Die Melancholie

"Auch hier dampft teuflische Versuchung hervor. Ein eitel gekleideter Mann wird auf einem Bock von Hexen entführt, Kinder treiben neckische Spiele mit einer Seilschaukel, man weiß nicht woher. Ein Früchteteller und ein Deckelpokal bleiben unberührt. Zwei Rebhühner, wie sie sonst „Quellennymphen“ (aus dem Gefolge der Jagdgöttin Diana) von Cranach beigegeben werden, kontrastieren mit dem trübsinnig-untätigen Jagdhund (vgl. Nr. 544ff., Farbtafel 17).

Die künstlerische Qualität entspricht zwar „eigenhändig“ ausgeführten Cranach-Werken und durfte von der (echten) Cranach-Signatur marktiert werden; sie steht aber nicht ganz auf der Höhe von vergleichbaren Bildern. Hat der ca. 19jährige Hans Cranach mitgearbeitet? Die Weichheit des Pinselstriches könnte von ihm herrühren (vgl. Nr. 473)."

[Koepplin, Exhib. Cat. Basel 1974, 292-293, No. 172]

"Auf Dürers Stich der ‚Melancholie‘ von 1514 (Kat. 152), wohl das am "meisten besprochene und kommentierte Werk der Kunstgeschichte" (Mende) überhaupt, antwortete Cranach gleich mit einer ganzen Reihe von Gemälden, die allesamt zwischen 1528 (FR 1978, 277A) und 1533 entstanden (FR 1978, 277). Da diese Arbeiten innerhalb weniger Jahre und erst mit einigem Abstand zu dem höchst komplexen Gedankenbild des Nürnbergers geschaffen wurden, ist nach einem äußeren Anlass zu fragen, den Koepplin wohl zutreffend in Stellungnahmen Luthers zur Melancholie und ihren negativen Folgen vermutet. Auf ihnen fußend entwarf Cranach seine Gegenbilder zu Dürers neuer, nun positiv gefärbter Deutung des melancholischen Temperaments. Unter Einfluss des Neuplatonismus hatte dieser in seinem Stich die von der Melancholie geweckten schöpferischen Kräfte in den Vordergrund gestellt und damit gleichsam ein programmatisches Bildnis seines Künstler-Ichs hinterlassen…"

[Messling, Exhib. Cat. Brussels, Paris 2010/2011, 233, No. 153]