Dieses von der Forschung bisher übersehene Luther-Bildnis konnte innerhalb der Recherchen zum KKL anhand des einzigen erhaltenen Abzugs im British Museum London eingehend untersucht werden.[1]
Mit I.2D2 und I.3D1 hatte Hans Baldung Grien bereits zwei Holzschnitte nach Lucas Cranachs d. Ä. 1520 veröffentlichten Kupferstich-Bildnis I.2D1 geschaffen, die beide eine schnelle
Dieses von der Forschung bisher übersehene Luther-Bildnis konnte innerhalb der Recherchen zum KKL anhand des einzigen erhaltenen Abzugs im British Museum London eingehend untersucht werden.[1]
Mit I.2D2 und I.3D1 hatte Hans Baldung Grien bereits zwei Holzschnitte nach Lucas Cranachs d. Ä. 1520 veröffentlichten Kupferstich-Bildnis I.2D1 geschaffen, die beide eine schnelle und weite Verbreitung erfuhren.[2] 1521 schnitt er nicht nur Darstellungen aus Lucas Cranachs d. Ä. Passional Christi und Antichristi nach,[3] sondern zog offenbar auch das im selben Jahr von Lucas Cranach d. Ä. veröffentlichte Bildnis I.4D1 heran, um es als Einblattholzschnitt zu verbreiten. Es handelt sich um eine spiegelbildliche Überführung des Cranach-Kupferstichs in die Technik des Holzschnitts. Die technische und künstlerische Herausforderung bestand darin, das feine Lineament des Kupferstichs in den Hochdruck zu übertragen. Die Überblendung der beiden Werke macht die Übereinstimmung der Gesichtsgröße und -zeichnung deutlich. Die Konturlinie der Silhouette des Gesichts sowie die Positionen und Formen von Auge, Nase und Mund stimmen passgenau überein. Lediglich das in seiner Linienführung der Vorlage folgende Ohr ist im Holzschnitt zur rechten Seite hin geringfügig verbreitert und nach unten verlängert. Der Vergleich mit beiden bekannten Zuständen von I.4D1 zeigt, dass nicht der in zahlreichen Abzügen überlieferte zweite Zustand von Lucas Cranachs d. Ä. Kupferstich, sondern der bisher als unveröffentlichter Probedruck geltende erste Zustand herangezogen wurde:[4] Dem vorliegenden Holzschnitt fehlt sowohl die zusätzliche Verschattung unter dem Auge als auch entlang des Nasenflügels. Wange und Kinnlinie sind mittels eines gleichmäßigen Liniensystems modelliert. Auch die starke Verschattung des Doppelkinns folgt dem ersten Zustand. Dem Holzschnitt fehlt auch die von Lucas Cranach d. Ä. im zweiten Zustand markant mit diagonal verlaufenden Schraffen überarbeitete Nackenpartie. Vielmehr sind die Linien hier wie beim ersten Zustand Lucas Cranachs d. Ä. vorwiegend horizontal organisiert und nur stellenweise zu Kreuzschraffuren verdichtet. Auch übernimmt der Holzschnitt die gleichmäßige Verschattung des Kapuzeninneren, die Lucas Cranach d. Ä. im zweiten Zustand stärker abschwächt. Gleiches gilt für das geschnittene Inschriftenfeld, das den Text der Vorlage zeilengetreu wiederholt, ohne die im zweiten Zustand Lucas Cranachs d. Ä. hinzugefügten senkrechten Schraffen am oberen Rand oder die Rauten zwischen den Worten aufzugreifen. Das Inschriftenfeld weicht von der Vorlage nur insofern ab, als das „R“ des Wortes „MORITVRA“ in das davor platziert „O“ eingeschrieben ist und die Cranach-Signatur fehlt.[5]
Die hohe Qualität des Holzschnitts wirft die Frage seiner Zuschreibung auf. Der unikale, aus dem Besitz des Wiener Sammlers Josef Wünsch stammende Abzug, fand 1927 als Werk Hans Baldung Griens Eingang in den Bestand des British Museums.[6] Tatsächlich fügt sich der Holzschnitt ausgesprochen gut in das Holzschnittwerk Hans Baldung Griens dieser Zeit. Vergleicht man ihn mit den nahezu formatgleichen Darstellungen aus der um 1519 entstandenen und durchgehend signierten Apostelfolge, etwa dem Apostel Philippus[7], fallen insbesondere diejenigen Charakteristika ins Auge, die nicht durch die Cranach-Vorlage vorgegeben sind. Für Hans Baldung Grien spricht die Betonung der äußeren Konturen mittels besonders kräftiger Linien sowie die Angabe der Volumina mit wenigen sparsamen Strichen. Die Gewandbehandlung zeigt typische Übereinstimmungen, etwa die wellenförmigen, wie Inseln in die weiße Fläche gesetzten Bereiche, die leichte Wölbungen des Gewands mit wenigen Schraffen wiedergeben. Zu weiteren Ausdifferenzierung der Schattenpartien sind in beiden Werken kleine, kurze Bögen über die Parallelschraffuren gesetzt. Ähnliche Merkmale finden sich in Hans Baldung Griens signiertem und 1511 datierten Holzschnitt-Bildnis des Markgrafen von Baden.[8]
Das Blatt ist rückseitig unbedruckt und weist mittig ein Wasserzeichen in Form einer hohen Krone mit Bügel auf.[9] Obwohl typenähnliche Belege zahlreich überliefert sind, erlaubt das vorliegende Exemplar wegen eines Spezifikums (eine der äußeren bogenförmig angeordneten Reifperlen ist von den restlichen vier deutlich abgesetzt) eine nähere Bestimmung: Wasserzeichen in identischer Größe mit demselben individuellen Merkmal versehen und damit möglicherweise vom selben Sieb geschöpft, lassen sich auf Papieren[10] nachweisen, für die eine urkundliche Verwendung im süd- und mitteldeutschen Raum zwischen 1516 und 1519 belegt ist.[11]
Daniel Görres, Thomas Klinke
[1] Das dort unter Inv.-Nr. 1927,0614.88 verzeichnete Luther-Bildnis lässt sich weder in den gängigen Graphikverzeichnissen noch in der einschlägigen Literatur nachweisen. Da es erst 1927 in den Museumsbestand des British Museums kam, ist es auch bei Dodgson 1903/1911 nicht erwähnt.
[2] Siehe Katalogeintrag zu I.2D2 und I.3D1.
[3] Vgl. Mende 1978, Nr. 456–457.
[4] Für eine detaillierte Beschreibung dieser Abweichungen zwischen dem ersten und zweiten Zustand vgl. den Katalogeintrag zu I.4D1.
[5] Um dadurch kein Ungleichgewicht in der Komposition entstehen zu lassen, wird die Jahreszahl gegenüber der Vorlage mittiger gesetzt.
[6] Das Blatt wurde über Colnaghi bei C. G. Boerner in Leipzig erworben (vgl. Aukt.-Kat. Leipzig 1927, S. 88, Los 565); der Auktionskatalog dagegen führt das Blatt noch als Werk Lucas Cranachs d. Ä., wobei unklar bleiben musste, warum Cranach seinen eigenen Kupferstich noch einmal in Holz schneiden sollte.
[7] Mende 1978, Nr. 50.
[8] Vgl. ebd., Nr. 28.
[9] Hohe Bügelkrone, flacher oberer Abschluss des Bügels, dieser mit drei Perlen je Seite außen besetzt, fünf Reifperlen und fünf Reifzacken, 1., 3. und 5. Kronenzacke mit Kreuzblumenabschluss, darüber griechisches Kreuz mit gespreizten eingekerbten Enden (byzantinische Form), zweikonturig, darüber Stern an einkonturiger Stange. Maß des Wasserzeichens: 145 x 40 mm. Stellung, auf Steg.
[10] Vgl. WZIS, 2020: 1519, ohne Ort: WZIS, DE8085-PO-52946; 1519, Rüsselsheim: WZIS, DE6405-PO-52944; 1518, Siegen: WZIS, DE6075-PO-52940; 1518, Siegen: WZIS, DE6075-PO-52939; 1518, ohne Ort: WZIS, DE4620-PO-52941; 1516, Heilsberg: WZIS, DE4620-PO-52938; 1518, Goslar: WZIS, DE3210–PO–52943.
[11] Unter den zahlreichen im Rahmen des KKL erschlossenen Wasserzeichen „Hohe Bügelkrone“ findet sich in einem Abzug von I.1D1 in der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek Wittenberg, Sign. Ag 4° 188u, jenes, das dem hier besprochenen am nächsten kommt.
Quellen / Publikationen:
Aukt.-Kat. Leipzig 1927, S. 88, Los 565; British Museum, Collection Online: https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1927-0614-88 (Zuletzt aufgerufen: 23.06.2021).
- Zuschreibungen
-
Hans Baldung Grien, Inventor*in
Hans Baldung Grien (?), Inventor*in
Zuschreibungen
Hans Baldung Grien, Inventor*in | [KKL 2022] |
Hans Baldung Grien (?), Inventor*in |
- Datierung
- 1521
Datierung
1521 | [datiert, KKL 2022] |
- Maße
- Darstellung: 228 (+/-1) x 150 (+/-1) mm
Maße
Darstellung: 228 (+/-1) x 150 (+/-1) mm
[Thomas Klinke, KKL 2022]
- Signatur / Datierung
Jahreszahl „M·D·X·X·I·“ im Schriftfeld
Signatur / Datierung
Jahreszahl „M·D·X·X·I·“ im Schriftfeld
[KKL 2022]
- CDA ID
- HBG_H-NONE-003
- KKL-Nr.
- I.4D2, Teil der Bildnisgruppe I
- Permalink
- https://lucascranach.org/de/HBG_H-NONE-003/