Diese Pinselzeichnung konzentriert sich ganz auf die Gesichtszüge und gibt Luther mit ernstem Blick wieder und unterstützt den Gesichtsausdruck durch angedeutete Stirn-, Augen- und Glabellafalten. Die braunen Augen sind durch weiße Reflexlichter belebt. Der mit kurzen vertikalen Strichen angegebene Bartschatten wird im Vergleich zu anderen Darstellungen auffallend deutlich formuliert.[3] Mit
Diese Pinselzeichnung konzentriert sich ganz auf die Gesichtszüge und gibt Luther mit ernstem Blick wieder und unterstützt den Gesichtsausdruck durch angedeutete Stirn-, Augen- und Glabellafalten. Die braunen Augen sind durch weiße Reflexlichter belebt. Der mit kurzen vertikalen Strichen angegebene Bartschatten wird im Vergleich zu anderen Darstellungen auffallend deutlich formuliert.[3] Mit schwungvollen Pinselstrichen sind die Haaransätze leicht mit Braun laviert. Das fast pastellartig aufgetragene Inkarnat ist durch sorgfältig dosierte Höhungen akzentuiert und verleiht der Darstellung zusammen mit den in zartem Rot gehaltenen Lippen eine hohe Lebendigkeit. Einen nicht unerheblichen Anteil an der Wirkung der Zeichnung hat das Wechselspiel aus subtil ineinander übergehenden Farbaufträgen im Inkarnat, präziser und scharfer Konturierung der Gesichtsformen, lebendig skizzierten Haaren und einer nur flüchtig angedeuteten Kopfbedeckung. Die präzise Ausarbeitung bleibt dabei auf die Gesichtszüge beschränkt, Barett und Schultern sind nur summarisch mit einfachen, recht breiten Pinselstrichen umrissen.
Bis vor kurzem wurde Pergament als Bildträger angenommen, was jedoch bei einer autopsischen Untersuchung 2017 widerlegt werden konnte.[4] Der Bildträger aus Vergépapier wurde zu einem späteren Zeitpunkt auf ein weiteres Trägermaterial geleimt und zusammen mit diesem auf ein Holzbrett[5] appliziert. Auch mittels Infrarotreflektografie konnte keine Unterzeichnung sichtbar gemacht werden. Sehr wahrscheinlich skizzierte Cranach die Gesichtsformen mit Farbe unmittelbar auf das ungrundierte Papier. Die gesamte Zeichnung ist flächig mit einem nicht näher bestimmten Firnis überzogen, der nicht entstehungszeitlich sein dürfte. Aus der Cranach-Werkstatt sind mehrere in ähnlicher Technik ausgeführte Porträtstudien überliefert, zu denen sich vereinzelt auch Bildnisse erhalten haben.[6]
Wahrscheinlich entstanden diese Porträtstudien nach dem lebenden Modell. Die Gesichtsformen konnten dann, auch mithilfe von Pausverfahren, auf grundierte Holztafeln übertragen werden. Diese Zeichnung stellt die einzige Porträtstudie zu den erhaltenen Luther-Bildnissen dar. Da mit den Holzschnitten Hans Sebald Behams bereits im Jahr 1530 Adaptionen dieser Luther-Bildnisse aus der Cranach-Werkstatt vorlagen,[7] muss diese herausragende Porträtstudie Lucas Cranachs d. Ä. spätestens in diesem Jahr entstanden sein.[8]
Wahrscheinlich fungierte sie als vorbereitende Studie für die Bildnisse der Gruppe V. Die Überblendung der Kontur- und Binnenformen der Studie mit den Gemälden in New York (V.M2) und Kopenhagen zeigt eine weitgehende Deckungsgleichheit. In den Gemälden ist lediglich der Mund etwas schmaler und die Iris des rechten Auges etwas weiter nach innen versetzt. Dadurch wirkt Luthers Miene in der vorliegenden Studie im Unterschied zu den Tafelbildnissen ernster und im Blick konzentrierter. Die Studie scheint demnach bei der Übertragung in eine für die Gemälde verbindliche Vorlage geringfügig modifiziert worden zu sein.[9]
Daniel Görres, Thomas Klinke, Wibke Ottweiler
[1] Vgl. dazu die lang gewachsenen Bartstoppeln auf dem Bad Windsheimer Tüchlein (V.M1).
[2] Die mikroskopische Untersuchung durch Gunnar Heydenreich, Elke Nakath und Daniel Görres im Rahmen der Ausstellung „Cranach. Meister – Marke – Moderne“, Museum Kunstpalast, Düsseldorf, 08.04.–30.07.2017, zeigte Hinweise auf Faserstrukturen entlang der Kanten, die für Vergépapier sprechen. Im Streiflicht zeichneten sich zudem vertikale Linien in einem regelmäßigen Abstand von etwa 23 mm ab, die als Kettlinien der Siebstruktur eines Vergépapiers interpretiert werden können. Diese Untersuchung konnte erst nach Drucklegung des Ausstellungskatalogs erfolgen, weshalb in Ausst.-Kat. Düsseldorf 2017, S. 272–273, Nr. 170, und in Ausst.-Kat. Potsdam 2017, Nr. 1, noch Pergament als Trägermaterial angegeben ist.
[3] Brett und Zwischenschicht sind nicht original. Das Brett trug vormals eine unter der Zeichnung aufgemalte Beschriftung „Martin Luther von Cranach“ in roten und schwarzen Buchstaben (vgl. Koepplin / Falk 1974, S. 282, Abb. 156). Diese wurde jedoch durch Beschnitt entfernt, nur die Oberlängen der Buchstaben sind heute noch am unteren Rand des Brettes zu erahnen.
[4] Von diesen sei exemplarisch die 1527 entstandene Studie zum Bildnis von Luthers Vater Hans (Wien, Albertina, Inv.-Nr. 26156) genannt, das die Grundlage für ein erhaltenes Tafelbildnis lieferte (Eisenach, Wartburg-Stiftung, Inv.-Nr. M0070; vgl. dazu [AT_AW_26156] und [DE_WSE_M0070]). Die Wiener Zeichnung wurde um die Kopfform herum ausgeschnitten und anschließend wieder in dasselbe Blatt hineingesetzt, mit Deckfarben überfasst und schließlich auf ein Untersatzpapier geklebt. Eine Tränkung des Blattes mit Öl, wie im Inventar der Albertina beschrieben, könnte als Hinweis darauf gelesen werden, dass der Pinselzeichnung (als „Ölpause“) die zeichnerische Übertragung von einer Vorlage zugrunde liegen könnte. Nach dem augenscheinlichen Befund heute liegt eine solche Tränkung mit Öl jedoch nicht vor (vgl. dazu [Albertina Sammlungen Online] (Zuletzt aufgerufen: 09.09.2021).
[5] Siehe den Katalogeintrag zu V.D1.
[6] Dass Hans Sebald Beham Kenntnis der in der Cranach-Werkstatt befindlichen Studie selbst gehabt haben könnte, erscheint demgegenüber unwahrscheinlich.
[7] Die Augen- und Mundpartie stimmt bei den Gemälden in Bad Windsheim (V.M1), New York (V.M2) und Kopenhagen ([DK_SMK_KMSsp720]) überein. Die Verwendung der gleichen Vorlage für alle drei Bildnisse ist also naheliegend.