In eine Schaube mit stehendem Kragen gehüllt und das lockige Haar von einem Barett bedeckt, tritt uns Luther als Brustbildnis nach links gegenüber. Sein Blick geht zur Seite und scheint eine Verbindung zum Pendant-Bildnis der Katharina von Bora herzustellen, die Blick und Körper nach rechts wendet. Die Identität der beiden
In eine Schaube mit stehendem Kragen gehüllt und das lockige Haar von einem Barett bedeckt, tritt uns Luther als Brustbildnis nach links gegenüber. Sein Blick geht zur Seite und scheint eine Verbindung zum Pendant-Bildnis der Katharina von Bora herzustellen, die Blick und Körper nach rechts wendet. Die Identität der beiden Dargestellten ist durch Inschriften über ihren Köpfen ausgewiesen.
1. Zustand (V.D1b/a.1)
Die in mehreren Zuständen überlieferten Holzschnitte stehen in so enger Beziehung zu den Gemälden Lucas Cranachs d. Ä. aus der Bildnisgruppe V, dass sie für die ältere Forschung als Werk des Wittenberger Künstlers galten.[1] Während die Identität des Entwerfers nicht abschließend geklärt ist (die Zuschreibung an Hans Brosamer durch Max Geisberg wurde jüngst in Frage gestellt),[2] ist als Formschneider Wolfgang Resch belegt. Der jeweils erste Zustand der Druckblöcke ist durch in Gotha erhaltene Abzüge überliefert,[3] die unter der Darstellung die xylographische Adresse „W: Resch Formschneider zu Nürmberg“ sowie die Datierung „1530“ tragen.[4] Wolfgang Resch war als Formschneider schon in Augsburg an Aufträgen Kaiser Maximilians beteiligt und ist ab 1519 in Nürnberg nachweisbar.[5] Seit 1522 tritt er auch als Drucker und Verleger in Erscheinung.[6]
Das Bora-Bildnis greift auf den ab 1529 in der Malerei auftretenden Typus mit Haarnetz und Fellkragen zurück (IV.M6b, IV.M7b, IV.M11b–M14b, IV.M16b) und weist zu diesen eine mit dem Luther-Bildnis vergleichbare Übereinstimmung in Gesichtskontur und -binnenzeichnung auf. Die beiden Porträts kombinieren somit zwei Bildnistypen, die im Medium der Gemälde in dieser Zusammenstellung nicht überliefert sind. Auffällig ist die Gestaltung der Umfassungslinien der beiden Holzschnittbildnisse in Form schmaler Leisten, die (kaum zufällig) wie Gemälderahmen wirken. Auch angesichts ihres großen Formats ist davon auszugehen, dass die vorliegenden Holzschnitte als kostengünstiger Ersatz für Tafelbildnisse verwendet wurden.[7]
2. Zustand (V.D1b/a.2)
Vom Luther-Druckstock wurden zwei Abzüge des ersten Zustands,[8] fünf des zweiten[9] und einer[10] des dritten Zustands im Rahmen des KKL autopsiert. Bereits der früheste überlieferte Zustand des Luther-Druckstocks weist mittig einen vertikalen Riss auf. Vom Bora-Druckstock wurde ein Abzug vom ersten,[11] zwei vom zweiten Zustand[12] sowie ein späterer Abzug um 1700[13] untersucht. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden beide Druckstöcke um den jeweiligen oberen Namensschriftzug sowie den oberen Rahmenabschluss beschnitten. Auf Abzügen dieses zweiten Zustands sind nur noch die Unterlängen der Buchstaben bzw. der untere Bereich der Umrahmung des Namens sichtbar.
3. Zustand (V.D1b/a.3)
Der Holzstock des Bora-Bildnisses wurde vom Briefmaler Boas Ulrich d. Ä. (1648–1695) mit eigener Typographie und Einfassungslinie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Augsburg neu aufgelegt.[14] Neben der Druckeradresse unter dem Bildnis ist neben dem Gesicht Katharina von Boras ein Gedicht in zwölf Versen eingefügt, das Lebensstationen der Dargestellten wiedergibt.[15] Auch der Luther-Holzschnitt ist in einem dritten Zustand belegt, bei dem ebenfalls die Reste des oberen Namenszuges getilgt sind. Der einzige im Rahmen des KKL nachweisbare Abzug[16] dieses Zustands ist umlaufend bis auf die Bildnisdarstellung beschnitten und weist daher weder eine Druckeradresse auf noch erlaubt er Aussagen zur Gestaltung der Einfassungslinie.[17]
Die Struktur der nachgewiesenen Druckpapiere erlaubt, die Abzüge in Beziehung zueinander zu setzen. Die beiden Gothaer Abzüge vom Erstzustand tragen dasselbe Wasserzeichen „Schreitender Bär“ [18] und weisen eine vergleichbare Struktur der Schöpfsiebdrähte auf. Identische Papiere der Abzüge des zweiten Zustands des Luther-Holzstocks lassen sich anhand ihres Wasserzeichens „Doppeladler”[19] in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datieren; bei einem dritten Abzug – ebenfalls mit einem Doppeladler[20] im Wasserzeichen – kann durch identische Kettlinien-Intervalle ein Bezug zu den zuvor beschriebenen Abzügen hergestellt werden. Auch die beiden Abzüge vom zweiten Zustand des Bora-Stocks sind auf identischen Papieren abgezogen.[21]
Die Datierung der vorliegenden Holzschnitte erlaubt eine genauere zeitliche Einordnung anderer Werke dieser Gruppe. Für die Bildnisgruppe V hat sich mit einer Zeichnung im Besitz des Duke of Bucchleuch (V.Z1) eine Bildnisstudie Cranachs erhalten, die als Vorlage für die überlieferten Gemälde angesehen werden kann (V.M1 und V.M2). Ähnlich wie bei früheren Bildnistypen dürfte auch hier der ursprüngliche Entwurf von Cranach ausgegangen sein und wurde anschließend von anderen Künstlern/Werkstätten aufgegriffen. Im Jahr der Drucklegung des vorliegenden Holzschnitts 1530 müssen die Zeichnung und einige Exemplare der Gemälde somit bereits vorgelegen haben.[22]
Daniel Görres, Thomas Klinke
[1] So etwa bei Passavant IV.19.200 und Dodgson 1911, S. 321, Nr. 133.
[2] New Hollstein German 2015b, 175.1312, weist auf die besondere Schwierigkeit der stilistischen Einordnung ins Werk Brosamers hin (vgl. dazu schon Schmidt 1930, S. 23, Nr. 423, und den Brosamer im Rahmen des KKL abgeschriebenen Holzschnitt IV.D1).
[3] Vgl. Stiftung Schloss Friedenstein, Inv.-Nrn. G 38,2 (Blattmaß: 407/406 x 301/291 mm) und G 38,3 (Blattmaß: 407/406 x 298/299 mm); beide weisen, wie viele Einblattdrucke der Gotha’schen Graphiksammlung, eine sorgfältig ausgeführte, wohl frühe Handkolorierung auf. Den ersten Zustand zeigen außerdem Abzüge der Albertina (DG1929/249 und DG1929/251, aber ohne Druckeradresse) sowie ein in ein Exemplar der „Sabbata“ Johannes Kesslers eingeklebtes Exemplar, das im unteren Bereich beschnitten wurde (vgl. St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 72, f. 587v).
[4] Die unsauber gedruckte hochgestellte letzte Ziffer der Jahreszahl gab immer wieder Anlass für Fehldeutungen: Ficker 1934, S. 129, Nr. 167 liest „1535“, Dodgson 1909, S. 553, liest „1537“. Die mikroskopische Untersuchung beider Originale zeigt, dass die letzte Ziffer als „0“ aufzulösen ist.
[5] Zu den wenigen bekannten biographischen Daten Wolfgang Reschs vgl. jetzt Timann 1993, S. 45–51.
[6] Vgl. ebd., S. 46.
[7] Wolfgang Resch veröffentlichte weitere Bildnisholzschnitte berühmter Personen mit dieser Rahmung (vgl. New Hollstein German III.171.1308; III.177.1314).
[8] Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 38,3 sowie Albertina Wien, Inv.-Nr. DG 1929/249.
[9] Staatsbibliothek Bamberg, Sign. IV A 3468; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. A 6654; The British Museum London, Inv.-Nr. R,7.162; Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. DK 457-89; Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sign. PORT_00005021-01.
[10] Albertina Wien, Inv.-Nr. DG 1929/250.
[11] Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 38,2.
[12] Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. A 6658a; The British Museum London, Inv.-Nr. 1870,0625.566.
[13] Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. A 6658; dieser Abzug trägt links neben dem Bildnis das Signet der Cranach-Werkstatt (geflügelte Schlange mit Ring) sowie die typographische Inschrift „Kethe von Bora / D. Mart. Luthers Eheweib / nach Lucas Kranachs Zeichnung. || Halle in Verlag J. Gottfr. Zeidlers / Kunsterfinders“ unter dem Bildnis.
[14] Vgl. Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung der Anna Amalie Bibliothek, Inv.-Nr. Gr 2008, 4851; von der Rahmung blieben nur die unteren Hälften der Seitenlinien erhalten. Der ursprüngliche Namenszug, dessen Reste und Rahmung nun vollständig getilgt sind, wurde typographisch mit einer einzeiligen Suprascriptio angestückt.
[15] Spuren roter Schnittfarbe an Ober- und rechter Seitenkante dieses Abzugs verweisen auf einen ehemaligen Verbund dieses Blattes in Buchform.
[16] Vgl. Wien, Albertina, DG 1929/250.
[17] Ein Gedicht innerhalb des Bildfeldes (wie beim Bora-Holzschnitt Boas Ulrichs) tritt hier allerdings nicht auf.
[18] Das identische, d.h. vom selben Schöpfsieb (!) stammende Papier mit dem Wasserzeichen „Schreitender Bär“ stammt wohl aus einer Berner Papiermühle. Es geht ursprünglich bis um 1465 auf Berner Papiermacher zurück, wurde seit 1520 bis ca. 1580 aber auch von weiteren Papiermühlen in Lothringen, Basel, Kempten (Allgäu), Reutlingen und Straßburg kopiert (vgl. Piccard 1987, S. 7). Dasselbe Wasserzeichen tritt im vorliegenden Pendant (V.D1b) sowie bei dem Georg Pencz zugeschriebenen Holzschnitt (IV.D1) (Minneapolis, Thrivent Collection of Religious Art, Inv.Nr. 01-02) auf.
[19] Doppeladler, bekrönt, mit Initiale „K“ auf Herzschild sowie „J“ und „H“ in den oberen Ecken. Das Papier stammt wahrscheinlich aus der Papiermühle Kempten, möglicherweise von der Hand des Papiermachers Peter Hurn, dessen Tätigkeit um 1586 nachgewiesen ist (vgl. hierzu im Katalog der deutschen Nationalbibliothek: http://d-nb.info/gnd/1054668930, und Petz 2006, S. 288).
[20] Doppeladler, bekrönt mit Initialen „H“ und „E“ in den Ecken unten; möglicherweise ebenfalls ein Kemptener Papier ohne weitere nähere Bestimmung.
[21] Identische Kettlinien-Intervalle, die Orientierung des Papiers sowie ein vermutlich identisches Wasserzeichen (zwei Pferde, bekrönt) dienen als Nachweis.
[22] Vergleichbar dem Bora-Bildnis ist ein stilistisch verwandter Holzschnitt Philipp Melanchthons ([HB_H-NONE-001]). Da dieser jedoch einen Bildnistypus wiedergibt, der in der Cranach-Werkstatt erst ab 1532 nachweisbar ist, muss der Holzschnitt später als die hier behandelten Werke entstanden sein (vgl. hierzu auch die Einleitung zu Bildnisgruppe V).
Quellen / Publikationen:
Passavant IV.19.200; Passavant IV.20.201; Hollstein German IV.260.596; Hollstein German IV.261.597; Hollstein German 176.1313; New Hollstein German 2015b, 175.1312; Schuchardt 1851b, S. 312, Nr. 191; Schmidt 1930, S. 23, Nr. 423 und 424; Ficker 1934, S. 113, Nr. XXI, S. 129, Nr. 167; Schäfer u. a. 2016, Nr. 122; Ausst.-Kat. Minneapolis u. a. 2016, Nr. 231, 232.
- Zuschreibungen
-
Hans Brosamer (?), Inventor*in
Lucas Cranach der Ältere, Inventor*in
Zuschreibungen
Hans Brosamer (?), Inventor*in | [New Hollstein German Hans und Martin Brosamer Part III, 175.1312] [KKL 2022] |
Lucas Cranach der Ältere, Inventor*in | [Passavant IV.19.200] [Dodgson 1911, 321, No. 133] |
- Datierungen
- 1530
nach 1530
Datierungen
1530 | [datiert, KKL 2022] |
nach 1530 | [KKL 2022] |
- Maße
- Darstellung: 326 (+/-5) x 277 (+/-3) mm
Maße
Darstellung: 326 (+/-5) x 277 (+/-3) mm
[Thomas Klinke, KKL 2020]
Satzspiegel: 368 x 290 mm
[KKL 2022]
Darstellung: 356 x 284 mm, ohne untere Inschrift
[New Hollstein, German, Hans und Martin Brosamer Part III, 175.1312]
- Signatur / Datierung
Keine
- CDA ID
- HB_HBroIII-175_1312
- KKL-Nr.
- V.D1a, Teil der Bildnisgruppe V
- Permalink
- https://lucascranach.org/de/HB_HBroIII-175_1312/