Der vorliegende Holzschnitt ist in nur einem bekannten Abzug überliefert[1] und wurde bisher als direkte Adaption eines gemalten Luther-Bildnisses angesehen, das ab 1528 von Lucas Cranach d. Ä. und seiner Werkstatt (IV.M1–IV.M24) in Serie gefertigt wurde.[2]
Der systematische Vergleich der überlieferten Luther-Bildnisse zeigt hingegen, dass der Holzschnitt in direkter Beziehung
Der vorliegende Holzschnitt ist in nur einem bekannten Abzug überliefert[1] und wurde bisher als direkte Adaption eines gemalten Luther-Bildnisses angesehen, das ab 1528 von Lucas Cranach d. Ä. und seiner Werkstatt (IV.M1–IV.M24) in Serie gefertigt wurde.[2]
Der systematische Vergleich der überlieferten Luther-Bildnisse zeigt hingegen, dass der Holzschnitt in direkter Beziehung zu einem von Georg Pencz signierten Gemälde mit dem Bildnis Luthers aus dem Jahre 1533 steht, das seinerseits wohl auf die Cranach-Vorbilder zurückgeht.[3] Der Detailvergleich offenbart im Bereich des Gesichts eine Deckungsgleichheit des Konturverlaufs und der Binnenzeichnung zwischen dem Pencz-Gemälde und dem vorliegenden Holzschnitt, die sich selbst in kleinsten Details, wie in der Art der Ausgestaltung der Fensterkreuz-Reflexlichter in den Augen Luthers, zeigt.[4] In der Unterzeichnung des Gemäldes sind einzelne, mit trockenem Medium ausgeführte Linien zur Angabe von Augen, Nase, Mund und Falten nachweisbar.[5] Verschattete Gesichtspartien sind mit eng gesetzten Parallelschraffuren angelegt, die sich etwa im Bereich des Nasenflügels fächerförmig ausgestalten. Gegenüber der Unterzeichnung wurde der Nasenrücken in der ausgeführten Malerei begradigt. Der Holzschnitt jedoch zeigt den runderen Nasenrücken der Unterzeichnung und weist auch im Verlauf der Falten unter den Augen und der fächerförmigen Verschattung der Nase deutliche Übereinstimmungen auf. Besonders deutlich wird dies beim Haarbüschel, das Luthers rechtes Ohr verdeckt. In der Unterzeichnung ist es breiter angelegt als in der ausgeführten Malerei. Der Holzschnitt aber zeigt einen zusätzlichen Kranz einzelner Haare, der die Anlage der Unterzeichnung aufgreift. Im Holzschnitt treten somit eindeutige Elemente auf, die sich in Form und Verlauf nur in der Unterzeichnung, nicht aber in der ausgeführten Malerei wiederfinden.
Dieser Befund sowie die übereinstimmende Größe implizieren die Existenz einer gemeinsamen Vorlage für Gemälde und Holzschnitt. Feine hellere Linien, welche mittig auf den farbgebenden Stegen des Druckstocks (besonders gut erkennbar im Bereich des Gesichts) hervortreten, stammen offenbar von einer Risszeichnung, die zur Übertragung des Motivs auf den Druckstock diente. Angesichts der ausgeprägten stilistischen Parallelen zwischen der Unterzeichnung des Gemäldes und der Linienführung des vorliegenden Holzschnitts muss die Frage der Zuschreibung neu gestellt werden.
Max Geisbergs 1930 ohne inhaltliche oder stilkritische Begründung vorgenommene Zuschreibung an Hans Brosamer wurde zunächst nicht hinterfragt.[6] Erst der New Hollstein-Band zählt das Blatt zu den „doubtful attributions“.[7] Aufgrund der beschriebenen Ähnlichkeiten mit der Unterzeichnung des von Georg Pencz signierten Gemäldes wird hier die Zuschreibung auch des Holzschnitts an Georg Pencz vorgeschlagen.
Ebenso wie Hans Brosamer arbeitete Georg Pencz nachweislich für den Drucker und Briefmaler Hanns Guldenmundt,[8] der sich durch die typographische Subscriptio als Herausgeber des vorliegenden Blattes ausweist.[9] In der ebenfalls gesetzten Superscriptio benennt Hanns Guldenmundt den Dargestellten mit dem bei Cranach-Gemälden ab 1529 inschriftlich auftretenden Leitspruch Luthers.[10] Dieser Leitspruch tritt auch bei Georg Pencz‘[11] Luther-Kupferstich von 1530 auf (IV.D2a), der trotz abweichender Technik und Abmessung deutliche Parallelen zum vorliegenden Bildnis aufweist. Diese umfassen nicht nur die identische Verteilung von Kreuz- und Parallelschraffuren, sondern auch Eigenheiten wie den markanten Nasenhöcker oder die Betonung der Stirnwulst im Bereich der Schläfen.
Dass Georg Pencz sich mit dem Bildnis Luthers im Medium des Kupferstichs und der Malerei in den ersten Jahren der 1530er Jahre auseinandersetzte, ist mit signierten Werken belegt. Eine Datierung des hier Georg Pencz zugeschriebenen Holzschnitts um 1530 ist daher naheliegend.[12] Das Papier des vorliegenden Abzugs, das wohl vom Verleger und Drucker Guldenmundt und nicht von Pencz selber erworben wurde, weist mit einem „schreitenden Bären“ ein Wasserzeichen auf, das ursprünglich bis um 1465 auf Berner Papiermacher zurückgeht, seit 1520 (bis ca. 1580) aber auch von Papiermühlen in Lothringen, Basel, Kempten (Allgäu), Reutlingen und Straßburg kopiert wurde.[13]
Die Forschung nennt fälschlich zwei Zustände des vorliegenden Holzschnitts.[14] Geisberg publizierte einen leicht abweichenden Abzug aus der Fürstlichen Sammlung Liechtenstein. Die Provenienz des vorliegenden Exemplars lässt sich lückenlos bis auf die Liechtenstein’sche Sammlung zurückverfolgen, womit die bei Geisberg abgebildete Reproduktion eine fehlerhafte Wiedergabe des hier besprochenen einzigen Abzugs sein dürfte.[15] Aus der Sammlung der Fürsten von Liechtenstein wurde das Blatt 1953 im Rahmen größerer Konvolute von Colnaghi in London erworben[16] und kam 1961 über Klipstein & Kornfeld in Bern zur Auktion.[17] Bei Kornfeld stand das Blatt im Jahr 2000 erneut zum Verkauf[18] und wurde vom gegenwärtigen Eigentümer erworben.
Daniel Görres, Thomas Klinke
[1] Minneapolis, Thrivent Collection of Religious Art, Inv.-Nr. 01-02, Blattmaße: 359 x 254 mm. Zum Problem der Anzahl der erhaltenen Abzüge vgl. unten. Der Abzug zeigt eine Handkolorierung mit einer Einfärbung von Schaube und Barett in ein einheitliches Braun-Schwarz, im Bereich des Gesichts den Einsatz von hellem Inkarnat, blassroter Betonung von Wangen, Lippen und verschatteten Partien sowie der blaugrauen Andeutung eines Bartschattens. Der Hintergrund erscheint heute in einem zarten Grün, welches im Randbereich der Haare und des Baretts kräftiger aufgetragen wurde.
[2] So zuletzt in Ausst.-Kat. Minneapolis u. a. 2016, Nr. 233.
[3] Vgl. Dyballa 2014, S. 266–268, Nr. B 2, mit weiterer Literatur. Dort auch die Diskussion zum Zusammenhang mit den Cranach-Vorbildern, die der Bildnisgruppe IV entsprechen.
[4] Vergleiche mit möglichen Cranach-Vorbildern der Bildnisgruppe IV zeigen dagegen eine deutlich geringere Deckung der Gesichtskontur und -binnenzeichnung.
[5] Vgl. Dyballa 2014, S. 268
[6] Vgl. Schmidt 1930, Nr. 425.
[7] Der hohen Anzahl der Hans Brosamer zugeschriebenen Werken steht eine äußerst geringe Menge von signierten Graphiken gegenüber. Dies erschwert eine stilistische Zuschreibung ebenso wie der Umstand, dass Hans Brosamer im Laufe seiner Karriere an verschiedenen Orten und für Drucker im gesamten Reich arbeitete, seine Entwürfe also wahrscheinlich von unterschiedlichsten Formschneidern umgesetzt wurden. Vgl. zu dieser Problematik Knauer 2015, dem für den Austausch zu diesem Thema herzlich gedankt sei.
[8] Zu Guldenmundt vgl. vor allem Timann 1993.
[9] So etwa für das Flugblatt „Der Falsche klaffer“, vgl. Röttinger 1914, Nr. 36.
[11] Zu Diskussion um die Identität des Monogrammisten IB mit Georg Pencz vgl. den Katalogeintrag zu IV.D2.
[12] Aukt.-Kat. Bern 2000, Los 22 datiert auf „um 1540“, Ausst.-Kat. Minneapolis u. a. 2016, Nr. 233 datiert auf „um 1530–1540“.
[13] Vgl. Piccard 1987, S. 7.
[14] So etwa in Aukt.-Kat. Bern 1961, Los 35. Die Abbildung bei Schmidt 1930, Nr. 425, die in den Hollstein- und New Hollstein-Bänden übernommen wird, zeigt keine Hinweise auf die Kolorierung und weicht in Details wie den äußeren Kranz der seitlichen Haare vom vorliegenden Blatt ab.
[15] Wie sich auch an anderen Stellen verschiedentlich zeigte, können Geisberg-Reproduktionen nicht als Belege herangezogen werden, da sie oft keine bis ins Detail getreue Wiederholung des referenzierten Originals darstellen.
[16] Colnaghi Archive, Prince of Liechtenstein Print Collection Stock Book No. 4, Sig. COL3/4/4, Nr. 330.
[17] Aukt.-Kat. Bern 1961, Los 35.
[18] Aukt.-Kat. Bern 2000, Los 22. Auch hier wird übereinstimmend vom Besitz des vorliegenden Blattes durch den Fürsten von Liechtenstein ausgegangen.
Quellen / Publikationen:
Hollstein German IV.595.259; New Hollstein German 2015b, 174.1311; Schmidt 1930, Nr. 425; Ficker 1934, S. 129, Nr. 156; Aukt.-Kat Bern 1961, Los 35; Geisberg / Strauss 1974c, Nr. 425; Aukt.-Kat. Bern 2000, Los 22; Knauer 2015; Ausst.-Kat. Minneapolis u. a. 2016, Nr. 233.
- Zuschreibungen
-
Georg Pencz, Inventor*in
Hans Brosamer (?), Inventor*in
Zuschreibungen
Georg Pencz, Inventor*in | [KKL 2022] |
Hans Brosamer (?), Inventor*in | [Hollstein German IV.595.259] |
Hans Brosamer, Inventor*in | [Geisberg 1930, No. 425] |
Hans Guldenmund, Drucker*in | [KKL 2022] |
- Datierung
- um 1530-1532
Datierung
um 1530-1532 | [KKL 2022] |
- Maße
- Darstellungsmaß: 357 x 252/249 mm [Dakota Passariello, Thrivent Art Collection Minneapolis, 2021]
Maße
Darstellungsmaß: 357 x 252/249 mm [Dakota Passariello, Thrivent Art Collection Minneapolis, 2021]
- Signatur / Datierung
Keine
- CDA ID
- HB_HIV-259-595
- KKL-Nr.
- IV.D1, Teil der Bildnisgruppe IV
- Permalink
- https://lucascranach.org/de/HB_HIV-259-595/