Bildnis Martin Luthers auf dem Totenbett
Seit der Proklamation seiner 95 Thesen 1517, der Leipziger Disputation 1519 und der Veröffentlichung von drei reformatorischen Programmschriften 1520 war Martin Luther eine in Deutschland und darüber hinaus ebenso bekannte wie umstrittene Persönlichkeit. Man interessierte sich für seine Auffassungen, aber auch für seinen Charakter, seine Lebensumstände und seine äußere Erscheinung. Lucas Cranach d. Ä. befriedigte mit seiner Werkstatt das große Bedürfnis nach Luther-Bildern. Er schuf Porträts in unterschiedlichen Techniken: Kupferstiche, Holzschnitte und eine Reihe von Ölbildern, die in einer neuartigen Serienproduktion vervielfältigt wurden. Luther war dank Cranach einer der meistporträtierten Männer seiner Zeit. Dahinter standen der politische Wille der sächsischen Kurfürsten und der Geschäftssinn des mit Luther auch persönlich eng verbundenen Malers. Durch Kopien von der Hand anderer Künstler wurde das Bild des Reformators weiter verbreitet, vereinfacht, idealisiert oder negativ verzerrt.[1]
Luther erscheint in Cranachs Bildnissen als energischer und unbeugsamer Mönch, als Gelehrter mit Doktorhut, als „Junker Jörg“ mit Vollbart, als Ehemann an der Seite seiner Frau Katharina von Bora und – zusammen mit Melanchthon – als standhafter Bekenner und theologische Autorität, als Kirchenvater der sich verfestigenden protestantischen Konfession. Zur Luther-Ikonographie gehört auch das Bild des Toten: Der Reformator starb 62jährig am Morgen des 18. Februar 1546 in Eisleben, wohin er sich zur Schlichtung von Erbauseinandersetzungen der beiden Mansfelder Grafen Gebhard und Albrecht begeben hatte. Aus Quellen ist bekannt, dass der Tote von einem ortsansässigen Maler sowie dem eilends aus Halle herbeigerufenen Künstler Lucas Furtenagel porträtiert wurde.[2] Eine den toten Luther zeigende, heute in Berlin verwahrte und wohl von Furtenagel stammende Pinselzeichnung gelangte, wie man annehmen darf, in die Hände von Lucas Cranach in Wittenberg. Dieser schuf auf deren Grundlage ein Ölgemälde, das sich im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover befindet und Vorbild für zahlreiche Repliken war.[3] Wie von einer Ikone wurden Kopien und von diesen wieder neue Kopien angefertigt. Zu den vierzehn bekannten Gemäldefassungen zählt die in der Ausstellung gezeigte Karlsruher Tafel, die nicht aus Cranachs Werkstatt stammen und auch nicht zeitgenössisch sein dürfte.[4] Im Vergleich mit dem hannoverschen Gemälde fehlen die Unterarme und Hände, doch ist das Gesicht des Verstorbenen recht exakt wiedergegeben. Bestimmend ist ein milder, friedlicher Ausdruck. Dies war von Bedeutung, hatten doch Gegner der Reformation dem angeblich mit dem Teufel verbündeten Ketzer einen qualvollen Todeskampf prophezeit. Justus Jonas und Michael Coelius betonen in ihrem rasch publizierten Augenzeugenbericht vom Ableben Luthers: „Und kond niemands mercken (das zeugen wir fur Gott auff unser gewissen) einige unruge, quelung des leibes oder schmertzen des todes, sondern entschlieff friedlich und sanfft im Herrn, wie Simeon singet.“[5] Cranachs Gemälde und die danach entstandenen Kopien sind die bildliche Bestätigung. Das weiße, fein plissierte Hemd, das man dem Toten übergestreift hatte, unterstreicht den Eindruck eines reinen Gewissens.
Holger Jacob-Friesen
[1] Vgl. Martin Warnke: Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image, Frankfurt a. M. 1984.
[2] Zu den Umständen vgl. Alfred Dieck: Cranachs Gemälde des toten Luther in Hannover und das Problem der Luther-Totenbilder, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte Bd. 2 (1962), S. 191-218.
[3] Ausst. Kat. Cranach der Ältere, Frankfurt a. M. 2007, Nr. 42. Im Frankfurter Katalog wird zu Recht der These Diecks widersprochen, das nur aus den Quellen bekannte Gemälde des Eislebener Künstlers sei Cranachs Vorbild gewesen.
[4] Dieck datierte das Gemälde – allerdings auf wenig überzeugende Weise – sehr spät, nämlich in die „Aufklärungszeit“ (18. Jh.): Dieck 1962 (wie Anm. 2), S. 202.
[5] Justus Jonas und Michael Coelius: Bericht vom christlichen Abschied aus diesem tödlichen Leben des ehrwürdigen Herrn D. Martini Lutheri (publiziert in Wittenberg, Mitte März 1546), hier zitiert nach: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 54, Weimar 1928, S. 492.