Zwei von den drei beigefügten Wappen sind zu deuten: Das Wappen vor den Männern links gehört der Familie Preusser, das ganz rechts der Familie Thümmel. Beides waren alteingesessene Leipziger Familien mit reichem Grundbesitz und weitverzweigten Kontakten, aus beiden Familien gingen im 16. Jahrhundert zahlreiche Ratsherren, Akademiker und andere einflussreiche Persönlichkeiten der Stadt hervor. Die Familie Preusser besaß neben einem Gasthof in der Petersstraße zum Beispiel mit dem Grundstück Markt 11 eines der größten Grundstücke in Leipzig überhaupt.
Das Preusser-Wappen führte in Verbindung mit einem Eintrag bei Salomon Stepner (Nr. 649) zur Interpretation des Gemäldes als Epitaph des Hans Preusser, verstorben 1549, das sich mit einer Kreuzigungsdarstellung versehen in der Thomaskirche befunden haben soll. Dementsprechend wurde das Epitaph auch in die Zeit kurz nach 1549 datiert. Andere Einträge bei Stepner, die zu dem Epitaph passen könnten, gibt es nicht.
Gegen diese Interpretation sprechen jedoch neben der oben skizzierten Anlehnung an ältere Kreuzigungsdarstellungen mehrere Indizien: Im Hinblick auf Maßstab und Porträtqualität der Stifterfiguren war der "Standard" um 1550 in Leipzig bereits ein anderer. Außerdem tragen alle dargestellten Familienmitglieder Rosenkränze in den Händen. Dieses Symbol katholischer Marienfrömmigkeit ist zehn Jahre nach der Einführung der Reformation in Leipzig zwar nicht auszuschließen, wäre aber zumindest ungewöhnlich.
Vor allem aber lässt die Identifikation der Stifterfamilie mit der des Hans Preusser völlig außer Acht, dass dieser mit einer Anna Jechler verheiratet war, das zweite dargestellte Wappen jedoch das der Familie Thümmel ist.
Die Quellen zur Familiengeschichte sprechen da eine deutlichere (wenn auch nicht alle Zweifel beseitigende) Sprache, da nur einmal eine Ehe zwischen einem Preusser und einer Thümmel überliefert ist: Der Ratsherr Cunz/Conrad Preusser heiratete 1492 in zweiter Ehe Ursula Thümmel, Tochter des Bürgermeisters Jacob Thümmel. Cunz Preusser verstarb 1500. Dieser Zeitpunkt erscheint allerdings für eine Datierung des Epitaphs zu früh, da vergleichbare Kreuzigungsdarstellungen Cranachs, die hier als Vorbilder dienten, erst um 1515 entstanden.
Da andererseits zahlreiche weitere Familienmitglieder im fortgeschrittenen Alter dargestellt sind, allein sechs durch schwarzen Umhang und Kopfhaube als verheiratet gekennzeichnete Frauen mit Trauerbinden, ist in Übereinstimmung mit den Quellen folgender Zusammenhang wahrscheinlich:
Die Witwe von Cunz Preusser und seine erwachsenen Kinder stifteten das Epitaph etwa um 1520. Auf dem Epitaph wären dann folgende Familienmitglieder dargestellt:
Die beiden Frauen rechts sind die beiden Ehefrauen von Cunz Preusser, die früh verstorbene erste Frau, deren Namen die Quellen nicht überliefern, und Ursula Thümmel, die ihren Mann lange überlebte. Daneben zwei verheiratete Töchter aus erster Ehe. Bei den anderen beiden verheirateten Frauen könnte es sich um die Schwiegertöchter handeln, die Frauen der beiden Söhne Hans und Wolfgang: Anna, geborene Jechler, und Magdalena, geborene Körner. Die Söhne knien links hinter dem Vater.
Aus der zweiten Ehe sind wiederum zwei Töchter überliefert, von denen eine zumindest 1512 in den Quellen noch als unverheiratet bezeichnet wird, also eventuell im roten Kleid kniend dargestellt ist. Die andere verstarb bereits 1504, könnte also eines der Mädchen im weißen Totenhemd sein.
Cunz Preusser wurde in der Thomaskirche begraben, möglicherweise hatte auch das Epitaph ursprünglich dort seinen Platz.
[Ulrike Dura, Cat. Leipzig 2006, 122-123]