Dieses Bildnis war Bestandteil zweier Kunsthandelsausstellungen in den späten 1920er Jahren, wo es aufgrund der Einschätzung von Max J. Friedländer und Wilhelm Valentiner Lucas Cranach dem Älteren zugeschrieben wurde.[1] In ihrem 1932 erschienenen Werkkatalog vermerkten Friedländer und Rosenberg jedoch einen von Cranach abweichenden Stil und schrieben das Bildnis zusammen mit vier weiteren dem Meister der Gregorsmesse zu, einem Maler aus der Cranachwerkstatt, der umfangreiche Arbeiten für Kardinal Albrecht von Brandenburg ausführte.[2] Die interne Katalogisierung des Metropolitan Museums verortete die Tafel seit 1947 in die Werkstatt Cranachs.[3] Andreas Tacke hielt die Zuschreibung Friedländers und Rosenbergs an den Meister der Gregorsmesse aufrecht, in welchem Tacke den Maler Simon Franck zu sehen glaubte. Dieser befand sich nachweislich in Diensten des Kardinals Albrecht.[4] Isolde Lübbecke verwies auf signifikante stilistische Unterschiede zwischen den namensgebenden Tafeln des Meisters und der Gruppe von Bildnissen, die das vorliegende beinhaltet. Korrekt stellt sie fest, dass die übermäßige Plastizität der Tafel mit der Messe des Heiligen Gregors nicht zum Stil der Bildnisgruppe passe und schreibt diese, zusammen mit weiteren Tafeln, einem anonymen Maler des Cranach-Umkreises zu.[5] Eine gemäldetechnologische Untersuchung der vorliegenden Tafel zeigt außerdem, dass der Malschichtaufbaus, z. B. beim Vorhang und den Ringen, gegenüber der Praxis der Cranachwerkstatt abweichen.
Die Gruppe von Bildnissen, zu denen das Beispiel des Metropolitan Museums gehört, besteht aus mindestens zehn Tafeln aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts (1525 – 1548) und zeigt eine bemerkenswerte Kontinuität hinsichtlich Stil und Komposition.[6] Auch wenn der Künstler zweifellos von Bildnissen Cranachs beeinflusst wurde, so zeigen die Porträts aus der Cranachwerkstatt einen größeren Variantenreichtum der Haltung, des Ausdrucks und des Motivs. Wie Lübbecke anmerkt, lässt das nahezu unbeirrte Festhalten an einer strikten Vorlage einen von Cranach unabhängig agierenden Maler vermuten. Ohne Ausnahme nehmen die Dargestellten eine streng-aufrechte Haltung ein. Ihre Hände sind fast immer überkreuzt, jedoch nur selten gefaltet. Der Gesichtsausdruck wirkt naiv und leer. Bei den frühen Bildnissen wird die Iris der Dargestellten fast komplett von der Reflexion eines Fensters überdeckt. Diese verkleinern sich ab den 1530er Jahren jedoch oder verschwinden völlig. Regelmäßig, wie auch beim vorliegenden Beispiel, ist die Kleidung am Hals mit schwarzen Schleifen zusammengebunden. Bei den frühsten Beispielen bedeckt ein grüner Vorhang den gesamten Hintergrund, ab 1528 gibt der Vorhang den Blick auf eine Landschaft frei. Die Behandlung der Formen besitzt anfangs eine gewisse Glätte und Weichheit, die in den 1530er Jahren einem härteren und deutlich lineareren Stil wich. Beim vorliegenden Beispiel aus der späteren Phase ist dieser Eindruck durch die starken Bereibungen der Malschicht verstärkt.
Der ausführenden Maler dieser Bildnisse ist in geographischer Nähe zur Cranachwerkstatt aktiv geblieben: ein Bildnis der Reihe konnte als jenes des Leipziger Professors Heinrich Stromer identifiziert werden.[7] Der unbekannte Künstler könnte eine Karriere vergleichbar zu der von Antonius Heusler absolviert haben, welcher, ausgebildet unter Cranach, sich als eigenständiger Künstler in der Bergbaustadt Annaberg in Sachsen ab 1525 etablierte.[8]
[1] New York 1928, S. 18, Nr. 32; New York 1929, S. 8, Nr. 23. Die Gutachten (Max J. Friedländer, Berlin, 29. April 1927 und Berlin, 16. Februar 1928; Wilhelm R. Valentiner, Detroit, 8. März 1928) sind auf den Rückseiten alter Fotografien erhalten (Werkakte, Department of European Paintings, MMA).
[2] Friedländer und J. Rosenberg 1932, S. 98, Nr. 367; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 162, Nr. Sup 17. Bei den vier anderen Bildnissen handelt es sich um Friedländer und J. Rosenberg 1932, S. 98, Nrn. 365 (zwei Gemälde), 366, 368 (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 161 – 62, Nrn. Sup 15, 15A, 16, 18). Die Zuschreibung wird wiederholt bei Kuhn 1936, S. 44, Nr. 144.
Für die namensgebenden Gemälde des Meisters der Gregorsmesse, heute in der Staatsgalerie Aschaffenburg und der Stiftskirche Aschaffenburg (Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv.-Nr. 6270, 6271), vgl. Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 161, Nrn. Sup 11, Sup 12, Abb.; Martin Schawe in Aschaffenburg 2007, S. 270 – 71, 273, 306 – 8, Nrn. 14, 51, Abb.
[3] Wehle und Salinger 1947, S. 206 – 7; Baetjer 1980, Bd. 1, S. 37; Baetjer 1995, S. 223.
[4] Tacke 1992, S. 62 – 63.
[5] Lübbeke 1991, S. 64.
[6] Bildnis einer 26-jährigen Frau, 1525, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 161, Nr. Sup 15A); Bildnis eines 29-jährigen Mannes, 1526, Privatsammlung (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 161, Nr. Sup 15, Abb., zeigen den Zustand bevor die Tafel um den unteren Bereich beschnitten wurde; Sotheby’s, London, 6. Juli 2000, Nr. 4; Koller, Zürich, 27. März 2009, Nr. 3008); Bildnis eines 36-jährigen Mannes, 1526, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen (Lübbeke 1991, S. 64, Nr. 2); Heinrich Stromer, 1527, Privatsammlung (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 162, Nr. Sup 16, Abb.); Bildnis eines Mannes mit Blumenkranz, 1527, Privatsammlung (Christie’s, London, 8. Juli 2008, Nr. 11); Bildnis einer 22-jährigen Frau, 1528, Scottish National Gallery, Edinburgh (Lübbeke 1991, S. 64, Abb. 1); Bildnis einer 57-jährigen Frau, 1541, Bildnis einer 39-jährigen Frau, 1538, ein Bildnispaar, Eremitage, Sankt Petersburg; Bildnis eines 41-jährigen Mannes, 1543, Privatsammlung (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 162, Nr. Sup 18, Abb.); Bildnis eines 39-jährigen Mannes, Bildnis einer 28-jährigen Frau, 1544, ein Bildnispaar, Privatsammlung (Sotheby’s, London, 6. Juli 2000, Nr. 11; vormals Wallraf-Richartz-Museum, Köln); Bildnis einer 26-jährigen Frau, 1548, Privatsammlung (London 1906, Nr. 4, Tafel xxiv; angekauft durch das Metropolitan Museum 1922, acc. no. 22.60.48, und 1933 aus dem Bestand genommen). Die Bildnisse besitzen nahezu die gleichen Maße, mit Ausnahme des Beispiels aus Madrid, das etwas höher und schmaler als der Rest ist.
[7] Vgl. z. B. die Initialen HSD (für Heinrich Stromer, Doktor) im Hintergrund und, spiegelverkehrt, auf dem Siegelring des eines Porträts von Heinrich Stromer, 1527, vom selben Künstler (Privatsammlung; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 162, Nr. Sup 16; vgl. auch Dieter Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 693, Nr. 617).
[8] Zu Heusler und andere Cranachschüler vgl. Emmendörffer 1998, S. 219 – 22 und anderen, mit Verweisen zur früheren Literatur.
[Waterman, Cat. New York 2013, 88, 90, 292, No. 19]