Eva im Sündenfall-Tondo von 1525 sehr nahe. Ebenso vergleichbar sind die kreuzweisen Ritzungen jenseits der bemalten Fläche, die wohl hinzugefügt wurde um einer Rahmung genug Halt geben zu können.[5] Einen weiteren Beleg für die Datierung liefert Cranachs "Venus und Cupido" im rechteckigen Format, datiert auf 1525, in Compton Verney, Warwickshire. Die Tafel, die Cupido auf einem Stein sitzend zeigt, besitzt eine vergleichbare Komposition.[6]
Das karge Umfeld stammt aus Cranachs erster Behandlung des Themas, einer großformatigen "Venus und Cupido"-Darstellung von 1509 (Eremitage, St. Petersburg).[7]
Bemerkenswert am vorliegenden Tondo ist die sichere, effiziente und scheinbar schnelle Pinselführung. Die Schnelligkeit der Ausführung scheint daran abzulesen zu sein, dass die Farbe, die zur Anlage der Inkarnate genutzt wurde über die Konturen der Figuren hinausreicht, wie es in der Röntgenaufnahme sichtbar wird. Wie in der Cranach-Werkstatt üblich, wurden anschließend die Konturen unter Zuhilfenahme der dunklen Hintergrundfarbe definiert. Diese reicht an den Rändern in den Bereich der Inkarnate hinein.[8] Die Inkarnate wurden mit dünnen, ökonomischen Lasuren ausgeführt und die Binnenzeichnung wurde mit kleinem Pinsel in Braun gezogen. Die Umsetzung der komplexen uns visuell überzeugenden Formen bei minimalem Aufwand, augenscheinlich mit hoher Geschwindigkeit gemalt, stützt eine Zuschreibung an Cranach selbst.
Die Ikonografie von Venus und Cupido beim vorliegenden Werk weist einen Wechsel gegenüber Cranachs frühsten Versionen des Themas auf. Die Version von 1509 und ein Holzschnitt aus dem gleichen Jahr zeigen Cupido bewaffnet und seinen Bogen spannend. Venus mäßigte ihn mit einer Geste der rechten Hand und transportiert damit eine Botschaft der Mäßigung gegenüber körperlichen Begehren.[9] Beim St. Petersburger Gemälde wird diese Mäßigung auch mit einer Inschrift unterstrichen.[10] Spätere Versionen verzichten auf die mäßigende Geste der Venus. Bei der vorliegenden Version sowie bei anderen wie den Versionen aus Stockholm (um 1520-25) und Berlin (um 1530) drückt sich die Dominanz der Venus durch die Nichtbeachtung des Cupido aus.[11] Bei der vorliegenden Tafel ist dies zusätzlich mit ihrem Blick in die von Cupido abgekehrte Richtung betont. Dass ihre Distanziertheit ihren Sohn entwaffnet hat, legt die Abwesenheit von Pfeil und Bogen nahe. Seine Hand zum Gesicht hin erhoben und die Lippen leicht geöffnet, scheint Cupido vergeblich nach der Aufmerksamkeit seiner Mutter zu rufen. Hier ist die moralisierende Botschaft der Fassung von 1509 weniger betont, dafür wird der Betrachter durch die Nonchalance der Venus und die Bestürzung des Cupido unterhalten. Die Leichtigkeit und der Humor der Szene bilden eine Einheit mit der kleinen Format der Tafel, die eine Betrachtung aus nächster Nähe erfordert. Nur bei Tafeln, die Venus mit Cupido als Honigdieb - einem beleibten Thema, das ab 1526 auftritt - zeigen, führt Cranach wieder eine moralisierendes Element in seine "Venus und Cupido"-Darstellungen ein.[12]
[1] Koepplin in Basel 1974, Bd. 1, S. 275-80, 295, 296-97, Nrn. 177-78, 182-83, 184, 185, 186, Tafel 9, Abb. 139-41, 143-50, Bd. 2, S. 642, 775-76, Anm. 78. Die folgenden Beispiele sind bekannt: Sündefall, 1525, Kurpfälzisches Museum, Heidelberg; Judith mit dem Kopf des Holofernes und zwei Beglieterinnen, 1525, Gustav Rau Collection, UNICEF Germany, Dauerleihgabe des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, Remagen; Jungfrau und Kind, 1525, Wittelsbacher Ausgleichsfonds, Schloss Berchtesgaden (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 101, Nr. 158); Martin Luther und Katharina von Bora, 1525, Kunstmuseum Basel (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 107, Nrn. 187-88, 189A, B, E, 190A, B, E); Friedrich III., der Weise, 1525, und Johann I., der Beständige, 1525, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 105, Nrn. 179D-E); Kardinal Albrecht von Brandenburg, 1526, Privatsammlung; Idealbildnis einer Frau, 1527 (Jahreszahl evtl. geändert von 1525: vgl. Anm. 5), Staatsgalerie Stuttgart (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 104, Nr. 174); Quellnymphe, ca. 1525-27, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Coburg (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 116, Nr. 232C); Lucretia, ca. 1525-27, ehemals Sammlung Grigori Stroganov, Rom (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 117, Nr. 240E); Idealbildnis einer Frau, ca. 1525-27, Musée Granet, Donation J.-B.de Bourguignon, Aix-en-Provence (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 104, Nr. 171B).
[2] Koepplin in Basel 1974, Bd. 1, S. 276, 278, Bd. 2, S. 654, unter Nr. 566; Schwarz-Hermanns 2007, S. 128-30. Zu Cranach möglichen direkten Kenntnis italienischer Medaillen vgl. Armin Kunz und Guido Messling in Brüssel und Paris 2010-11, S. 151-53, Nrn. 85-88 (mit Angaben zur ältere Literatur). Eine Medaille mit Venus und Cupido, Moderno zugeschrieben (vgl. Bange 1922, Nr. 501, Abb.; Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 654, Nr. 566), existiert zwar, liefert aber keine Vorlage für die Komposition des Gemäldes. Zu Hans Schwarz, vgl. Kastenholz 2006. Zur Diskussion des Aufstiegs der Medaille in Deutschland vgl. Grotemeyer 1957; J. C. Smith 1994, S. 270-303, 321-57; J. C. Smith 2004. Zum Sammeln von Medaillen vgl. J. C. Smith 1994, S. 303-16; Lewis 2008, S. 129-35. Douglas Lewis teilte dem Autor freundlicherweise mit (E-Mail, 14. Februar 2008, Werkakte, Department of European Paintings, MMA), dass das Motiv der Steinplinthe von einer Bronzemedaille mit einem schlafenden Cupido stammen könnte (Vizentiner-Meister von 1507, dazu Lewis 2008, S. 130-32, Abb. 3.
[3] Die Jahreszahl 1527 auf dem Bildnis einer Frau in der Staatsgalerie Stuttgart könnte von 1525 geändert worden sein, vgl. Koepplin in Basel 1974, Bd. 1, S. 296-97, Nr. 184; Rettich, Klapproth, und Ewald 1992, S. 95-96, Abb.
[4] Die Datierung um 1530 bei Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 119, Nr. 249, ist zu spät angesetzt.
[5] Solche Ritzungen finden sich bei anderen Beispiele, etwa bei der Quellnymphe in Coburg (Abb. bei CDA ID/Inv. No. DE_KSVC_M161, im Cranach Digital Archive, http://www.lucascranach.org/digitalarchive.php [letzter Zugriff 2. Mai 2012]) und bei der Lucretia, ehemals in der Sammlung Grigori Stroganov (Fotografie in der Sperling-Akte, Department of European Paintings, MMA).
[6] Vgl. Jeremy Warren in Compton Verney 2010, S. 56, Nr. 25, Abb.
[7] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 72, Nr. 22, Abb.; Bierende 2002, S. 217-19.
[8] Vgl. Heydenreich 2007b, S. 207-8.
[9] Zum Holzschnitt vgl. Hollstein 1954-, Bd. 6 (1959), S. 81, Nr. 105; Koepplin in Basel 1974, Bd. 1, Tafel 15, Bd. 2, S. 644-50, Nr. 555; Armin Kunz in Brüssel und Paris 2010-11, S. 187-88, Nr. 96, Abb. Die Jahreszahl 1506 wird allgemein als bewusste Vordatierung des Künstlers angesehen um die Erfindung der Chiaroscuro-Technik für sich behaupten zu können.
[10] "Pelle cvpidineos toto conamine lvxvs / Ne tua possideat pectora ceca venvs" (zitiert nach Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 72, Nr. 22).
[11] Zu Stockholmer Tafel vgl. Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 654-55, Nr. 567, Abb. 320; Görel Cavalli-Bjorkman in Stockholm 1988, S. 66, Nr. 50, Abb. Zum Berliner Beispiel vgl. Friedländer und J. Rosenberg 1978, Nr. 241, Abb.
[12] Das erste Beispiel der zahlreichen Tafeln dieses Themas von 1526 befindet sich in der National Gallery, London (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 119, Nr. 246L; Caroline Campbell in London 2007, S. 80-83, Nr. 2, Abb.). Mary Sprinson de Jesús (in Baetjer et al. 1986, S. 159) merkte an, dass der erhobene Arm des Cupido von einer Honigdieb-Komposition stammen könnte, wo er mit dem Arm die Bienen verjagt.
[Cat. New York 2013, 52, 53, 285, 286, no. 10]