Gekreuzigter Christus

Gekreuzigter Christus

Titel

Gekreuzigter Christus

[http://predigerseminar-cdm.gbv.de/u?/Gemaelde,87; 11.07.2012]

Malerei auf Leinwand

Material / Technik

Malerei auf Leinwand

[http://predigerseminar-cdm.gbv.de/u?/Gemaelde,87; 11.07.2012]

Der Gekreuzigte hat lange schmale Gliedmaßen an denen in dünnen Bahnen Blut herabfließt. Davon abgesehen zeigt die idealisierte Körperdarstellung jedoch wenige Spuren der Passion. Im oberen Bereich der Tafel haben sich dunkle Wolken zusammengezogen, hinter der bewachsenen Bodenzone, in die das Kreuz gepflockt ist, kündigt sich aber schon in warmen

Der Gekreuzigte hat lange schmale Gliedmaßen an denen in dünnen Bahnen Blut herabfließt. Davon abgesehen zeigt die idealisierte Körperdarstellung jedoch wenige Spuren der Passion. Im oberen Bereich der Tafel haben sich dunkle Wolken zusammengezogen, hinter der bewachsenen Bodenzone, in die das Kreuz gepflockt ist, kündigt sich aber schon in warmen Farbtönen die Sonne an. Die Enden des Lendentuch wehen in ornamentaler Anmutung nach beiden Seiten aus, darunter sind am Kreuz zwei goldgerahmte Schrifttafeln angebracht.

[Görres, CDA 2012]

Zuschreibungen
Lucas Cranach der Jüngere
Lucas Cranach der Jüngere (?)

Zuschreibungen

Lucas Cranach der Jüngere

[Schulze 2004, 203-204] [Schade 1974] [Kehrer 1916]

Lucas Cranach der Jüngere (?)

[http://predigerseminar-cdm.gbv.de/u?/Gemaelde,87; 11.07.2012]

Datierung
1571

Datierung

1571

datiert

Maße
Maße Bildträger: 250 x 156 cm

Maße

  • Maße Bildträger: 250 x 156 cm

  • [Wimböck 2010, 171] [Lutherhaus Wittenberg, revised 2012]

  • 247 cm x 157 cm

  • [Schade 1974, 390]

  • 248 cm x 155 cm

  • [Bellmann, Harksen, Werner 1979, 72]

  • 251,5 cm 161 cm (nach Randvergrößerung)

  • [Körber 1981]

  • 251 cm x 158 cm

  • Maße inclusive Rahmen: 272 cm x 180,5 cm

  • [Treu 2003, 105]

Signatur / Datierung

Bezeichnet unterhalb der Füße Christi: Schlangensignet nach rechts gewandt mit stehenden Flügeln, darüber die Jahreszahl "1571"

Signatur / Datierung

  • Bezeichnet unterhalb der Füße Christi: Schlangensignet nach rechts gewandt mit stehenden Flügeln, darüber die Jahreszahl "1571"

  • [Görres, CDA 2012]

Inschriften und Beschriftungen

Zwei Schrifttafeln zu beiden Seiten des Kreuzes.
Links: "QVI ME CERNIS HOMO: TE CERNE, TVVMQ REATVM,
NAM SINE MORTE …

Inschriften und Beschriftungen

Inschriften, Wappen:

  • Zwei Schrifttafeln zu beiden Seiten des Kreuzes.

  • Links:

  • "QVI ME CERNIS HOMO: TE CERNE, TVVMQ REATVM,

  • NAM SINE MORTE FOREM, TV NISI MORTIS ERAS.

  • QVOD PATIOR, TVA CVLPA FACIT QVODQ IMPLEO LEGEM,

  • IVSTICIAM MEREOR TV MODO CREDE, TIBI.

  • A CRVCE TV PENDE, NANQ IN CRVCE PENDEO PRO TE.

  • QVI DEVS, ET QVI SVM CRIMINE PVRVS HOMO.

  • SED PRO LABE TVA FACTVS VADIS ANTE PARENTEM

  • QVAE TV DEBVERAS, HAEC CRVCE SOLVO MEA.

  • TE FINXI: PRO TE SOLVI: TE EX HOSTE RECEPI:

  • SVM TVVS, ATQ MEVM FIT MERITVM OMNE TVVM.

  • QVID MAIVS POTERAM, DARE VEL TV POSCERE MAIVS?

  • MAGNVS AMOR CERTE EST HOSTIS AMORE MORI.

  • EN CAPVT, VT SPINIS VRGETVR? VT AEMVLA SOLI

  • LVMINA, IAM TENEBRAS, OMNIA MORTIS, HABENT."

  • Rechts:

  • "OS QVOQ QVO VERAE TRADO PRAECEPTA SALVTIS,

  • INFICITVR TRISTI FELLE, MEROQVE GRAVI.

  • EN FACIEM QVA SANCTA OCVLOS GENS PASCERE GAVDET,

  • QVAM PVGNOS, ET QVAM LIVIDIA SPVTA TVLIT?

  • QVAEQ MANVS AD OPEM PROMTAE ,SVNT TEGMEN ET VMBRA,

  • DISPANSAE IN RIGIDO STIPITE VVLNVS HABENT.

  • CERNE PEDES VNGO FIXOS, QVIBVS AEQVORA PRESSI

  • SVMMA: QVIBVS COLVBRI FRANGO NOCENTIS OPVS.

  • COR, QVOD AMORE TVI FIAGRAT, TEREBRABITVR HASTA:

  • VIXQ HABET IN NOBIS IAM NOVA PLAGA LOCVM.

  • RESTAT LINGVA, FAVENS HOSTI ET LOETA ARVA LATRONI

  • DISCIPVLO MATREM DANS: ANIMAMQ PATRI.

  • EST TRANSACTA SALVS, ET VATVM FATA PRIORVM;

  • ERGO MEAE VITAE FINIS, ORIGO TVAE EST."

  • [Major, Johannes: Eligiae

  • Eligiae à Johan: Maiore D. conscriptae: Deo, et virtuti, o. O. 1584, B 4r und B 5v: Elegia De Christo, In Agone constituto.]

  • Übersetzung nach Jutta Strehle:

  • "Der du mich siehst, Mensch, erkenne dich und deine Sünde, denn ich müsste den Tod nicht erdulden, wenn du nicht dem Tod verfallen wärst. was ich erleide, bewirkt deine schuld; dadurch dass ich das Gesetz erfülle, erwerbe ich dir Rechtfertigung - glaube doch nur daran! Wende vom Kreuz deine Augen nicht ab, denn ich hänge am Kreuz für dich, der ich Gott bin und Mensch, rein von Schuld, aber zum Bürgen bestellt vor dem Vater angesichts deiner Sünde: Was du schuldig warst, löse ich ein mit meinem Kreuz. Ich bin an deine Stelle getreten, habe für dich bezahlt, habe dich aus Feindeshand befreit; ich bin dein und mein Lohn wird ganz der deine. was hätte ich Größeres gegeben oder du Größeres verlangen können? Es ist wahrlich ein Zeichen großer Liebe, aus Feindesliebe zu sterben.

  • Sieh mein Haupt an, wie es so eng mit Dornen umwunden ist und wie sich über meine sonnengleichen Augen schon der Schatten breitet, der Vorbote des Todes. Auch meinem Mund, mit dem ich die Lehre des wahren Heils überbringe, wird widerliche Galle zu trinken gegeben und ekelhafter Wein. Sie mein Antlitz an, an dem sich die Gemeinde der Gläubigen voller Freude weidet: Wie hat es Faustschläge und boshafte Bespeiung erdulden müssen! Auch meine Hände, die, zur Hilfe ausgestreckt, Schirm und Schatten sind, tragen, auseinandergespreizt am harten Kreuzesbalken, ihre Wunde. Sieh meine festgehakten Füße, mit denen ich über das Meer gelaufen bin und mit denen ich das Werk der verderbenbringenden Schlange zertrete. Mein Herz, das brennt vor Liebe zu dir, wird mit einem Speer durchbohrt werden, und kaum noch findet sich an meinem Leib Platz für einen weiteren Hieb. Übrig ist nur noch die Zunge [1], die für die Feinde eintritt, dem Räuber das Paradies zuspricht, die Mutter dem Jünger anvertraut und mit der ich meine Seele dem Vater anbefehle.

  • Die Heilstat ist vollbracht, die Worte des alten Propheten haben sich erfüllt. so ist denn das Ende meines Lebens der Beginn des deinen."

  • [1] Alternative Übersetzung: "Lebendig ist nur noch die Zunge,..." [Ruth Slenczka, Nachricht am 28.04.2014]

Eigentümer
Evangelisches Predigerseminar Wittenberg
Besitzer
Lutherhaus Wittenberg
Standort
Wittenberg
CDA ID
DE_EPSW_05
FR (1978) Nr.
FR-none
Permalink
https://lucascranach.org/de/DE_EPSW_05/

Provenienz

  • Nach Gottfried Suevus dem Augustinerkonvent gehöhrend [Suevus [1655]]
  • Angeblich alter Universitätsbesitz [Bellmann, Harksen, Werner 1979, 72]
  • Archiv des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg, Akte 64, ergangen 1835, Verzeichnis der im Lutherhaus zu Wittenberg befindlichen Gemälde, Folio 48r.

[Désirée Monsees, April 2012]

Quellen / Publikationen

Erwähnt auf Seite Katalognummer Tafel
Rhein 2015 48, Fn. 41
Autor/inStefan Rhein
TitelLucas Cranach der Jüngere und Philipp Melanchthon. Zu den Spuren einer Wittenberger Beziehung
Veröffentlichungin Elke A. Werner, Anne Eusterschulte, Gunnar Heydenreich, eds., Lucas Cranach der Jüngere und die Reformation der Bilder
Ort der VeröffentlichungMunich
Jahr der Veröffentlichung2015
Seiten42-51
Sitt, Monsees 2015 310-313, 316 Figs. 2, 3
Autor/inMartina Sitt, Désirée Monsees
TitelDer einsame Christus am Kreuz - ein Bildtypus von Cranach dem Jüngeren in der pro-reformatorischen, bildlichen Argumentation
Veröffentlichungin Elke A. Werner, Anne Eusterschulte, Gunnar Heydenreich, eds., Lucas Cranach der Jüngere und die Reformation der Bilder
Ort der VeröffentlichungMunich
Jahr der Veröffentlichung2015
Seiten308-317
Werner 2015 15
Autor/inElke Anna Werner
TitelLucas Cranach der Jüngere und die Reformation der Bilder. Zur Einführung
Veröffentlichungin Elke A. Werner, Anne Eusterschulte, Gunnar Heydenreich, eds., Lucas Cranach der Jüngere und die Reformation der Bilder
Ort der VeröffentlichungMunich
Jahr der Veröffentlichung2015
Seiten8-16
Wimböck 2010 171-178 2
Autor/inGabriele Wimböck
TitelWort für Wort, Punkt für Punkt. Darstellungen der Kreuzigung im 16. Jahrhundert in Deutschland
Veröffentlichungin Johann Steigern Anselm, Ulrich Heinen, eds.,Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit [Emden, 2008]
Ort der VeröffentlichungBerlin
Jahr der Veröffentlichung2010
Link https://doi.org/10.1515/9783110225587
Seiten161-185
Schulze 2004 203-206 p. 204
Autor/inIngrid Schulze
TitelLucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen. Frömmigkeit, Theologie, Fürstenreformation
Ort der VeröffentlichungBucha near Jena
Jahr der Veröffentlichung2004
Laube 2003 149-150, 154 47
Autor/inStefan Laube
TitelDas Lutherhaus Wittenberg - eine Museumsgeschichte, mit einem Exkurs zur Sammlungsgeschichte von Uta Kornmeier
Ort der VeröffentlichungLeipzig
Jahr der Veröffentlichung2003
Treu 2003 20 8
Autor/inMartin Treu
TitelMartin Luther in Wittenberg. Ein biografischer Rundgang
Ort der VeröffentlichungWittenberg
Jahr der Veröffentlichung2003
Cat. Wittenberg 1993 61-62 48
BearbeitungVolkmar Joestel
TitelMartin Luther 1483-1546. Katalog der Hauptausstellung in der Lutherhalle Wittenberg
Ort der VeröffentlichungBerlin
Jahrgang2., verb. u. erweit. Aufl.
Jahr der Veröffentlichung1993
Exhib. Cat. Wittenberg 1992 61, 62
Autor/inVolkmar Joestel
TitelDer Reformator mit dem Hammer. Zur Wirkungsgeschichte von Luthers "Thesenanschlag" bis 1917
Ort der VeröffentlichungWittenberg
Jahr der Veröffentlichung1992
Treu, Pellmann 1991 41
Autor/inMartin Treu, Hans Pellmann
TitelDie Lutherhalle Wittenberg
ReiheKleine Kunstführer
Band1924
Ort der VeröffentlichungLeipzig
Jahr der Veröffentlichung1991
Koepplin 1988 184-185 24
Autor/inDieter Koepplin
TitelKommet her zu mir alle. Das tröstliche Bild des Gekreuzigten nach dem Verständnis Luthers
Veröffentlichungin Kurt Löcher, ed., Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Vorträge zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum 1983, Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Bd. 8
Ort der VeröffentlichungNuremberg
Jahr der Veröffentlichung1988
Seiten183-190
Exhib. Cat. Wittenberg 1984 36, 37, 41 pl. 7
Autor/inRonny Kabus, Hans-Joachim Beeskow
TitelMartin Luther 1483 bis 1546 in der Staatlichen Lutherhalle Wittenberg. Katalog zur Ausstellung
Ort der VeröffentlichungRostock
Jahr der Veröffentlichung1984
Kabus, Pötschke 1983 4, 10
Autor/inRonny Kabus, Jutta Pötzschke
TitelMartin Luther 1483-1546. Ein Begleitheft durch die Hauptausstellung der Staatlichen Lutherhalle Wittenberg
Ort der VeröffentlichungErfurt
Jahr der Veröffentlichung1983
Bellmann, Harksen, Werner 1979 47 47
Autor/inFritz Bellmann, Marie-Luise Harksen, Roland Werner
TitelDie Denkmale der Lutherstadt Wittenberg
Ort der VeröffentlichungWeimar
Jahr der Veröffentlichung1979
Schade 1974 95, en.691 p. 432 d
Autor/inWerner Schade
TitelDie Malerfamilie Cranach
Ort der VeröffentlichungDresden
Jahr der Veröffentlichung1974
Link http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schade1974
Thulin 1967 54-55 46
Autor/inOskar Thulin
TitelBilder der Reformation. Aus den Sammlungen der Lutherhalle in Wittenberg
Ort der VeröffentlichungBerlin
JahrgangThird edition
Jahr der Veröffentlichung1967
Thulin 1956 54-55 45
Autor/inOskar Thulin
TitelBilder der Reformation. Aus den Sammlungen der Lutherhalle in Wittenberg
Ort der VeröffentlichungBerlin
Jahr der Veröffentlichung1956
Jordan 1924 11, 12, 27, 60
Autor/inJulius Jordan
TitelZur Geschichte der Sammlungen der Lutherhalle 1877-1922
Ort der VeröffentlichungWittenberg
Jahr der Veröffentlichung1924
Jordan 1920 16
Autor/inJulius Jordan
TitelLutherhalle Wittenberg. Führer durch die Sammlungen des Lutherhauses
Ort der VeröffentlichungWittenberg
JahrgangSecond edition
Jahr der Veröffentlichung1920
Kehrer 1916 168-169 9
Autor/inHugo Kehrer
TitelÜber die Echtheit von Dürers Crucifixus
ZeitschriftZeitschrift für bildende Kunst
JahrgangNF 27 (1916)
Jahr der Veröffentlichung1916
Seiten163-172
Suevus 1655
Autor/inGottfried Suevus
TitelAcademia Wittebergensis ab anno fundationis 1502 festo divae Lucae die XIIX. mens. Octobr. usque ad annum 1655 [...]
Ort der VeröffentlichungWittenberg
Jahr der Veröffentlichung1655

Forschungsgeschichte / Diskussion

Bild des noch lebenden Christus am Kreuzesstamm, der in der oberen Bildhälfte von dunklen Wolken hinerfangen wird. Im unteren Bilddrittel ist eine Tafel mit lateinischer Inschrift in Kapitalen am Längsbalken mit Kordeln angebracht. Zum Horizont hin lichtet sich der Hintergrund von einem hellen Blau-Grün zu einem hellen Gelb durchsetzt von rosaroten Streifen am Übergang. Die Szene ist auf einem schmalen, detailliert ausgearbeiteten hügeligen Landschaftsstreifen verortet. Über die Auftragslage, ursprüngliche Funktion sowie die Provenienz des großformatigen Gemäldes ist wenig bekannt. Angeblich soll es alter Universitätsbestand sein und zum Augustinerkonvent gehört haben.[1]

Das großformatige Leinwandbild ist nicht, wie Kehrer 1916 in seiner Diskussion des Dresdener Kruzifixus mit Dürermonogramm annimmt, die erste Darstellung des Gekreuzigten in völliger Einsamkeit.[2] Vielmehr geht es vom Typus auf das Dubliner Gemälde Cranachs d. J. aus dem Jahre 1540 zurück. Im Unterschied zu diesem konzentriert sich die Darstellung in Wittenberg ganz auf Christus ohne weiter ausgearbeitete und erzählerisch gestaltete Hintergrundlandschaft. Zudem blickt der Gekreuzigte nun den Betrachter mit leicht geneigtem Kopf an.

Der Typus des noch lebenden Christus am Kreuzesstamm ohne Seitenwunde mit zum Himmel erhobenem Gesicht erscheint laut Schade seit 1536 im Werk Lucas Cranach d. J.. Als Anregungsquelle für diesen Darstellungstypus sieht Schade noch das in Dresden befindliche kleinformatige Kruzifixus, welches er Dürer zuschreibt und auf 1500 datiert.[3] Diese Abhängigkeit wurde bereits zuvor bestritten, so dass in der jüngeren Forschung die Auffassung besteht, dass es sich bei der Dresdener Tafel um eine Fälschung, um eine verbesserte Kopie von Cranachs Dubliner Bild handelt und dieser Typus somit von Cranach geprägt ist.[4] Gemäß Schade bildet die großformatige Tafel neben den Darstellungen des gekreuzigten Christus mit Stiftern auf einem Epitaph von 1570 in Nienburg und 1571 in Augustusburg eine Ausnahme des ansonsten bei figürlichen Darstellungen in dem für die spätere Phase überwiegenden kleinen Figurenmaßstabs. Die Darstellung des Gekreuzigten bildet eines der Hauptmotive im Spätwerk des jüngeren Cranach.[5]

Die kunsthistorische Forschung ist sich einig, dass dieses Bild einen Grundgedanken der reformatorischen Passionstheologie veranschaulicht. Martin Luther verstand das Kreuz Christi in einer tröstlichen Weise im Sinne von Stärkung und Hilfe und nicht nur in einer erschreckenden, an die göttliche Richtergebärde erinnernden. Das Kruzifix visualisiert für ihn am eindringlichsten, dass allein der Glaube an Gott die Erlösung der Sünder ermöglicht und entspricht damit am stärksten seiner an den christlichen Bildgebrauch gestellten Forderung: Es führt dem gläubigen Betrachter die Gnade Gottes in Christus vor Augen und hält den bereits vorhandenen Glauben wach. Dem Gläubigen kann ein solches Bild als Gebetshilfe dienen, insbesondere wenn Schriftworte dem Bild seinen rechten Sinn geben.[6] Koepplin deutet daher das Wittenberger Kruzifix innerhalb seiner Untersuchung über den tröstlichen Aspekt des Gekreuzigten nach Luthers Verständnis. Er stellt fest, dass sich Erbarmen und die Liebe Gottes zu den Menschen in der Darstellung des Gekreuzigten als ein gnädiges Zusich-Ziehen äußern, ohne Angst kann der gläubige Betrachter seine eigene Sünde ansehen, die Christus von den Menschen genommen hat. So sei das alte, vorreformatorische Verständnis, welches sich in dem Ausspruch „Tua culpa facit“ der Inschrift äußere, mit dem im Sinne Luthers tröstlichen Aspekt bei dieser Darstellung in Wittenberg verbunden. Christus schließe den Betrachter in sein Gebet mit ein und fordere ihn zum Mitbeten auf.[7] Koepplin interpretiert den Gekreuzigten als „zugleich zeichenhaft, ans Wort gebunden und unserer Betrachtung zugänglich gemacht, durch einen gemilderten Bildrealismus, der grundsätzlich verschieden ist von Realismus und von der Bildmacht eines mittelalterlichen Kruzifixes.“[8] Schulze deutet das Bild im Sinne Melanchthons und seiner Schüler, welche die Bilder aus dem Passionsgeschehen als besonders geeignet zur Meditation erachteten, weil in ihnen Trost und Ermahnung gefunden werden können. Schulze konstatiert im ersten Teil der Inschrift eine Ähnlichkeit zu Gebeten Melanchthons und sieht in der ausführlichen Beschreibung der Leiden Christi, in dem Sichvertiefen in die einzelnen Wunden eine Analogie zur mittelalterlichen Mystik, insbesondere der Darstellung des Schmerzensmannes.[9] Sie führt die Veranschaulichung Christi Opfertod als Heilstat, die Betonung von Mitleid und Barmherzigkeit bei dieser Darstellung auf einen Wesenszug Lucas Cranach d. J. zurück. Sie attestiert dem Maler einen Sensibilisierungsprozess, der zu einer gefühlsintensiven Hinwendung zu Christus führte.[10] Wimböck erinnert dieser Aufruf zur Versenkung ebenfalls an Texte zur Passion, in denen in vergleichbarer Weise das Passionsgeschehen aufgerufen wird, wie sie vor allem im Spätmittelalter und weniger in der Reformation vorkommen. Allerdings verweist sie auf Beispiele im protestantischen Umfeld, in denen „die Leiden gezählt werden“.[11]

In der Forschung wurde das Gemälde oft in engem Zusammenhang zum Bildtypus des hervorgehobenen bekennenden Hauptmannes bei der Kreuzigung betrachtet, aber auch in Verbindung zu den mittelalterlichen Herzbildern.[12] Schulze assoziiert das Wittenberger Kruzifixus mit den mittelalterlichen Herz-Jesu-Darstellungen, wie sie Thema eines vorreformatorischen Holzschnitts von Lucas Cranach d. Ä. 1505 war.[13] Wie Koepplin feststellt, erinnert dieser Holzschnitt nicht von ungefähr an die sogenannte Luther-Rose. Allerding differenziert er hier zwei Linien: die spätmittelalterlichen Herzbilder und die reformatorischen, wobei bei letzteren gemäß Luthers Verständnis Liebe und Erbarmen Gottes zu den Menschen betont werden und insgesamt ein Wandel in der Auffassung besteht.[14]

Wimböck hat das Gemälde bisher am ausführlichsten interpretiert und ihr besonderes Augenmerk auf die Beziehung von figürlicher Darstellung und Inschrift gerichtet. Sie erkennt in der Inschrift eine Fortsetzung der implizierten Betrachteransprache durch die geöffneten und auf den Betrachter gerichteten Augen Christi. Wimböck betont, dass der Text einen bildähnlichen und eigenständigen Status besitzt, wobei die Kombination von Wort und Bild die eingehende Betrachtung unterstützt. Hierfür spricht, dass sich das auffällige Textelement durch seine Größe, Positionierung und ornamentale Gestaltung als der bildlichen Darstellung ebenbürtig erweist und es zusammen mit der bildlichen Darstellung eine Bildbetrachtung meditativer Art – ganz im Sinne Luthers – ermöglicht. Von Wimböck wird das Werk daher in Anknüpfung an ihre Überlegungen zu den ‚zählenden‘ Texten zum Passionsgeschehen als allo­kutives Bildgedicht interpretiert, welches sie innerhalb eines humanistisch-reformatorischen Bildungs- und Betrachtungskontextes verortet. Sie deutet den deutlich hervortretenden, strahlenden, fast unversehrten Leib Christ als Leerstelle für die Passionsbetrachtung und die geschwungenen Kordeln unterhalb der Tafel als Imaginationshilfe für den Betrachter.[15]

Die Inschrift erinnert nicht zufällig an Gebete Melanchthons, findet sie sich wörtlich in dem Gedichtband ‚Elegiae‘[16] des Melanchthonschülers und Wittenberger Poetikprofessors Johann Maior, wie auch Wimböck festhält. Vor dem Hintergrund der innerreformatorischen Auseinandersetzung zwischen Philippisten und orthodoxem Luthertum ab den 1570ern, die schließlich zu einer theologischen und konfessionspolitischen Streitfrage wurde, führte 1574 das Eingreifen des Kurfürsten August zum Sturz des Philippismus in Kursachsen. Als bekennender Philippist war auch Johann Maior von der Verfolgung der sogenannten Kryptocalvenisten betroffen.[17] Daraus folgert Wimböck, dass das Gemälde neben den stilistischen Gründen vor den Unruhen von 1574 entstanden ist. Sie führt zudem eine weitere Zusammenarbeit zwischen Cranach d. J. und Johann Maior an: Der Dichter soll den Text für die Inschrift des Epitaphs für die Schlosskirche in Augustusburg verfasst haben. Schulze gibt zwar dessen Vater Georg Maior, Theologieprofessor in Wittenberg, als Autor an, worin Wimböck allerdings eine generell falsche Wiedergabe des Namens in der Forschung sieht.[18]

[Désirée Monsees, Martina Sitt, April 2012]

[1] Suevus, Gottfried: Academia Wittebergensis ab anno fundationis 1502 festo divae Lucae die XIIX. mens. Octobr. usque ad annum 1655 ..., Wittenbergae [1655] und Bellmann, Fritz; Harksen, Marie-Luise; Werner, Roland (Bearb.): Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, Weimar 1979, S. 72.

[2] Kehrer, Hugo: Über die Echtheit von Dürers Crucifixus, in: Zeitschrift für bildende Kunst, NF 27 (1916), S. 163-172.

[3] Schade, Werner: Die Malerfamilie Cranach, Dresden 1974, S. 86-87.

[4] Kroll Renate: E 62 Christus am Kreuz, in: Schade, Günter: Kunst der Reformationszeit. Ausstellung im Alten Museum vom 26. August - 13. November 1983, Staatliche Museen zu Berlin, Hauptstadt der DDR, Ausst.-Katalog, Berlin: Elefanten-Press-Verl. 1983 bzw. Flügel, Katharina (Bearb.): Kunst der Reformationszeit. Ausstellung im Alten Museum vom 26. August - 13. November 1983, Staatliche Museen zu Berlin, Hauptstadt der DDR, Ausst.-Katalog, Berlin: Henschel 1983, S. 367.

[5] Schade 1974, S. 95-96.

[6] Stirm, Margarete: Die Bilderfrage in der Reformation, Gütersloh 1977 (zugl.: Berlin, Kirchl. Hochschule, Diss., 1973 u.d.T.: Stirm, Margarete: Die Bilderfrage bei den Reformatoren), S. 79-80; 87-89; 113 und D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. J. F. Knaake [u. a.], 61 Bd., Weimar 1883-1983, Bd. 2, S. 131-143; Bd. 48, S. 194-200.

[7] Koepplin, Dieter: Kommet her zu mir alle. Das tröstliche Bild des Gekreuzigten nach dem Verständnis Luthers, in: Löcher, Kurt (Hrsg.): Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Vorträge zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 1983, Heidelberg [1988] (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 194), S. 183-185.

[8] Koepplin 1988, S. 185.

[9] Vgl.: Schulze, Ingrid: Lucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen. Frömmigkeit, Theologie, Fürstenreformation, Bucha bei Jena 2004 (Reihe Palmbaum Texte. Kulturgeschichte, Bd. 13), S. 203-204.

[10] Vgl.: Schulze 2004, S. 203-206.

[11] Wimböck, Gabriele: Wort für Wort, Punkt für Punkt. Darstellungen der Kreuzigung im 16. Jahrhundert in Deutschland; in: Steiger, Johann Anselm; Heinen, Ulrich (Hrsg.): Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin [u. a.]: 2010, S. 172.

[12] Koepplin; Falk 1976, Bd. 2, S. 470.

[13] Schulze 2004, S. 206.

[14] Koepplin 1988, S. 166-171.

[15] Wimböck 2010, S. 174.

[16] Eligiae à Johan: Maiore D. conscriptae: Deo, et virtuti, o. O. 1584, B 4r und B 5v: Elegia De Christo, In Agone constituto.

[17] Vgl.: Tschackert, Paul: „Major, Johann“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 20 (1884), S. 111 und Ludwig, Ulrike: Philippismus und orthodoxes Luthertum an der Universität Wittenberg. Die Rolle Jakob Andreäs im lutherischen Konfessionalisierungsprozeß Kursachsens (1576-1580), Münster: Aschendorff 2009 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Bd. 153), S. 55-59, 78-125, 221-222.

[18] Schulze 2004, S. 211; Wimböck 2010, S. 176.

  • Gekreuzigter Christus, 1571

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Kunsttechnologische Untersuchung

11.07.2012Technologische Untersuchung

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Rahmung

Schwarzer gekehlter Rahmen des 19. Jahrhunderts, dem zwei dünne vergoldete Leisten aufgesetzt sind

[http://predigerseminar-cdm.gbv.de/u?/Gemaelde,87; 11.07.2012]

06. 2010Technologische Untersuchung / Naturwissenschaftliche Materialanalyse

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[Smith, Sandner, Heydenreich, cda 2012]

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  • fotografiert von Ingo Sandner

Restaurierungsgeschichte

Datum18.06.1981

  • restauriert von Werner Körber

Zitieren aus dem Cranach Digital Archive

Eintrag mit Autor
<Autorenname>, 'Gekreuzigter Christus', <Titel des Dokuments, Feldeintrags oder der Abbildung>, [<Datum des Dokuments oder der Abbildung>], in: Cranach Digital Archive, https://lucascranach.org/de/DE_EPSW_05/ (zuletzt aufgerufen am {{dateAccessed}})
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'Gekreuzigter Christus', <Titel des Dokuments, Feldeintrags oder der Abbildung>, [<Datum des Dokuments oder der Abbildung>], in: Cranach Digital Archive, https://lucascranach.org/de/DE_EPSW_05/ (zuletzt aufgerufen am {{dateAccessed}})

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