Die Judith-Darstellung des Metropolitan Museum wurde erstmals 1911 bekannt als sie aus dem Vermächtnis von Robert Hoe vom Museum angekauft wurde. Zu dieser Zeit war der Bart des Holofernes vergrößert um die blutige Wunde an seinem Hals zu verbergen. Nach Reinigung und Restaurierung konnte das Gemälde in die Reihe anderer Darstellungen des gleichen Themas von Cranach und seiner Werkstatt eingereiht werden. Darunter jene aus dem Kunsthistorischen Museum Wien und der Staatsgalerie Stuttgart.[1] Unten rechts zeigt die vorliegende Tafel eine bekrönte Schlange mit aufgestellten Flügeln und einem Ring im Maul, die Signatur, die Cranach vor 1537 benutzte. Weiterhin passen Technik und Ausführung des Werks vollständig in die gängige Praxis Cranachs und seiner Werkstatt in den 1530er Jahren. Diese Datierung deckt sich auch mit dem Gewandstil der Judith.[2] Die Zuschreibung an Cranach ist niemals in Frage gestellt worden, auch wenn ein tieferes Verständnis der Werkstattpraxis möglicherweise zu einem besseren Verständnis der Mitarbeiterbeteiligung bei solchen Gemälden, die in verschiedenen Versionen angefertigt wurden.[3]
Die Serienproduktion der Cranachwerkstatt mit Tafeln diesen Themas in den 1530er Jahren hat interessante Fragen zu möglichen Verbindung dieser Gemälde zum sächsischen Hof aufgeworfen. Da Judith in zeitgenössischer Kleidung dargestellt wird und ihre Physiognomie von Werke zu Werk variiert, vermuten manche Forscher, dass es sich um Bildnisse von bestimmten Hofdamen im Gewand der Judith handele.[4] David Oldfield, der anmerkte, dass nur das Schwert und der abgetrennte Kopf die Gemälde von üblichen Bildissen unterscheiden, hält es für wahrscheinlich, dass sich bestimmte Damen in der Rolle der tugendhaften Heldin darstellen ließen.[5] Wenn es sich bei dem vorliegenden Gemälde um ein Bildnis handelt [6], ist es zweifellos ebenso idealisiert wie bei der Judith aus dem Kunsthistorischen Museum Wien. Cranachs Bildnisse von Zeitgenossinnen wie die Prinzessinnen Sibylla, Emilia und Sidonia von Sachsen um 1535, zeigen eine deutlich größeres Interesse an den individuellen Physiognomien der Dargestellten, die offensichtlich auf genauer Beobachtung beruhen und sich darin von den Judiths aus Wien und New York unterscheiden.
Die Popularität des Judith-Themas hat zu verschiedenen Interpretationen des Gemäldes geführt. Im Mittelalter überwog die moralische Komponente der Erzählung, Judith wurde mit "Humilitas" und "Continentia" gleichgesetzt, da sie Holofernes bezwang, der für die Todsünden "Superbia" und "Luxuria" stand. Sie stand außerdem für Keuschheit und galt als Prototyp der Jungfrau Maria als "Ecclesia".[7]
Im 16. Jahrhundert trat eine politische Implikation des Judith-Themas deutlicher in den Vordergrund. Gertrud Rudloff-Hille stellte erstmals 1953 eine Verbindung zwischen Cranachs Judith und erstens dem Schmalkaldischen Bund - einer Allianz protestantischer Fürsten, die sich am 27. Februar 1531 in Schmalkalden offiziell formierte um sich gegen kaiserliche Angriffe zu schützen - und zweitens mit der Bedrohung durch die türkischen Angriffe her.[8] Werner Schade verfolgte diesen Gedanken und wies, wie es Rudloff-Hille auch tat, auf zwei Tafeln aus dem Jahr 1531 aus Gotha hin, Judith an der Tafel des Holofernes und dem Tod des Holofernes (Schlossmuseum, Schloss Friedenstein, Gotha).[9] Wer stellte fest, dass zeitgenössische Theologen, die nach einer christlichen Begründung für den Widerstand gegen den Kaiser gefragt wurden, die Geschichte der Judith heranziehen konnten, da es ihr Ziel war, die gemeinsam Heimat von einem Tyrannen zu befreien. In diesem Zusammenhang interpretierte Schade die mittlere stehende Figur an der Tafel des Holofernes als Philipp I., Landgraf von Hessen, einer der Gründer und Anführer des Bundes.[10] Helmut Börsch-Supan erweiterte Schades These indem er sie auf bestimmte Judithdarstellungen übertrug, vor allem auf ein Beispiel aus dem Jahr 1530 im Jagdschloss Grunewald, Berlin, das zum gleichen Typus wie die vorliegende Darstellung gehört. Er betrachtet diese Werke als Symbole des Schmalkaldischen Bundes und merkt an, dass die bekannten Beispiele vor der Gründung des Bundes entstanden sind.[11] Dieter Koepplin und Peter Gorsen teilten Schades These [12], allerdings änderte Schade zwanzig Jahre später, im Jahr 1994, seine Ansicht indem er anmerkte, die Bedrohung durch die Türken ebenfalls für die Deutung der Gothaer Gemälde wichtig wäre.[13] Anja Schneckenburger-Broschek führt ebenfalls eine halbfigurige Judith aus Kassel (Museum Schloss Wilhelmshöhe), zu datieren vor 1537, als Symbol des Widerstands gegen die türkische Invasion in Feld.[14]
Ebenso bedeutsam für die Deutung der Judithgemälde ist deren Beziehung zur zeitgenössischen Literatur.[15] Wie Henrike Lähnemann zuletzt ausgeführt hat, zeichnen einige anonyme Texte deutscher Meistersänger Judith als aktive, kluge und gerissene Heldin.[16] Genauer gesagt, betonen einige Flugblätter ihre zweifache Rolle als gleichsam tugendhaft und gefährlich/verführerisch. Nach Lähnemanns Ansicht, "hat das populäre Konzept der Judith sich im 16. Jahrhundert zu einem anhaltenden Zustand der Ambivalenz entwickelt, geformt aus den divergenten Schwerpunkten der kurzen Erzählungen aus vorangegangenen Jahrhunderten."[17] Sicherlich spielte diese Ambivalenz am sächsischen Hof eine Rolle und trug dazu bei die Popularität der Judithdarstellungen zu garantieren.
Judiths zweifache Rolle wirft außerdem ein neues Licht auf die moralisierende Interpretation der Erzählung. Zusammen mit anderen Figuren der Antike und der Bibel, benutzte Judith ihre Reize dazu einen Mann überwinden. Diese Themen, gemeinhin bekannt als Weibermacht und Weiberlisten, waren bereits in der Literatur, Druckgrafik und angewandten Kunst des Mittelalters weit verbreitet. Cranach war einer der ersten Künstler des 16. Jahrhunderts, der diese Themen in den Bereich der Malerei transferierte, sowohl als halbfigurige Darstellung, wie Judith und Salome, als auch in Historienbildern, wie Lot und seine Töchter und Aristoteles und Phyllis.[18] Die Einführung eines neuen Mediums zur Darstellung dieser Themen warf die Frage nach dem Gebrauchszusammenhang der Gemälde auf.[19] Sollte das vorliegende Gemälde etwa als Einzelwerk hängen oder mit einer ganzen Reihe von Weibermacht-Darstellungen? Leider bietet die Tafel keinen Hinweis auf ihre ursprüngliche Bestimmung. Bis neue Beweise vorliegen, kann Judith mit dem Kopf des Holofernes als ein erstklassisches Beispiel einer der wichtigsten Bildthemen sächsischer Hofkunst angesehen werden, dessen Bedeutung ebenso multivalent geblieben ist, wie es vielleicht auch zu seiner Zeit bereits war.
[1] Die Stuttgarter Judith ist Nr. 643 (Guido Messling, Brüssel und Paris 2010 – 11,S. 212 – 13, Nr. 114, ill. p. 238).
[2] Eine Datierung in die 1530er Jahre vertreten Max J. Friedländer und Jakob Rosenberg (1932, S. 65, Nr. 190e; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 115, Nr. 230E), zwischen 1526 und 1537; Charles Kuhn (1936, S. 38, Nr. 100), zwischen 1530 und 1535; Harry Wehle und Margaretta Salinger (1947, S. 202), um 1530.
[3] Vgl. Heydenreich zu Cranachs werkstattproduktion (Heydenreich 2007b, besonders S. 289 – 301). Zwei weitere minderwertigere Kopien des vorliegenden Gemäldes in Sao Paulo (18.5 × 15.5 cm; Fotografie in den Werkakten, Department of European Paintings, MMA) und in der Goudstikker Sammlung (21 × 15.5 cm, wurde den Goudstikker-Erben 2006 wieder übergeben).
[4] Robert Allerton Parker nannten das Gemälde des Museums "predominantly a portrait" (R. A. Parker 1927, S. 17). Karl Schütz (in Wien 1972, S. 24) verstand die Versionen aus Wien und Stuttgart als "historically disguised portraits", auch wenn Heinrich Zimmermann sie als Judiths in zeitgenössischem Gewand ansah (H. Zimmermann 1969, S. 284). Helmut Börsch-Supan (1974, S. 418) nahm sogar an, dass die Beispiele aus Wien und Stuttgart die gleiche Frau zeigten, die wiederum auch im Bildnis einer Frau (Waldemar von Zedtwitz Collection, New York) dargestellt wurde.
[5] Oldfield 1987, S. 9, 10, Anm. 4.
[6] Bei der Charakterisierung des Metropolitan-Gemäldes als "predominantly a portrait", beklagte Parker das Fehlen emotionalen Ausdruck bei der Figur (R. A. Parker 1927, S. 17, 24).
[7] Zur Sicht vom Mittelalter bis zum Ende des 15. Jahrhunderts auf Judith vgl. Schreyl 1990b, S. 195 – 203.
[8] Rudloff-Hille 1953, S. 35.
[9] Schade 1972b, S. 374; Schade 1974, S. 58; Schade 1980, S. 58.
[10] Berlin 1983, S. 304, Nr. E 17.1, E 17.2.
[11] H. Börsch-Supan 1974, S. 417. Judith mit dem Kopf des Holofernes und zwei Begleitern von 1525 (Gustav Rau Sammlung, UNICEF Deutschland, im Bestand des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, Remagen [GR 1.691]; Basel 1974, Bd. 1, S. 227, Abb. 143) wäre eine Ausnahme für diese These.
[12] Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 578; Gorsen 1980, S. 74.
[13] Für Schades These vgl. Gotha 1994, S. 23, unter Nr. 1.4. Kristin Eldyss Sorensen Zapalac widerspricht Schades Annahme und vermutet stattdessen sei Judith zum Symbol der protestantischen Sache geworden (Zapalac 1994, S. 57 – 58; vgl. auch Zapalac 1990, S. 120 – 26, 128). Es sei angefügt, dass keine bekannte zeitgenössische Quelle Judith als Schutzpatronin der protestantischen Bewegung identifiziert.
[14] Schneckenburger-Broschek 1997, S. 70, 73 – 74.
[15] Vgl. besonders Baltzer 1930; Seibert 1970; Strumwasser 1979, S. 107 – 13; Straten 1983, S. 19 – 21; Bernadine Ann Barnes in Washington 1990 – 91, S. 60 – 73; Zapalac 1994; Löcher 1999, S. 32.
[16] Lähnemann 2010.
[17] Ebd., S. 251 – 52.
[18] Zu Cranachs Darstellungen der Weibermacht und Weiberliste, vgl. Koepplin in Basel 1974 , Bd. 2, S. 562 – 85; Straten 1983, S. 30 – 33, 34 – 35, 41 – 45, 46 – 50; Barnes in Washington 1990 – 91, S. 60 – 73; Zapalac 1994; Hammer-Tugendhat 1997; Aikema 2010; Véronique Bücken in Brüssel und Paris 2010 – 11, S. 54 – 65; Joachim Jacoby in Rom 2010 – 11, S. 224 – 33, Nr. 29 – 31.
[19] In diesem Zusammenhang wird gelegentlich die 1507 erschienene Beschreibung des Wittenberger Schlosses angeführt. Diese berichtet, dass die beschriebenen Darstellungen im Schlafgemach Johanns, des Herzogs von Sachsen hingen (vgl. Basel 1974, Bd. 2, S. 563; erschienen in Bauch 1894, S. 431 – 32). Peter Strieder (2005) halt diese Quelle jedoch für größtenteils fiktional.
[Ainsworth, Cat. New York 2013, 63, 287, No. 13]