[...] Aus einem Brief von Annas Tochter Elisabeth (1502 -1557), die mit Herzog Johann dem Beständigen (1498 - 1537) verheiratet war, vom 27. Februar 1534 an Kurfürsten Johann Friedrich, geht hervor, dass dessen Hofmaler ("mester Luckes") ein Porträt Elisabeths in zweifacher Ausführung geschaffen hatte - für Elisabeth und Kurfürst Johann Friedrich - sowie ein Bildnis ihrer Mutter ("m. fraw mutter selgen kounterfett"). [1] Man darf annehmen, dass das Porträt wohl vor Annas Tod 1525 entstanden sein wird. Weder das Porträt von Elisabeth noch dasjenige ihrer Mutter sind jedoch bislang aufgetaucht bzw. identifiziert. [2] Hier lässt sich eine gewisse Engführung der Cranach-Forschung beobachten, da bei der Identifizierung der von Cranach Porträtierten meist nur der kursächsische Personenkreis in den Blick genommen wird und man folglich bei weiblichen Personen häufig sächsische Prinzessinnen dargestellt meint. Exemplarisch kann dies bei dem Porträt einer vornehmen Dame vor Augen geführt werden, das mit Cranachs Signet und der Jahreszahl 1515 bezeichnet ist. [3] Schon aufgrund dieser Datierung kann die Dargestellte, wie vorgeschlagen, nicht die sächsische Fürstin Sybille von Kleve sein, da diese zu dem Zeitpunkt erst drei Jahre alt war. [4] Dennoch vermutete man eine andere vornehme sächsische Dame in der Porträtierten. Genauso gut könnte aber hier eine Dame eines anderen Fürstenhauses dargestellt sein. Verlockend wäre zum Beispiel - wenngleich eindeutige Belege bislang fehlen - das Bildnis der Landgräfin Anna zu erkennen. Diese war zum Zeitpunkt der Bildentstehung 30 Jahre alt und galt allgemein als sehr hübsch, was ihr am Kaiserhof den Namen "Frau Venus" einbrachte. Ihre Vorliebe für kostbaren Schmuck, der zu Streitigkeiten mit ihrem Sohn führen sollte, ist ebenfalls belegt und passt recht gut zu dem Porträt. [5] Schließlich ist in der Haube der Dame ein "H" mit Perlen eingestickt, was auf die Landgrafschaft Hessen verweisen könnte. Auch lassen historische Umstände ein Porträt der Landgräfin zu dieser Zeit besonders plausibel erscheinen. 1514 war Anna nach fast 5-jähriger Auseinandersetzung mit der hessischen Ritterschaft auf dem Landtag in Homberg endlich als Regentin anerkannt worden, wie es das zweite Testament ihres Mannes von 1508 vorgesehen hatte. [6] Im Winter 1514/15 hielt sie sich am Kaiserlichen Hof in Innsbruck auf, wo sie Maximilian I. versprach, ihrem Sohn an seinem 14. Geburtstag die Regierung der Landgrafschaft zu übergeben. [7] Ein Porträt der nun anerkannten Regentin scheint demnach zu diesem Zeitpunkt oder wenig später denkbar. [8] 1515 wurde zudem die Heirat von Annas Tochter Elisabeth mit Herzog Johann dem Beständigen von Sachsen verabredet. [9] Wenngleich letztendlich offen bleiben muss, ob das hier vorgestellte Porträt die Landgräfin zeigt, so muss es ein solches dem Brief ihrer Tochter zufolge in jedem Fall gegeben haben.
[1] "Auf E. L. beger hatt mich mester Lukes gestern ab gemallet. E. L. wert aber wenck schonest an mir sen. Ich byt, E. L. wol mir E. L. angesych gemallet auch scheycken sammt E. L. gemal, schwestern und keynttern, und E. L. wol mester Luckest schreiben, das er mir m. fraw mutter selgen kounterfett auch scheycken will, dan mester Luckest hatt es noch, und meyn schoune gestal auch." Werl 1965, 23-37, hier 27.
[2] Die von Werl vorgeschlagene Identifizierung der beiden nahezu identischen Bildnisse einer vornehmenen Dame in Darmstadt und Lyon - so verlockend die Vorstellung ist - kann nicht zutreffen, da die Dargestellte einen Brautkranz trägt. Vgl. hierzu Ausst. Kat. Basel 1974, Nr. 627.
[3] Öl auf Holz, 53,3 x 37,4 cm, Waddesdon Manor, The Rothschild Collection (Dauerleihgabe des Rotheschild Family Trust), Inv. Nr. 138.1996. Für Informationen sowie die Zusendung eines Fotos danke ich Rachel Jacobs, Waddesdon Manor.
[4] Siehe den Eintrag von Philippa Plock in der Sammlungsdatenbank http://collection.waddesdon.org.uk
[5] Puppel 2004; Köttelwesch 2013, 15.
[6] Puppel 2004, 50f.
[7] Puppel 2005, 60.
[8] 1514 entstanden zudem Cranachs großformatige Porträts von Annas jüngerer Schwester Katharina und ihrem Mann Herzog Heinrich von Sachsen. Ausst. Kat. Chemnitz 2005, 424-431.
[9] Ausst. Kat. Marburg 2004, 192; Tieme 2010, 14-16.
[Lange 2015, 33-35]