Abb. 1: Werkstatt Lucas Cranach d. Ä., Doppelbildnis Martin Luthers und Katharinas von Bora, 1529, Malerei auf Buchenholz, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, KKL-Nrn. IV.M6a und IV.M6b
Abb. 2: Lucas Cranach d. Ä. [und Werkstatt], Katharina von Bora, 1528, Malerei auf Buchenholz, Kunstsammlungen Veste Coburg, KKL-Nr. IV.M2b neben Lucas Cranach d. Ä. und Werkstatt, Katharina von Bora, 1529, Malerei auf Buchenholz, Freie Hansestadt Bremen, Stadtgemeinde, KKL-Nr. IV.M14b
Abb. 3: Werkstatt Lucas Cranach d. Ä., Doppelbildnis Martin Luthers und Katharinas von Bora, 1529, Malerei auf Buchenholz, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, KKL-Nrn. IV.M21a und IV.M21b
Die Gruppe IV umfasst die Bildnisse Martin Luthers, die ihn als Ehemann bzw. Reformator in Schaube und Barett zeigen (Abb. 1). Zwischen etwa 1528 und 1530 wurden zahlreiche Exemplare der Gruppe in der Cranach-Werkstatt produziert.[1] Bildnisse Luthers treten in dieser Gruppe als Doppelporträts mit Katharina von Bora auf, deren Rahmen, wie erhaltene Beispiele zeigen, in der Regel über Scharniere miteinander verbunden wurden.[2] Neben 22 heute noch bekannten Tafelgemälden (IV.M1 - IV.M15 und IV.M17 - IV.M23)[3] lassen sich für den Untersuchungszeitraum nur zwei entsprechende Druckgraphiken nachweisen, die beide Georg Pencz zuzuweisen sind (IV.D1 und IV.D2).
Während das Bildnis Luthers in diesem Zeitraum unverändert reproduziert wurde, erfolgte im Porträt der Katharina von Bora bald eine Anpassung: Die Exemplare des Jahres 1528 zeigen Katharina in einem schwarzen geschnürten Kleid mit schlichtem Kragen sowie mit Kopf- und Kinntuch (IV.M1b–IV.M4b). Ab 1529 wurden letztere wieder durch das bereits seit 1525 bekannte Haarnetz abgelöst und der Kragen des Kleides mit einem Pelzbesatz versehen (IV.M6b, IV.M7b, IV.M11b - IV.M14b, IV.M16, IV.M19b - IV.M21b). Auch die Blickrichtung verlagerte sich nun in Richtung ihres Ehegatten (Abb. 2). Dieser Typus wurde bei den späteren Bildnissen ab 1530 beibehalten.
Ab dem Jahr 1529 wurden die Bildnisse sowohl Luthers als auch von Boras mit Inschriften am oberen Bildrand ergänzt (IV.M11 - IV.M24). Diese bestehen aus zwei Bibelversen, die in manchen Fällen um die Bezeichnung der bzw. des Dargestellten ergänzt werden. Der Wahlspruch Luthers „IN SILENCIO ET SPE ERIT FORTITVDO VESTRA“ entstammt Jesaja 30,15 und wurde von ihm selbst mit „Durch stille sein und hoffen würdet ir starck sein“ übersetzt.[4] Der hier gemeinte Fiduzialglaube ist der Kernpunkt von Luthers Rechtfertigungslehre. Dass gerade dieser Vers für die Aufbringung auf Bildnissen vorgesehen wurde, könnte im Zusammenhang mit Jesaja 30,4 gesehen werden: „[...] schreibs yhn fur auff eine tafel, vnd zeichens ynn ein buch, das es sey ein zeugnis auff kuenfftige zeit ymerdar.“[5]
Die Bildnisse der Katharina von Bora tragen den Vers „SALVABITVR PER FILIORUM GENERACIONEM“. In Luthers Übersetzung lautet der Vers „Sie wirt aber selig werden durch kinder geperen“.[6] Der Text aus 1. Tim. 2,15 betont die auch reformationstheologisch begründete gottgewollte Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter. Im Vergleich zu den kämpferischen Texten, die etwa mit dem „Junker Jörg“-Holzschnitt auftraten,[7] sprechen die Inschriften der Bildnisse ab 1529 eine dezidiert andere Sprache und propagieren das Heil in männlicher Glaubensstärke bzw. weiblicher Unterordnung.
Die Tafelgemälde liegen in drei verschiedenen Formaten vor (Abb. 3). Das bereits für die größeren Vertreter der Bildnisgruppe III verwendete Hochformat von durchschnittlich etwa 38 x 26 cm wurde in hoher Stückzahl gefertigt (IV.M1 - IV.M19*).[8] Eine zweite Gruppe ist mit einem Tafelformat von etwa 53 x 37 cm zwar deutlich größer (IV.M20 - IV.M23), die Porträtgröße selbst bleibt jedoch unverändert. Die Anpassung an das größere Tafelmaß wurde hier durch eine Erweiterung des Bildausschnitts erreicht.[9] Einen Einzelfall bildet das Augsburger Bildnispaar Martin Luther und Johann Friedrich von Sachsen (V.M24), das mit ca. 76 x 56 cm ein deutlich größeres Bildformat unter Beibehaltung des Bildausschnitts mit entsprechend vergrößerter Darstellung aufweist und nicht in Serie hergestellt worden sein dürfte.[10]
[1] Während die Bildnisgruppe bisher anhand der überlieferten Vertreter zumeist in die Jahre 1528 bis 1529 datiert wurde, belegen zwei auf 1530 datierte Exemplare (IV.M18 und IV.M23) den lückenlosen Übergang zum Bildnistypus der Gruppe V, der ab 1530 auftritt.
[2] Die entstehungszeitlichen, über je zwei Scharniere klappbaren Nutrahmen haben sich bei IV.M6, IV.M11, IV.M12 erhalten.
[3] Nicht mit Katharina von Bora, sondern mit Johann Friedrich von Sachsen kombiniert ist IV.M24a, das möglicherweise erst nach 1530 entstand.
[4] WAB 11/I, S. 96, Vers 15.
[5] Ebd., Vers 8.
[6] WAB 7, S. 264, Vers 15.
[7] Vgl. den Katalogtext zu II.D1.
[8] Mindestens 17 Exemplare sind überliefert: IV.M1–IV.M15 und IV.M17–IV.M18.
[9] Bildträger in beiden Formatgrößen fanden ab etwa 1520 in der Cranach-Werkstatt häufige Verwendung für Bildnisse im Hochformat oder und Querformat. Die Bildkomposition erfolgte dabei auf der Grundlage der zuvor bestimmten Proportionen und Größen der Holztafeln, vgl. Heydenreich 2007, S. 42–46.
[10] Dieses Bildnispaar entspricht auch in weiteren Merkmalen nicht den übrigen Exemplaren, vgl. dazu den Katalogeintrag zu IV.M24.
Abb. 4: Werkstatt Lucas Cranach d. Ä., Martin Luther im Brustbild mit Barett, zur Seite blickend, ab 1530, Malerei auf Buchenholz, The Metropolitan Museum of Art, New York, KKL-Nr. V.M2
Abb. 5: Lucas Cranach d. Ä. [und Werkstatt], Martin Luther im Brustbild mit Barett, Blick frontal, um 1528-1530, Malerei auf Pergament auf Eichenholz, Privatbesitz, KKL-Nr. IV.M1
Obwohl ab 1530 mit dem Bildnistyp V (Abb. 4) eine neue, Luthers Physiognomie leicht variierende Fassung entstand,[1] wurde auch der frühere Typus noch über das Jahr 1530 hinaus produziert. Dendrochronologische Untersuchungen an acht Tafeln[2] der Bildnisgruppe stützen die Annahme, dass die auf den Bildnissen angebrachten Jahreszahlen zumeist ihr jeweiliges Herstellungsjahr angeben. Der Befund an einer neunten Tafel belegt hingegen, dass dieses Exemplar frühestens wenige Jahre später gefertigt wurde als die Datierung vorgibt.[3] Dass ein solches werkstattinternes Kopieren von Einzelexemplaren über mehrere Jahre hinweg keine Ausnahme war, bekräftigen die dendrochronologischen Ergebnisse an zwei weiteren Lutherbildnissen anderer Gruppen.[4]
Die Tafelgemälde zeichnen sich in hohem Maß durch gleichbleibende Herstellungsmerkmale aus und vermitteln eine anschauliche Vorstellung von der seriellen Fertigung innerhalb der Cranach-Werkstatt. Von der Holzauswahl[5] über die Bildträgervorbereitung bis zur Ausführung von Grundierung, Unterzeichnung und Malschichtaufbau zeigen sich (mit Ausnahme eines Bildnisses, das direkt auf Pergament gemalt wurde [IV.M1]), keine wesentlichen Unterschiede zwischen den untersuchten Exemplaren (Abb. 5).
[1] Luther wird fülliger und mit deutlichem Bartschatten wiedergegeben, den Blick zur Seite gerichtet.
[2] IV.M2a, IV.M5a, IV.M6a, IV.M14a, IV.M15a, IV.M17a, IV.M23a, IV.M24a.
[3] Das 1528 datierte Luther-Bildnis im Allerheiligenmuseum zu Schaffhausen (IV.M-Sup01) weist einen jüngsten nachgewiesenen Jahrring aus dem Jahr 1531 auf. Das Gemälde könnte, eine Mindestlagerzeit des Holzes von zwei Jahren vorausgesetzt, also ab 1533 entstanden sein.
[4] Ein ebenfalls untersuchtes, in Privatbesitz befindliches Bildnis (III.M-Sup01). [DE_SAOH_2000-3a](https://lucascaranach.org/DE_SAOH_2000-3a) der Bildnisgruppe III zeigt Luther im 1525 bis 1526 üblichen Darstellungstypus. Das als Bildträger verwendete Buchenholzbrett konnte jedoch einem Baumstamm zugeordnet werden, aus dem weitere Gemäldetafeln der Cranach-Werkstatt gefertigt sind und dessen jüngster nachgewiesener Jahrring ins Jahr 1531 datiert. Es könnte demnach frühestens ab 1532/1533 entstanden sein. Ein weiteres auf einem Buchenholzbrett gemaltes Luther-Porträt [DE_HAUMB_GG23](https://lucascranach.org/DE_HAUMB_GG23) ist inschriftlich 1533 datiert, könnte nach der dendrochronologischen Auswertung jedoch frühestens 1536 entstanden sein; vgl. dazu auch Klein 1994, S. 200 sowie Klein/Neuhoff in: Ausst.-Kat. Düsseldorf 2017, S. 258.
[5] Von zwölf dendrochronologisch untersuchten Werken dieser Bildnisgruppe stammen neun mit hoher Wahrscheinlichkeit aus demselben Buchenstamm, der mit mindestens 184 Jahrringen einen stattlichen Durchmesser aufwies. Zur Querauswertung der dendrochronologischen Befunde an den Luther-Bildnissen siehe KKL-Begleitband (in Vorbereitung).
Abb. 6: Rückseite des Darmstädter Doppelbildnisses (IV.M6)
Während die kleineren Bildnisse[1] (IV.M2 - IV.M19) zumeist aus je einem Brett mit vertikalem Faserverlauf bestehen[2] und rückseitig in den Randbereichen angeschrägt sind, wurden die größeren Formate[3] (IV.M20 - IV.M23) aus je drei Brettern in zumeist horizontaler Ausrichtung zusammengefügt (Abb. 6).[4] Dabei wurden die Rückseiten der Gemälde beider Formatgruppen nur grob geglättet und die fertig bemalten Tafeln anschließend gerahmt.[5] Für die Exemplare in Darmstadt (IV.M6), Gotha (IV.M11) und Bretten (IV.M12) sind originale Nutrahmen erhalten, die bei IV.M6 und IV.M12 heute noch mit Scharnieren verbunden sind.[6] Die Rückseiten einiger Exemplare wurden anschließend mit einem dunklen Schutzanstrich versehen.[7] Während meist ornamental oder heraldisch bemalte Rückseiten für die Bildgattung der Doppelporträts auch in der Cranach-Werkstatt durchaus üblich waren,[8] bleibt eine entsprechende Gestaltung hier aus.
[1] Nach Heydenreich 2007 Formatgruppe B.
[2] Das Schaffhauser Exemplar (IV.M-Sup01) wurde dagegen aus zwei Brettern in horizontaler Ausrichtung gefügt. Die der Bildnisgruppe V zugehörige, aber im Format ähnliche New Yorker Tafel (IV.M.1) besteht aus zwei Brettern in vertikaler Ausrichtung.
[3] Nach Heydenreich 2007 Formatgruppe C.
[4] Nur bei den Augsburger Tafeln (IV.M24) sind die Bretter vertikal angeordnet. Die Fugen wurden danach bei IV.M20 und IV.M24 beidseitig kaschiert. Vgl. zu Kaschierungen auch Heydenreich 2007, S. 72–73 und Heydenreich 2017, S. 258.
[5] Einzig IV.M14 und IV.M17 zeigen sorgfältig geglättete Rückseiten ohne dunklen Anstrich.
[6] Dass die Doppelbildnisse klappbare Rahmen aufwiesen, lässt sich darüber hinaus in schriftlichen Quellen nachweisen. So zeigt das 1561 erstellte Inventar der Medici-Sammlung in Florenz, dass die Doppelbildnisse (IV.M7) wie ein Buch gebraucht werden konnten („[…] a uso di libro […]“ zitiert nach de Lica 2017, S. 42–47, ebd. S. 46); vgl. dazu auch Dülberg 1990, S. 34 und S. 286–287, Kat.-Nr. 309.
[7] Die an vielen Exemplaren erhaltenen dunkelbraunen bis schwarzen Rückseitenanstriche könnten im Laufe der Zeit zwar erneuert worden sein, es finden sich jedoch in keinem Fall Spuren einer früheren, anderen Behandlung. Nur die Exemplare in Bremen und Oschatz weisen sorgfältig geglättete Rückseiten ohne dunklen Anstrich auf.
[8] Vgl. hierzu etwa [UK_NGL_6539](https://lucascranach.org/UK_NGL_6539).
Abb. 7: Infrarotreflektogramm (Ausschnitt) des Bremer Lutherbildnisses (IV.M14a) mit deutlich sichtbarer Unterzeichnung
Die Auswertung der Unterzeichnungen (Abb. 7) mittels Infrarotreflektogrammen ergab, dass die Gesichtskonturen bei allen Exemplaren dieser Bildnisserie nahezu deckungsgleich sind. Dabei sind die Außen- und Binnenlinien mit dünnem Strich wiedergegeben. Bei mehreren Exemplaren (IV.M2 - IV.M4, IV.M12, IV.M14, IV.M15) scheinen die feinen Linien abschnittsweise von regelmäßig auftretenden, ca. 1 - 1,5 mm langen anschwellenden Sequenzen überlagert zu werden, wodurch ein gestrichelt wirkendes Erscheinungsbild entsteht. Vereinzelt treten zudem kurze Dopplungen von Linien auf, so beispielsweise an der Kinnkontur.[1] Beide Merkmale deuten auf die Verwendung einer Pause hin.[2]
Größere Abweichungen in Form und Größe des Baretts sowie im Verlauf der Schulterpartie bei Luther bzw. der Ausgestaltung des Kleides bei Katharina von Bora sprechen indes für eine freie Unterzeichnung oder direkte malerische Umsetzung dieser Bildbereiche.[3] Bei den 1529 datierten Bildnissen der Katharina von Bora (IV.M6b, IV.M7b, IV.M11b - IV.M14b, IV.M16b, IV.M19b - IV.M21b) verdient ein Phänomen besondere Beachtung: In der Unterzeichnung ist links neben ihrer Stirn eine geschwungene Linie angelegt, die funktionslos erscheint und in der malerischen Ausführung nicht aufgegriffen wurde. Sie erklärt sich im Vergleich mit früheren Bildnis-Versionen, in denen an dieser Stelle die Haube bzw. das Haarnetz dargestellt ist. Da dieses Motiv in ausnahmslos allen nachgewiesenen Unterzeichnungen angelegt ist, dürften alle untersuchten Exemplare in einem Arbeitsschritt unter Verwendung derselben Pause unterzeichnet worden sein, die vermutlich auf Grundlage des früheren Darstellungstypus angefertigt wurde. Ob die Linie nur versehentlich mit übertragen wurde oder die Entscheidung, die Darstellung an dieser Stelle abzuändern, erst in einem späteren Arbeitsgang getroffen wurde, bleibt offen. Das Phänomen verdeutlicht die zugunsten einer hohen Effektivität gewählte serielle Ausführung einzelner Arbeitsschritte über mehrere Exemplare hinweg und damit die zunehmende Rationalisierung des Werkprozesses.
[1] Solche Doppelkonturen wurden schon von Most/Wolf 2009, S. 90–91 und Abb. 4 an einem Lutherbildnis (IV.M15) beschrieben und als Indiz für die Verwendung einer Griffelpause interpretiert, ohne auf die gestrichelt wirkenden Abschnitte einzugehen.
[2] Praktische Versuche zur Nachstellung dieser Phänomene werden im KKL-Begleitband (in Vorbereitung) ausgewertet.
[3] Dabei scheinen die Konturen von Schultern und Barett gelegentlich an das gegebene Format des Bildträgers angepasst worden zu sein (vgl. dazu den Katalogeintrag zu IV.M1). Auch die Ausführung des Kragenverschlusses an Luthers Schaube blieb wohl dem jeweiligen Werkstattmitarbeiter überlassen. So ist der wohl ursprünglich aus Knopf oder Knebel am rechten Revers und Schlaufe am linken bestehende Verschluss bei einigen Exemplaren unvollständig oder gar nicht ausgeführt. Vgl. dazu Hänsch, Amalie / Ottweiler, Wibke (erscheint 2022).
Abb. 8: Bildcollage aus Detailaufnahmen vier verschiedener Exemplare einer Bildnisserie. Von links nach rechts: Stiftung Schloss Friedenstein, Gotha (IV.M11a), Kunstsammlungen der Veste Coburg (IV.M2a), Kunstsammlungen Boettcherstraße, Bremen (IV.M14a), Museo Poldi Pezzoli, Mailand (IV.M13a)
Abb. 9: Georg Pencz, Martin Luther mit Barett und Schaube, Halbfigur nach links gewandt, um 1530-1532, Holzschnitt mit Typendruck, Exemplar der Thrivent Collection of Religious Art, Minneapolis, KKL-Nr. IV.D1
Abb. 10: Monogrammist IB/Georg Pencz, Doppelbildnis Martin Luthers und Philipp Melanchthons, 1530, Kupferstich, Exemplar des British Museum London, KKL-Nrn. IV.D2a UND IV.D2b
Die Mehrzahl der Doppelbildnisse zeigt eine bemerkenswerte Homogenität in der malerischen Ausführung (Abb.8).[1] Unterschiede lassen sich zum Beispiel in der Qualität der Ausarbeitung der Inkarnate oder in der Gestaltung der azuritblauen Hintergründe erkennen: Während sich einzelne Exemplare durch eine besonders plastisch wirkende Modellierung des Inkarnats und souverän gesetzte malerische Akzente auszeichnen, fallen andere Versionen mit flach wirkenden Gesichtszügen und reduzierter Detailgenauigkeit deutlich davon ab. Diese Unterschiede in der malerischen Qualität legen auch in dieser Gruppe eine Beteiligung verschiedener Mitarbeiter der Werkstatt bei der Ausführung nahe.[2] Bei der Gestaltung der Hintergründe zeigen sich bei der Mehrzahl der Exemplare lasierende und ungleichmäßig deckende Farbaufträge, wodurch die Hintergründe lebendig erscheinen. Bei einzelnen Exemplaren wirken diese jedoch durch einen getupften oder flächigen deckenden Farbauftrag wesentlich ruhiger. Einige Bildnisse erscheinen zudem schneller als andere fertiggestellt worden zu sein, da hier Farbaufträge ineinander verwischt sind, die sich bei anderen Werken überlagern.
Diese serielle Bildnis-Produktion der Cranach-Werkstatt kulminiert in den hier behandelten Lutherbildnissen und den um 1532 gefertigten Kurfürsten-Porträts. Die rationellen Herstellungsverfahren der Cranach-Werkstatt trugen dazu bei, dass die seriellen Bildnisse schon früh auch über konfessionelle und ideologische Grenzen hinweg eine weite Verbreitung erfuhren. So besaß etwa Georg Hörmann, Faktor der Fugger und deren Bergmeister in Schwaz i. Tirol laut eines 1556 erstellten Inventars „Martin Luther unnd seiner hausfrauen contrafet [...] in zway tefelein gefasst“.[3] Das Doppelbildnis der Uffizien (IV.M7) ist bereits 1561 in den Inventaren der Medici nachweisbar.[4] Der venezianische Maler Lorenzo Lotto fertigte 1540 Doppelbildnisse dieser Art, die letztlich auf die Werke Lucas Cranachs d. Ä. (vielleicht über das Medium der Druckgraphik vermittelt) zurückgeführt werden müssen.[5] Der Nürnberger Christoph Scheurl wies Bildnissen dieser Art einen Ehrenplatz zu, wie sein Nachlassinventar aus dem Jahr 1542 belegt. In seinem Haus war ein Doppelbildnis Luthers und von Boras in Gesellschaft von Porträts von Kaisern und Herzögen unter einer Altane angebracht.[6]
Nachdem der Bildnistypus durch die Cranach-Werkstatt als Gemälde bereits vielfach ausgeführt worden war, wurde er ab etwa 1530 von Georg Pencz in Nürnberg auch in die Druckgraphik überführt (IV.D1) (Abb. 9). Ritzlinien auf den Stegen des unikal belegten und Pencz hier erstmals zugeschriebenen Holzschnitts können als Spuren einer mit der Reißnadel auf den Druckstock übertragenen Pauszeichnung gewertet werden.[7] Auch der kleinformatige Kupferstich (IV.D2a) stammt von Pencz. Auf 1530 datiert, tritt er in der Kombination mit einem Bildnis-Pendant Philipp Melanchthons (IV.D2b) auf (Abb. 10). Während die Darstellungsmaße des Holzschnitts dem Gemäldeformat weitgehend entsprechen, wird die Wiedergabe im Kupferstich auf ein Kleinformat von 90 x 73 mm reduziert. Das Papier des Abzugs von IV.D1 ist gleichzeitig auch bei anderen Nürnberger Druckern nachweisbar.[8] Pencz führte eine Variante dieses Bildnistyps auch als Malerei auf einer Holztafel aus, die aufgrund ihrer Datierung in das Jahr 1533 aber nicht in den Korpus des KKL aufgenommen ist.[9]
[1] Dies spiegelt sich etwa in der weichen Modellierung der Inkarnate, die durch mit grobkörnigem Schwarzpigment ausgemischten Lasuren plastisch ausgearbeitet wurden, in der braunen Betonung von Binnen- und Außenkonturen sowie in der immer gleichen Ausgestaltung von Details. So sind etwa die Haarlocken mit drei definierten Brauntönen in der immer gleichen Abfolge über einer halbdeckenden Unterlegung aufgebaut. Auch die Anzahl der Wimpern und die Art der Gestaltung von Reflexlichtern entsprechen sich bei der Mehrzahl der Exemplare.
[2] Vgl. dazu die einzelnen Katalogbeiträge.
[3] Zitiert nach Hampe 1918, S. 35; vgl. dazu auch Torggler/Weigel 2021, S. 83; ob es sich um Werke Lucas Cranachs d. Ä. handelt oder die beschriebenen Tafeln nur auf solche zurückgehen, geht aus dem Vermerk nicht hervor.
[4] Vgl. de Lica 2017, S. 46.
[5] Vgl. den Eintrag Lorenzo Lottos in seinem „Libro di spese diverse“ vom 17. Oktober 1540: „[…] doi quadreti del retrato de Martin Luter et suo moier […]“ (zitiert nach de Carolis 2017, S. 274).
[6] Vgl. aus dem Inventar des Hausstandes von Christoph II. Scheurl (verstorben am 14. Juni 1542): „In der klain Fürsten=Stuben war auf zwayen eingefasten Tuchern Kaiser Karls und Herzog Georgs von Sachsen Bildniß, dagegen aber vnder der Althanen in der kamer gegen hof ein Gemälde, daran Doctor Marttin lutters vnnd seiner hausfrawen Connterfait“ (zitiert nach von Soden 1837, S. 89).
[7] Vgl. den Katalogeintrag zu IV.D1.
[8] Das identische, d. h. von demselben Schöpfsieb stammende Papier mit dem Wasserzeichen „schreitender Bär“ stammt wohl aus einer Berner Papiermühle. Es tritt in den von Hans Guldenmundt in Nürnberg verlegten und von Wolfgang Resch nach Entwürfen von Hans Brosamer geschnittenen Holzschnitten „Martin Luther“ (V.D1a; Beleg Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 38,3) und „Katharina von Bora“ (V.D1b; Beleg Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 38,2) auf, die ebenfalls in das Jahr 1530 datiert werden können.
[9] Vgl. Dyballa 2015, S. 266–268, Nr. B 2: Georg Pencz. Bildnis des Martin Luther, signiert und datiert ‘GP 33’, Malerei auf Weichholz, 41 x 32 cm, Privatbesitz.