Das Epitaph aus der Alten Johanniskirche ist dem Gedächtnis des Hans Nopel und seiner Familie gewidmet, wie die Inschriften zweifelsfrei belegen. Es stellt die biblische Szene der Kindersegnung durch Christus dar, der die Kinder zu sich kommen lässt, nachdem seine Jünger sie als unverständig und störend wegschicken wollten: Lasset die Kinder zu mir kommen, und wehret ihnen nicht (Markus 10-16 u. a.).
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Die dargestellte Familie besteht aus zwei Frauen mit Trauerbinden, drei älteren Mädchen, drei weißgekleideten Kleinkindern und dem Familienvater im Mantel mit Pelzkragen. Zu ihm gehört die untere golden unterlegte Inschrift. Es handelt sich um Hans Nopel, der gemeinsam mit seinem Bruder Barthel im Seidenhandel tätig war, außerdem ab 1548 Ratsherr und Besitzer eines Grundstücks in der Katharinenstraße. Nopel starb 1551. Er war Nachfahre eines im 15. Jahrhundert aus Halle eingewanderten Kramermeisters, die Familie stellte wiederholt Ratsherren und Stadtrichter.
Außer ihm sind die drei Kleinkinder ebenfalls inschriftlich mit Namen und Sterbealter bezeichnet, erwähnt ist ein vierter verstorbener Säugling, die Inschriften bei den älteren Mädchen und Frauen aber fehlen. Stepner verzeichnet eine weitere Inschrift zur Ehefrau Margarethe, verstorben 1560, und eine zu einem 11-jährigen Sohn Hans. Diese Inschriften befanden sich möglicherweise außerhalb des Gemäldes. Der Quellenüberlieferung zufolge war Hans Nopel nur einmal verheiratet, seine Frau war eine geborene Brandmüller. Aus dieser Ehe gingen viele Kinder hervor, von denen einige frühzeitig starben, einige die Eltern lange überlebten. Bei der zweiten Frau mit Trauerbinde wird es sich also um eine der älteren, zur Entstehungszeit des Epitaphs bereits verheirateten Töchter handeln. Bemerkenswert ist die besondere Berücksichtigung der im Alter von wenigen Tagen verstorbenen Kinder. Der Zusammenhang mit dem Bildthema der Kindersegnung Christi ist offensichtlich. Die Verbindung des Bildthemas mit persönlichen Lebenserfahrungen der Dargestellten ist für die Epitaphkunst in dieser Deutlichkeit selten. In ihr spiegelt sich auch die gesteigerte Wertschätzung der Familie im Luthertum, die als Hort der rechten Glaubensunterweisung aufgewertet wurde. Die früh verstorbenen Kinder gehören zur Familie dazu, sie werden in das Totengedenken einbezogen.
Überhaupt ist das Bildthema der Kindersegnung Jesu erst durch Lucas Cranach zu einem wichtigen Motiv kirchlicher Kunst geworden. Es bekräftigt die Bedeutung der Kindertaufe für das lutherische Bekenntnis, als Glaubensbekenntnis der Eltern vor und in der Gemeinde, aber auch in Abwehr von Strömungen, die für die Erwachsenentaufe plädierten (Wiedertäufer). Während Cranach d. Ä. für die Szene eine Komposition aus Halbfiguren entwickelte, ist die Szene mit Ganzfiguren vor einer Landschaft wie beim Nopel-Epitaph auf Cranach d. J. zurückzuführen.
Wie bei dem Gemälde "Das Opfer des Elias" (Inv.-Nr. Kirchliche Kunst Nr. 14) liegt auch hier ein Beispiel für die Übertragung einer als "typisch" lutherisch empfundenen Bilderfindung Cranachs in das Medium des Epitaphs vor. Das Bekenntnishafte dieser Themenwahl wird noch verstärkt durch den engen Bezug des Themas zum persönlichen Schicksal der Familie, zu deren Gedächtnis das Epitaph diente.
Seine Entstehungszeit bald nach 1551 macht es unwahrscheinlich, dass es von vornherein für die Johanniskirche bestimmt war. Diese war 1547 bei der Belagerung Leipzigs stark beschädigt und erst 1582-84 neu erbaut worden. Zur Entstehungszeit des Gemäldes in den 1550er Jahren war die Kirche nicht benutzbar. 1870 barg der Leipziger Geschichtsverein das Bild aus der Kirche, in einzelne Stücke zersägt, es hatte als Treppeneinfassung zur Orgelempore der Kirche gedient.
[Ulrike Dura, Cat. Leipzig 2006, 125-126]