Prager Retabel [linker Flügel, Fragment]: Weibliche Heilige (Apollonia?)

"Während die Zusammengehörigkeit der vier Fragmente in Prag, Karlsruhe und Aschaffenburg bereits Max J. Friedländer und Jakob Rosenberg erkannten, wurde das fünfte Fragment (in Privatbesitz) erst 2003 im Kunsthandel entdeckt. 2005 waren die Einzelteile erstmals gemeinsam in Prag ausgestellt. Das ursprüngliche Marienretabel, das eine beeindruckende Höhe von etwa 2,20 bis 2,50 Meter aufwies, wird sowohl aus stilkritischen, als auch historischen Gründen zumeist auf die Zeit um 1520 datiert. Dieses Zeitfenster ist jedoch diskutierbar, zumal bisher nicht nachgewiesen werden konnte, wer dieses anspruchsvolle Werk bei Lucas Cranach bestellte. Möglicherweise ist der Auftraggeber in den Reihen der Habsburger zu suchen, da die Prager Marienkapelle traditionell ein Ort des Herrschergedenkens war. Kaiser Maximilian I. hatte mit der Wiener Doppelhochzeit von 1515 eine enge dynastische Verbindung zu den Jagiellonen geknüpft, sein Enkel Ferdinand I. heiratete 1521 Anna von Böhmen und wurde 1527 in Prag zum böhmischen König gekrönt.

Bemerkenswert bleibt das inhaltliche Konzept des Marienretabels, für das Cranach offenbar ein theologisch versierter Berater zur Seite stand. Die Märtyrerinnen der Mitteltafel – die vier virgines capitales Barbara, Katharina, Margareta und Dorothea – sind sowohl durch ihre Attribute als auch durch die in gotischer Missalschrift wie Manuskriptseiten gestalteten Textblätter erkennbar. Agnes und Christina auf den Seitenflügeln lassen sich über den ihnen jeweils zugeordneten Text identifizieren, von Ursula zeugt der Rest ihres Attributs, des Pfeils. Hans Georg Thümmel, der 1994 die erste umfassende Rekonstruktion des Altars vorlegte, charakterisiert die in Latein verfassten Fürbitten als freie Kompositionen aus marianischen Antiphonen. Für die Ansprache der Christina ließ sich nun eine vollständige Quelle ermitteln. (Hesbert 1970, S. 71, Nr. 6278)"

[Horký,Exhib. Cat. Düsseldorf 2017, 182, No. 88]