Deutsche Zusammenfassung des Textes Cudownie odnaleziona von Hanna Benesz, in "Art&Business”, Nr. 12/2012 (263), S. 120-123.
"Wundervoll wiederentdeckt" Entwendet nach dem Krieg und gewickelt in Wachstuch für 65 Jahre kehrt sie triumphal, fast wie ein Filmstar, zurück. Dies ist die Geschichte der "Jungfrau mit Kind unter den Tannen", einem der schönsten Gemälde Lucas Cranachs des Älteren.
Der Text basiert auf dem Bericht Wlodzimierz Kalickis aus der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza” vom 28. Juli 2012 über das Verschwinden des Gemäldes.
400 Jahre Frieden Das Kapitel erinnert an die Geschichte des Auftrags an die Wittenberger Cranach-Werkstatt durch die Kanoniker des Doms von Wroclaw um das Jahr 1510. Die Tafel verblieb im Dom für 400 Jahre bis es aus Sicherheitsgründen 1943 ausgelagert wurde. Beschädigt (in zwei Teilen) kehrte es bereits 1945 dorthin zurück. Die neuen Kirchenoberen beauftragten den seit Vorkriegszeiten im Erzbischöflichen Museum tätigen Priester Siegfried Zimmer mit der Restaurierung. Statt dieser fertigten Pater Zimmer und der junge angehende Maler Georg Kupke eine Kopie des Gemäldes an und schmuggelten die Tafel als Tablett getarnt, in Wachstuch gehüllt und mit einer Tasse darauf, außer Landes als sie von der kommunistischen Regierung gezwungen wurden Schlesien zu verlassen. Kupke, der Wroclaw ein halbes Jahr früher verließ, berichtete später, dass er Zimmer 1947 und 1952 in seiner Wohnung in Bernau bei Berlin besuchte und die Madonna beide Male in dessen Schlafzimmer gesehen habe. Zimmer habe erklärt, er wolle das Gemälde der katholischen Kirche übergeben, wenn es im gelänge in den Westen zu kommen, denn die sowjetische Besatzungszone sei nicht sicher. Als sich Zimmer jedoch 1954 in München befand, wohin er für theologische Studien abgesandt wurde, geschah dies nicht. In den sechziger Jahren verkaufte er die Tafel an einen Antiquitätenhändler, der ihn mit ägyptischen Altertümern versorgte, galt diesen doch des Priesters Passion. Der Umstand, dass in Wroclaw lediglich eine Kopie zurückgeblieben ist, wurde erst 1961 entdeckt als das Gemälde zur Vorbereitung auf eine Farbaufnahme im Auftrag eines französischen Verlags restauriert werden sollte. Ein Bericht der Restauratorin Daniela Stankiewicz erschien 1965 in der Fachzeitschrift "Biuletyn Historii Sztuki".
65 Jahre der Odyssee Das Kapitel erzählt vom Verbleib der Tafel auf dem "grauen" Kunstmarkt mit vielen Angeboten an öffentliche und private Sammlungen, über Georg Kuppkes Versuche das Gemälde ausfindig zu machen (1985 im "Stern" geschildert), über die gemeinsamen Anstrengungen der Deutschen Bischofskonferenz und des Erzbischofs von Wroclaw Henryk Gulbinowicz im Jahr 1981 zu beweisen, dass ein im Handel präsentiertes Besitzzertifikat gefälscht war, über die polizeilichen Ermittlungen in München, die wegen Mangel an Beweisen eingestellt wurden und schließlich über einen Aufsehen erregenden Brief der katholischen Kirche von St. Gallen, die den Erzbischof von Wroclaw im Februar 2012 darüber in Kenntnis setzt, dass die Madonna als Spende einer anonymen Person in St. Gallen sei und man sich entschlossen habe, sie an ihren angestammten Platz zurückkehren zu lassen.
Die neue Eva Eine Beschreibung und Analyse des Gemäldes liefert dieses Kapitel und kommentiert dabei Zeitungsmitteilungen vom Juli 2012 über den Schmutz unter den Nägeln der Madonna und des Kindes, der vom Spielen der beiden im Sand herrührt. Dieses ungewöhnliche Detail, zu beobachten von jedem, der das Privileg hat die Tafel im Original zu sehen, ist statt ein unspezifisches Realismusbestreben zu sein, vielmehr ein Symbol der Demut des fleischgewordenen Sohn Gottes. Die Bildaussage zielt auf die Erlösung durch den Gottessohn und das Sakrament der Eucharistie ab, hier angedeutet durch die Trauben, die das Jesuskind im Schoß hält (als Symbol des Blutes) und durch Marias meisterlich gemalten durchsichtigen Schleier, den sie benutzt um ihr Kind zu halten. Dies erinnert an den Eucharistieritus des Priesters, der die Monstranz nicht mit seinen bloßen Händen, sondern mit einem Tuch hält. Der Betrachter hat folglich ein Abbild der Anbetung des Körpers und Bluts Christi vor Augen. Ein Abbild, denn die Brüstung ist hier ein Kompositionselement, das die dargebotene Vision nichts anderes als eine Bild und nicht eine Evokation der wahren Heiligkeit. Es soll der Kontemplation dienen und nicht Gegenstand des Kults selbst sein (was für Lutheraner ein wichtiger Gedanke wurde).
Die Aussage der "Madonna unter den Tannen" ist eine Fortführung und Vollendung von Cranachs "Adam und Eva" aus der gleichen Phase, der Zeit um 1510. Die junge Menschheit, die das Paradies durch ihren Ungehorsam verlor, kann jetzt Hoffnung schöpfen. Die Tradition der biblischen Typologie verbindet Eva und Maria. Der liturgischer Text über die Jungfrau Maria beinhaltet folgende Worte: "Was Eva durch ihre Untreue verlor, gewann Maria durch ihren Glauben und wurde zu Trost und Hoffnung für Pilger auf dieser Erde." Cranach war sich dieser Parallele bewusst: eine seiner späteren Mariendarstellungen (um 1530 in der St. Petersburger Eremitage) folgt dem Gesichtstypus einer Eva aus dem Courtauld Institute in London (1526) und wird unter einem ähnlichen Apfelbaum mit vielen Früchten gezeigt, der traditionell mit dem verbotenen Baum assoziiert wird.
Die neue LandschaftDass die Madonna künstlerische Meisterschaft der frühen Wittenberger Phase in ihrem vollem Umfang zeigt, verdeutlicht dieses Kapitel. Raumgreifende Figuren, so verschieden zu Cranachs späterem linearem Stil, verraten italienische Einflüsse, mit denen der Künstler in den humanistischen Kreisen Wiens - Cranachs Wirkungsort in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts - in Kontakt gekommen sein kann. Darstellungen der Jungfrau vor Landschaftshintergrund und hinter einer Brüstung und mit ähnlicher Plastizität und Sanftheit schuf der berühmte venezianische Maler Giovanni Bellini in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Auch niederländische Maler aus dem Umkreis des Rogier van der Weyden zeigten die Jungfrau vor einem Landschaftshintergrund, jedoch unterscheidet sich die Madonna aus Wroclaw grundsätzlich von diesen Ausführungen, auch wenn Cranachs Präzession und realistische Oberflächenbehandlung dieser zuletzt genannten Tradition entstammt. Die Fähigkeiten des Künstlers lassen sich bei der Vegetation, vor allem den Pflanzen im Vordergrund, beim grauen und weißen Moos auf den Tannen und bei der Darstellung anderer Oberflächen wie der juwelenähnlichen Dekoration des Kissens, den Fransen, dem Brokat und vor allem der Transparenz von Maria Schleier beobachten.
Das wichtigste Element, das Cranachs Komposition von italienischen und niederländischen Gemälden unterscheidet, ist die typisch mitteleuropäische Landschaft mit felsiger Wildnis und Nadelwald. Der Wald war für Cranach immer ein sehr wichtiger Aspekt, auch als seine Kompositionen in den 1520er Jahren konventioneller werden. Die Landschaft der Madonna aus Wroclaw gehört immer noch zu den früheren, sehr einfallsreichen und malerischen Abbildungen von Wald und Gebirge. Eines der wichtigsten Gemälde der Wiener Phase, "Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" von 1504, das seinen Ruhm als Pionier der "Donauschule" begründete, etabliert eine eigenständige Landschaftsdarstellung, denn zuvor erschien der deutsche Wald wie eine reine Staffage für die dargestellte Historie. Bei diesem bahnbrechenden Werk ist die Natur mit der Erzählung im Einklang gebracht indem sie Gegenstand der Kontemplation wird und sogar mit der Heiligen Familie, die Schutz in ihr sucht, interagiert. Josef wird von einem Zweig der Tanne umarmt, wie vom Arm eines Freundes!
Lucas Cranach und später Albrecht Altdorfer verbildlichten in ihren Gemälden das Interesse der deutschen Humanisten wie Conrad Celtis, Johannes Aventius oder Ulrich von Hutten am "deutschen Wald”. Deren Faszination für dieses Thema wurde von der Entdeckung einer Kopie der "Germania” des Tacitus im Kloster Hersfeld und deren Untersuchung in Rom durch den zukünftigen Papst Pius II. initiiert. Das Werk wurde die Quelle für Mythen und Vorurteile über die Bewohner des "hyperboreischen” Waldlandes. Die Humanisten erhoben den legendären herzynischen Wald ("silva hercynia") in den Rang eines nationalen Merkmals. Es war vor allem Celtis, der kreative Leser des Tacitus, der die trostlose Deutung des Waldes als Umfeld einer zwiespältigen Natur, die gleichermaßen Faszination und Furcht auslöst, in den Stolz der Deutschen wandelte und ihn zu einem Ort heroischer Rittertaten, einem Tempel und dem Sitz der Musen machte. Aber der Wald wurde nicht nur als Sitz eines heidnischen Kultes angesehen, denn bei Darstellungen büßender Heiliger wie Johannes der Täufer, Maria Magdalena, Antonius oder Hieronymus ist die waldige Wildnis eine Ort der Kontemplation und Gottesschau.
Dieser Exkurs bringt uns hier zurück zur Madonna aus Wroclaw. Der Wald ist hier durch zwei Tannen und einen jungen Kiefernbusch auf der rechten Seite angedeutet. Diesen gegenüber beugt sich eine schlanke Birke in einem Bogen über Marias Kopf. Die Forschung zur deutschen Landschaft, erkennt im Baum das essentielle Element derselben, indem er als Verbindung zwischen dem Bild und dem Ort fungiert und gleichsam metonymisch für den gesamten Wald steht. Anzeichen von Zivilisation innerhalb dieser Landschaften werden beherrscht und umschlossen vom Wald.
Genau dies sehen wir bei der Madonna aus Wroclaw: klein in der Ferne eine Stadt zwischen den Tannen und den Bergen und links am Fuße einer fantasievollen Felsformation, bekrönt von einer Burg, ebenso klein dargestellt Reisende, Lasttiere, ein Bildstock und ein Kreuz. Die Tannen, oder eher das sie überwuchernde Moos, definieren die Landschaft als nördliche Region – transalpin, somit Cranachs hic et nunc, sein hier und jetzt. Gleichzeitig weißt die Landschaft über den deutschen Wald hinaus und auf die Universalität christlicher Vorstellungen. Darstellungen der Natur wurden im Lichte der Schriften des heiligen Augustinus als Metapher der menschlichen Pilgerschaft durch das Leben, der "peregrinatio vitae" hin zur Stadt Gottes ("civitas dei") verstanden und interpretiert. Die in ihren Mühen dargestellten kleinen menschlichen Figuren und der hohe Felsen mit der Burg bilden eine schlüssige Verbindung zum Ausruf des Pilgers aus Psalm 31: "Sei Fels der Rast für mich, eine starke Festung um mich zu schützen!" Auf diesem schwierigen und gefährlichen Weg der Pilgerschaft auf dieser Erde ist es die Madonna, die Mutter Gottes, die ein zu einem "Zeichen des Trosts und der Hoffnung" wird.
[Hanna Benesz, 2013]