"[...] Von diesem Typus existieren zudem sowohl spätere Kopien als auch Varianten, die in Format, Bildausschnitt sowie weiteren Details abweichend gestaltet sind.[1] Während sich zu den Fassungen in Berlin, Regensburg und Dresden Pendants mit der Darstellung Martin Luthers erhalten haben, fehlen diese sowohl für das Münchener als auch das Gothaer Bild. Doch dürften auch diese beiden Bildnisse ursprünglich jeweils als Gegenstück zu einem Porträt des Wittenberger Reformators fungiert haben. Kleinformatige Bildnispaare von Luther und Melanchthon gingen ab 1532 in serielle Produktion und blieben im Hinblick auf das Lutherbild unverändert. Umgekehrt wurde ab 1543 die Darstellung Melanchthons durch die Wiedergabe mit Spitzbart und Barret modifiziert, was sich exemplarisch auf dem Kasseler Täfelchen zeigt (vgl. Kat. Nr. 36). [2]
Jenseits der möglichen Funktion als Freundschaftsbildnis [3] lässt sich dieser Porträt-Typus, dem später weitere folgten, in seinem serienmäßigen Charakter mit aktuellen politischen und konfessionellen Entwicklungen assoziieren: Das Jahr 1532 markierte den Regierungsantritt von Johann Friedrich der Großmütige von Sachsen, der seinen Vater Johann den Beständigen von Sachsen als Kurfürst und Unterstützer der Reformation beerbte. Zuvor hatten sich auf dem Augsburger Reichstag von 1530 wo dem Kaiser die unter Führung Melanchthons verfasste lutherische Bekenntnisschrift der Confessio Augustana präsentiert worden war, die Fronten zwischen den Konfessionslagern weiter verschärft, ein Umstand, der im Jahr darauf in die protestantische Allianz des Schmalkaldischen Bundes mündete. [4] So können die Bildnisse zum einen als politisch motivierter Ausdruck der Verbreitung der neuen Lehre und ihrer Vertreter gelten, deren 'Image' über den Seriencharakter des Bildes im Bewusstsein verankert werden sollte. [5] Zum anderen lassen sie sich als indirekter Ausdruck der Unterstützung des neuen Kurfürsten für die reformatorische Sache begreifen, und dürften als Gaben an gleichgesinnte Fürsten gedient haben. [6]
Technologische und formale Besonderheiten werfen für das Gothaer Porträt, jüngeren Erkenntnissen zufolge, die Frage der Neuzuschreibung auf: [7] so lassen sich u. a. die spezifische Form des Schlangensignets und die mit Punkten versehenen Ziffern der Jahreszahlen mit weiteren Melanchthon- und Lutherporträts sowie anderen thematischen Arbeiten der Cranach-Werkstatt verknüpften und über gesicherte Werke mit einer Autorenschaft des ältesten, früh verstorbenen Cranach-Sohnes Hans in Verbindung bringen. [8] Serielle Porträts wie dasjenige Melanchthons könnten hierbei als Übungsfelder für die standardisierte Cranach-Produktion gedient haben, während die von der Signierpraxis Lucas Cranach d. Ä. abweichende Gestaltung des Werkstattsignets möglicherweise als individuelles Kennzeichen der Mitarbeiter fungierte. [9]"
[1] Zur Übersicht siehe Friedländer, Rosenberg 1979, 131, Nos. 314 - 315
[2] Exhib. Cat. Kronach 1994, 354, No. 178 und Cat. Kassel 1997, 82-86, Nos. 52, 53
[3] Exhib. Cat. Kronach 1994, 354, No. 178
[4] Exhib. Cat. Chemnitz 2005, 477-479, Fn. 11; Exhib. Cat. Munich 2011, 60f., Nos. 5-7
[5] Hinz 1994, 175, Nos. 34, 35
[6] Zu Funktion und Aussage solcherlei Bildgeschenke auch der Aufsatz von Sebastian Dohe in diesem Band.
[7] Heydenreich 2015. Ich danke dem Autor für die Einsicht in den noch unveröffentlichten Aufsatz.
[8] Zuvor waren bereits die oben genannten Dresdner Pendants mit Hans in Verbindung gebracht worden. Exhib. Cat. Chemnitz 2005, 478.
[9] Heydenreich 2015, 135.
[Julia Carrasco, in Exhib. Cat. Gotha, Kassel 2015, 154]