Der Holzschnitt I.5D1 gehört zu den vier Hans Baldung Grien zugeschriebenen Luther-Bildnissen, die allesamt in Druckschriften Verwendung fanden.[11] Er zeigt Luther auf einer Grasnarbe stehend im Ordenshabit, mit Tonsur, ein großes Buch quer mit beiden Händen haltend. Vermutlich formuliert Hans Baldung Grien bei dieser frontal symmetrischen Darstellung erstmals die später
Der Holzschnitt I.5D1 gehört zu den vier Hans Baldung Grien zugeschriebenen Luther-Bildnissen, die allesamt in Druckschriften Verwendung fanden.[11] Er zeigt Luther auf einer Grasnarbe stehend im Ordenshabit, mit Tonsur, ein großes Buch quer mit beiden Händen haltend. Vermutlich formuliert Hans Baldung Grien bei dieser frontal symmetrischen Darstellung erstmals die später von ihm variierte denkmalähnliche Erscheinung Luthers (I.5D2).[12]
Die mit „Matthias Gnidius“[1] pseudonymisierte Druckschrift a) Murnerus Leviathan Vulgo dictus Geltnar sowie der wohl zeitnah entstandene Nachdruck b) gleichen Namens nutzen den Holzschnitt I.5D1 erstmals. Undatiert und unfirmiert werden beide Drucke vornehmlich Johann Schott zugeschrieben; der Erstdruck ist nach 13. Januar 1521[2] zu datieren, sodass der Holzschnitt kurz vorher anzusetzen ist. Die Darstellung wird in beiden Drucken mit lateinischen Versen und einem weiteren Holzschnitt kombiniert. Der mittig mit Majuskeln als „LVTERVS.“ bezeichnete Mönch steht siegreich über dem Franziskaner Thomas Murner, der mit einem monströsen Katzenkopf[3] und einem Drachenschwanz versehen, liegend, in eine Kutte gekleidet, Feuer speit und ein Kleidungsstück – wohl eine Unterhose – in den vorderen Klauen hält.[4] Die gesetzten, lateinischen Verse verleihen der bildlichen Kompilation zusätzlich eine apokalyptische Aufladung. In beiden Drucken wird die Kombination der beiden Holzschnitte durch weitere Textillustrationen ergänzt.
Die dritte und vierte Nutzung c) und d) des Holzschnitts bilden zwei lateinische Drucke der Flugschrift Passio Doctoris Martini Luther, für die zumeist Hermann von dem Busche als Verfasser angenommen wird und die Straßburger Offizinen (vorrangig Johann Prüss und nachrangig Johann Schott) zugeschrieben werden. Die minimalen Abweichungen des formalen Aufbaus, die Schilling als Urdruck und dessen fehlerhaften Nachdruck versteht,[5] lassen vermuten, dass es sich bei beiden Drucken um die gleiche Offizin handelt. Bei beiden Drucken ist der Holzschnitt auf der letzten Seite mit einer lateinischen, in Majuskeln geschriebenen Umschrift versehen, die im Uhrzeigersinn den Lesefluss vorgibt und wie folgt lautet: „LVTHERVS PASSVS || EST SVB PAPISTIS ||RESVRREXIT || IN PECTORIBVS CRISTIANIS [sic].“ Die Formulierung legt nahe, dass zur Zeit der Drucklegung noch nicht allgemein bekannt war, dass Luther nach seinem Verschwinden auf dem Rückweg vom Reichstag zu Worms überlebt hatte.
Die fünfte Nutzung des Holzschnitts I.5D1 findet sich e) in der vermutlich ersten deutschen Übersetzung der Passion D. Martin Luthers, die verschiedenen Straßburger Offizinen, vor allem Johann Prüss, zugeschrieben wird[6] und auf nach Mai 1521 datiert werden kann. Das Bildnis ist auf dem Titelblatt recto abgedruckt.
Die auf Ende Mai 1522 zu datierende Druckschrift f) Von Menschen Lehren zu meiden bietet die sechste Verwendung dieses Holzschnitts. Übereinstimmend werden in der Literatur die Erben Reinhard Becks d. Ä. als Offizin angenommen.[7] Das Bildnis wird, anders als bei den vorherigen Nutzungen, ohne ergänzende Holzschnitte oder Texte auf der letzten Seite der Schrift abgedruckt.
Demnach wurde der Holzschnitt I.5D1 wahrscheinlich erstmals in der Offizin Johann Schott verwendet und dann an andere Straßburger Offizinen weitergereicht. Die verschiedenen Kombinationen mit anderen Holzschnitten sowie Textbeigaben verleihen dem an sich neutralen Holzschnitt jeweils heroisierende Tendenzen.
Verwendung in Druckschriften:
a) DIALOGI || Murnarus Leuiathan || Vulgo dictus, Geltnar/ oder || Genß Prediger.|| ... Raphaelis Musaei in gratiam Marti || ni Lutheri, & Hutteni, pro/ || pugnatorum || Christianae & Germanicae || libertatis, ad Osores Epistola. || Auctio Luthero || Mastigum || Dial. recens illis || additus.||
VD16 M 7111
Erscheinungsdatum: vor 13. Januar 1521 [KKL 2022]
Offizin: Johann Schott [VD16; Kaufmann 2012, S. 391ff.]
Position im Buchverbund: 11v
b) Murnarus Leuiathan || Vulgo dictus, Geltnar/ oder || Genß Prediger.|| ... Raphaelis Musaei in gratiam Marti || ni Lutheri, & Hutteni, pro/ || pugnatorum Chri/||stianae & Germa || nicae liber/ || tatis,|| ad Osores Epistola.||
VD16 M 7112
Erscheinungsdatum: Jahresbeginn 1521 [KKL 2022]
Offizin: [Johann Schott] [VD16; Ch. Schmidt, Repertoire Bibliographique Strasbourgeois vers 1530, 11 Nr. 62; Clemen 1903, S. 18]
Position im Buchverbund: 14v
c) PASSIO || DOCTORIS MARTHINI || LVTHERI SECVN- || DVM MARCEL- || LVM. || DIALOGVS || KARSTHANS ET || KEGELHANS.|| [8]
VD16 B 9928
Erscheinungsdatum: zwischen August 1521 und Ende September 1521 [KKL 2022]
Offizin: Johann Prüss [VD16; Ufer 1981, S. 452]; Johann Schott [Pegg 1983, S. 365, Nr. 2919; Kaufmann 2012, S. 390f.][9]
Position im Buchverbund: letzte Seite
d) PASSIO || DOCTORIS MARTHINI || LVTHERI SECVN- || DVM MARCEL- ||LVM. || || DIALOGVS || Karsthans: & Kegelhans. ||[10]
VD16 B 9929
Erscheinungsdatum: nach August 1521 [KKL 2020]
Offizin: Johann Prüss [Schilling 1989, S. 11ff]; Johann Schott [Kaufmann 2012, S. 389f.]
Position im Buchverbund: 8r (letzte Seite)
e) Passion. D. Mar= || tins Luthers / oder seyn lydung || durch Marcellum beschriben. || Zweyer bauren redt.|| Karsthans.|| Kegelhans.||
VD16 B 9935
Erscheinungsdatum: nach Mai 1521 [KKL 2022]
Offizin: Johann Prüss [vgl. allgemein Schilling 1989, S. 14; Kaufmann 2012, S. 392]; Johann Knobloch [Pegg 1983, S. 3867]
Position im Buchverbund: A1r
f) Von menschen || leren zuo myden. || D. Martinus Luther. || Vittemberg.||
VD16 L 7286; Benzing 1186
Erscheinungsdatum: „Getruckt im jar nach der geburt || Christi. M. D. xxij.“ [Impr., 11v]; nach 29. Mai 1522 [KKL 2022]
Offizin: Beck, Reinhard d. Ä. (Erben) [VD16; Benzing]
Position im Buchverbund: 12r (letzte Seite)
Amalie Hänsch, Thomas Klinke
[1] Nikolaus Gerbel oder Crotus Rubenaus werden als mögliche Verfasser genannt, vgl. z. B. Ausst.-Kat. Nürnberg 1983, Nr. 284, S. 225; gegen Nikolaus Gerbel argumentiert Kaufmann 2012, S. 302.
[2] Vgl. Kaufmann 2012, S. 392.
[3] Ein bekanntes Spottbild auf die Gegner Luthers zeigt fünf altkirchliche Vertreter in Tiergestalt, unter denen auch Thomas Murner als Kater zu finden ist (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. HB 15079); vgl. Scribner 1981, S. 26, Abb. 18.
[4] Vgl. Kaufmann 2012, S. 392.
[5] Vgl. Schilling 1989, S. 11–12.
[6] Vgl. allgemein Schilling 1989, S. 14; Kaufmann 2012, S. 392.
[7] Vgl. VD16 L 7286; Benzing 1186.
[8] Nach Schilling handelt es sich um den ersten lateinischen Druck (vgl. Schilling 1989, S. 11).
[9] Kaufmann schreibt die lateinsprachigen nicht-firmierten Drucke der Offizin Schott, die deutschsprachigen nicht-firmierten Drucke der Offizin [Prüß] zu (vgl. Kaufmann 2012, S. 389f).
[10] Nach Schilling 1989, S. 12 fehlerhafter Nachdruck von B9928.
[11] Vgl. I.2D2, I.3D1, I.5D2.
[12] Vgl. die großen Gemeinsamkeiten zu dem kurze Zeit später entstandenen, ebenfalls Hans Baldung Grien zugeschriebenen Holzschnitt I.5D2; anders Ausst.-Kat. Karlsruhe 2019, S. 420; Ausst.-Kat. Nürnberg 1983, S. 226, Nr. 284.
Quellen / Publikationen:
Merker 1923, S. 32f.; Ausst.-Kat. Nürnberg 1983, S. 225f.; Ausst.-Kat. Hamburg 1983b, S. 155, Nr. 29; Muller 1985, S. 81, Nr. 95f.; Kaufmann 2012, S. 391ff.
- Zuschreibungen
-
Hans Baldung Grien, Inventor*in
nach Hans Baldung Grien(?), Inventor*in
Zuschreibungen
Hans Baldung Grien, Inventor*in | [KKL 2022] |
nach Hans Baldung Grien(?), Inventor*in | [Ausst.-Kat. Hamburg 1983b, S. 155, Nr. 29] |
- Datierungen
- vor 13. Januar 1521
Jahresbeginn 1521
Datierungen
vor 13. Januar 1521 | "Dialogi Murnarus Leviathan", [VD16 M 7111] |
Jahresbeginn 1521 | "Dialogi Murnarus Leviathan", [VD16 M 7112] |
zwischen August 1521 und Ende September 1521 | "Passio doctoris Martini Lutheri", [VD16 9928] |
nach August 1521 | "Passio Doctoris Marthini Lutheri secundum Marcellum", [VD16 L 9929] |
nach Mai 1521 | "Passion Doktor Martin Luthers oder sein Leidung", [VD16 B 9935] |
nach 29. Mai 1522 | "Von Menschen Lehren zu meiden", [VD16 L 7286] |
- Maße
- Darstellung: 108 (+/-2) x 53 (+/-1) mm
Maße
Darstellung: 108 (+/-2) x 53 (+/-1) mm
[Thomas Klinke, KKL 2022]
- Signatur / Datierung
Keine
- CDA ID
- ANO_H-NONE-013
- KKL-Nr.
- I.5D1, Teil der Bildnisgruppe I
- Permalink
- https://lucascranach.org/de/ANO_H-NONE-013/