Beim vorliegenden Holzschnitt handelt sich um den ersten datierbaren künstlerischen Reflex auf Lucas Cranachs d. Ä. Darstellung des „Junker Jörg“ (II.D1), die in gedruckter Form vor dem 1. April 1522 vorlag.[1] 1522 erschien auch diese datierte, horizontal gespiegelte Adaption von Lucas Cranachs d. Ä. Holzschnitt, die die Zeichnung von Luthers
Beim vorliegenden Holzschnitt handelt sich um den ersten datierbaren künstlerischen Reflex auf Lucas Cranachs d. Ä. Darstellung des „Junker Jörg“ (II.D1), die in gedruckter Form vor dem 1. April 1522 vorlag.[1] 1522 erschien auch diese datierte, horizontal gespiegelte Adaption von Lucas Cranachs d. Ä. Holzschnitt, die die Zeichnung von Luthers Kopf größengleich, konturgenau und vollständig übernimmt.[2] Spuren des graphischen Übertrags mithilfe einer Reißnadel dürfen, wie bei II.D1, sind ein Indiz dafür, dass entweder in einer Vor- bzw. Pauszeichnung oder in einem Abzug des Holzschnitts von Lucas Cranachs d. Ä. „Junker“ die direkte Vorlage zu finden ist. Der gegenüber Lucas Cranachs d. Ä. Werk in Höhe und Breite erweiterte Bildausschnitt zeigt Luther als Halbfigur statt als Brustbildnis, verzichtet aber auf die Wiedergabe des bei Cranach im Hintergrund dargestellten wolkenverhangenen Himmels. Den Entwurf erweiternd, greift Luthers rechte Hand nun den Knauf eines Schwertes, der gestreckte Zeigefinger seiner Linken scheint nach rechts zu weisen.[3] Luther trägt ein Wams über einem am Kragen geschnürten Hemd.
Vom ersten Plattenzustand dieses „ritterlichen“ Luthers hat sich nur ein Abzug erhalten. Das unikal überlieferte Exemplar im Kupferstichkabinett Berlin[4] weist im freien Bildfeld oben rechts eine prominent platzierte xylographische Jahreszahl „1522“ auf, ihm fehlt wie beim Vorbild Lucas Cranachs d. Ä. ein Monogramm. Die Ecken des Berliner Abzugs sind links oben und unten rechts großflächig verloren und restauratorisch mit einem modernen Papier ergänzt worden; die fehlende Umfassungslinie wurde in diesen Bereichen nachgezogen.
Seitdem Gustav Pauli den Holzschnitt 1911 in die Nachträge seines kritischen Verzeichnisses der druckgraphischen Werke Hans Sebald Behams aufgenommen hat, ist die Zuschreibung kaum bestritten worden,[5] nicht zuletzt, weil Beham mit der reformatorischen Bewegung bekanntlich sympathisierte.[6] Auch wenn Paulis Zuschreibung stilistisch nachvollziehbar erscheint, bliebe ein Porträtholzschnitt, zudem in diesem großen Format, im Gesamtwerk Behams doch ohne weiteres Beispiel.
Abzüge des zweiten Zustands zeigen einen starken Beschnitt des Holzstocks um mehrere Zentimeter an beiden Seiten sowie am oberen Rand.[7] Der Beschnitt oben und rechts wurde gerade so vorgenommen, dass die xylographische Jahreszahl wegfällt. Hierin ein intendiertes Handeln zu lesen, liegt auch insofern nahe, als acht von neun autopsierten Abzügen von diesem Zustand auf ein gleiches bzw. sehr artverwandtes Papier aus Landsberger Mühlen abgezogen wurden, die erst 1550 ihren Betrieb aufnahmen.[8] Anhand identischer Strukturmerkmale[9] sowie ihrer Wasserzeichen (Landsberger Wappen)[10] lassen sich diese Papiere sämtlich in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datieren.[11] Zudem scheinen alle Abzüge des zweiten Zustands auf eine Art Makulaturpapier abgezogen worden zu sein, was als eine Besonderheit gelten darf. Vertikale, feine, zartbraune, mit Tinte gezogene Linien in regelmäßigem Abstand[12] markieren Spalten für die tabellarische Auflistung von kaufmännischen Posten, deren Einheit oder Wert in der folgenden Spalte beziffert wird. Vereinzelt sind die Beschriftungen in diesen Spalten rückseitig noch im Anschnitt lesbar.[13] Die Linien zur Spalteneinteilung finden sich bei manchen Exemplaren auch auf dem Recto des Blattes, im Einzelfall sogar beidseitig, etwa bei einem Abzug aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg,[14] der auf der linken Blattkante einen besonders unregelmäßigen Beschnitt aufweist. Dies kann als Indiz für das Herauslösen des Blattes aus dem Verbund z. B. eines Buchs gelesen werden. Trägt das Recto die Tintenlinien, sind diese mit dem Holzschnitt überdruckt worden.[15] Bei diesen Abzügen des zweiten Plattenzustandes auf Makulaturpapier scheint es sich um Probeabzüge zu handeln, die – möglicherweise aufgrund der Beliebtheit des Motivs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – trotzdem Abnehmer fanden.
Ein weiterer Abzug[16] von erkennbar abgenutztem Zustand des Holzstocks trägt ein bekröntes Wappenschild mit dem Buchstaben „R“ als Wasserzeichen. Als Produzent sind Ravensburger Papiermühlen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert auszumachen. Es sind also mindestens zwei Druckauflagen vom zweiten Zustand des Holzstocks anzunehmen, dessen Stege bereits durch vielfachen Durchlauf in der Druckpresse sichtlich in die Breite gingen.
Daniel Görres, Thomas Klinke
[1] Vgl. die Einleitung zu Bildnisgruppe II.
[2] Die Abweichungen in den Konturen bewegen sich lokal im marginalen Bereich von max. 1 mm. Dabei ist vor allem die Gesichtsmetrik (Augenabstand, Abstand zu Nase und Mund) deckungsgleich. Deutlichere Abweichungen treten in den Binnenstrukturen (Frisur, Stirnfalten, Bart und Schattenschraffuren auf).
[3] Das Schwert als Attribut des Junkers ist bei Cranach nur für die Gemälde Leipzig und Weimar (II.M1 und II.M2) überliefert. Die Haltung von Händen und Schwertknauf beim vorliegenden Schwertknauf entspricht jedoch keiner der beiden gemalten Fassungen.
[4] Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 857-2, Blattmaß: 395/391 x 279/276 mm; das Blatt trägt mittig ein im Streiflicht lokalisierbares Wasserzeichen, welches aufgrund der flächigen Montierung im Passepartout nicht ohne Weiteres näher bestimmbar ist.
[5] Obwohl auch bei Geisberg / Strauss 1974, G. 302, dem Werk Behams zugeordnet, wird dort – anders als noch bei Schmidt 1930, S. 64, Nr. 302 – zumindest die Möglichkeit geäußert, es könne sich auch um ein Werk Cranachs d. Ä. handeln. Hierbei bliebe jedoch offen, warum Cranach einen Nachschnitt seines eigenen Werks hätte anfertigen sollen.
[6] Vgl. grundsätzlich Zschelletzschky 1975 passim, und Ausst.-Kat. Nürnberg 2011.
[7] Maße der Darstellung des zweiten Zustands: 366 (+/-3) x 176 (+/-1) mm.
[8] Vgl. Wasserzeichen-Belegsammlung „Landsberger Wappen: Kreuz auf Dreiberg“ in der Papierhistorichen Sammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig.
[9] Es handelt sich hier um Papiere von auffällig gleicher Dicke (durchschnittlich 0,2 bis 0,3 mm), Struktur (nahezu gleiche Kettlinien-Intervalle sowie Ausrichtung) und Textur, sodass davon ausgegangen werden kann, dass diese einer Quelle (Papiermühle) entstammen.
[10] Die Blätter aus der Klassik Stiftung Weimar, Inv.-Nr. Gr-2008/4822, und der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 45,40, tragen ein identisches Wasserzeichen „einkonturiges Wappenschild (Landsberg), spanische Form mit zweikonturigem griechischen Kreuz auf Dreiberg“ (Landsberger Wappen 1). Da auch alle weiteren strukturellen Merkmale im Papier übereinstimmen, kann festgestellt werden, dass diese Papiere von demselben Schöpfsieb stammen. Dieselbe Übereinstimmung trifft auf die Blätter Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. H 1933, sowie Albertina, Wien, Inv.-Nr. 1936/1133, zu. Beide tragen ein „ausgezacktes Wappen (von Landsberg), nach unten spitz zulaufend, mit eingedrehten Enden, darin lateinisches Kreuz auf Dreiberg“ (Landsberger Wappen 2). Auch sie stammen von demselben Schöpfsieb.
[11] Landsberger Wappen 1: Zehn in Form und Zeichnung identische Wasserzeichenbelege, sämtlich süddeutsch und Innsbruck von 1549 bis 1665 finden sich im WZIS (zuletzt aufgerufen: 03.04.2020). Landsberger Wappen 2: Vier gleiche Wasserzeichen sind für 1579, Augsburg sowie 1583, München belegt WZIS (zuletzt aufgerufen: 03.04.2020).
[12] Die Spaltenbreite beträgt in der Regel 18 (+/- 1) mm; eine breitere Einzelspalte jeweils 33 mm.
[13] So bei Staatsbibliothek Bamberg, Inv.-Nr. I L 49, und Museum Kunstpalast Düsseldorf, Inv.-Nr. KA (FP) 363 D. Bei Letzterem ist die Überschrift „[…] Imm Emmyffangenn […]“ zu lesen. Es folgt eine Auflistung von Dingen mit anschließender Bezifferung.
[14] So bei Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Mp14642.
[15] So bei Museum Kunstpalast Düsseldorf, Inv.-Nr. KA (FP) 363 D; Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Inv.-Nr. 45,40; Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Mp14642; Klassik Stiftung Weimar, Inv.-Nr. Gr-2008/4822.
[16] Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 858-2, Blattmaß: 373/370 x 184/183 mm.
Quellen / Publikationen:
Hollstein German III.223; Pauli 1911, S. 39, Nr. 1112α; Ficker 1920, S. 44–45; Schmidt 1930, S. 64, Nr. 302; Ficker 1934, S. 122, Nr. 76; Geisberg / Strauss 1974, G. 302; Ausst.-Kat. Berlin 1983a, Nr. B76; van Gülpen 2002, S. 150–154; Ausst.-Kat. Eisenach 2015, Nr. 23.
- Zuschreibungen
-
Hans Sebald Beham (?), Inventor*in
Hans Sebald Beham, Inventor*in
Zuschreibungen
Hans Sebald Beham (?), Inventor*in | [KKL 2022] |
Hans Sebald Beham, Inventor*in | [Pauli 1911, S. 39, Nr. 1112α] |
- Datierungen
- 1522
nach 1550
Datierungen
1522 | [datiert, KKL 2022] |
nach 1550 | [Wasserzeichen bestimmer Exemplare] |
1. Hälfte des 17. Jahrhunderts | [Wasserzeichen bestimmer Exemplare] |
- Maße
- Darstellung: 366 (+/-3) x 176 (+/-1) mm
Maße
Darstellung: 366 (+/-3) x 176 (+/-1) mm
[Thomas Klinke, KKL 2022]
- Signatur / Datierung
Jahreszahl „1522“ rechts oben
Signatur / Datierung
Jahreszahl „1522“ rechts oben
[KKL 2022]
- CDA ID
- HSB_HIII-223
- KKL-Nr.
- II.D3, Teil der Bildnisgruppe II
- Permalink
- https://lucascranach.org/de/HSB_HIII-223/