Die Geschichte von Samson und Delilah ist eine der biblischen und klassischen Erzählungen, die zur Verdeutlichung der sogenannten "Weibermacht" bzw. "Weiberlist" herangezogen wurden und als solche in der Kunst und Literatur des Mittelalters und der Renaissance eine weite Verbreitung genossen.[1] Dieses Themenfeld beinhaltet außerdem Themen wie David und Bathseba, Salomons Götzendienst, Herkules und Omphale, Aristoteles und Phyllis, Vergil in einem Korb und andere. Es schildert eine moralisierende und oft humorvolle Umkehr der männlich bestimmten sexuellen Hierarchie. In der Kunst des nördlichen Europas traten diese Szenen von heldenhaften oder weisen Männern unterdrückt von Frauen erstmals in den angewandten Künsten des 14. Jahrhunderts auf und wurden oft als Reihe angeordnet. So etwa beim Maltererteppich von um 1320-30 (Augustinermuseum, Freiburg), der verschiedenen Szenen der Weibermacht zeigt, darunter auch Samson und Delilah.[2] Während des 15. Jahrhunderts blieben diese Themen in den angewandten Künsten populär, angefangen von kleinformatigen Skulpturen bis hin zu Wandgemälden. Im frühen 16. Jahrhundert trugen Kupferstiche und Holzschnitte vom Meister E.S., Lucas von Leyden, Hans Burgkmair und anderen zur Verbreitung des Themas bei. Wie Koepplin ausführte, war Lucas Cranach der Ältere der erste Künstler nördlich der Alpen, der viele Themen dieses Gebiets von den dekorativen und grafischen Künsten in die Tafelmalerei überführte.[3] Gleiches ist bei Samson und Delilah der Fall. Die Tafel des Metropolitan Museums ist eine von drei bekannten Formulierungen des Themas bei Cranach und seiner Werkstatt, daneben existieren Fassungen von 1529 in den Kunstsammlungen und Museen Augsburg,[4] und von um 1537-40, Lucas Cranach dem Jüngeren zugeschrieben, in der Gemäldegalerie Dresden.[5]
Die vorliegende Tafel wurde erst 1962 bekannt als sie als Arbeit Lucas Cranachs des Älteren auf dem Kunstmarkt gehandelt wurde.[6] Jakob Rosenberg - der offensichtlich um das Schlangensignet auf dem Baumstumpf nicht wusste, dessen stehende Flügel eine Datierung vor 1537 nahelegen - vermutete hier die Hand von Lucas Cranach dem Jüngeren und eine Entstehung um 1540 in Anlehnung an die Dresdner Tafel.[7] Koepplin dagegen schrieb die Tafel Cranach dem Älteren zu und datierte sie nach der Augsburger Version, sah jedoch 1540 als zu spät an.[8] Guido Messling sah in dem Gemälde ein Werk Cranachs des Älteren um 1530 und hielt fest, dass der Holzschnitt Lucas von Leydens von 1514 zum gleichen Thema kompositorisch das wichtigste Vorbild darstellte.[9] Die museumeigenen Veröffentlichungen favorisieren eine Zuschreibung an Lucas Cranach den Älteren.[10]
Samson und Delilah des Metropolitan ist gegenüber dem Augsburger Beispiel stilistisch vergleichbar und datiert daher sicher in die gleiche Zeit. Die vorherrschende Meinung, dass die Tafel nach 1529 entstanden sein müsse, resultiert allein aus der Annahme, dass gewisse Kompositionsunterschiede der Tafel - etwa der stärker gestauchte Raum, der höhere Horizont und die blockartigere Anordnung der Philister - auf einen Qualitätsunterschied gegenüber der elaborierteren Fassung aus Augsburg zurückzuführen seien. Doch diese Unterschiede haben weder mit einer chronologischen Abfolge und stilistischen Entwicklung zu tun, sondern mit Umfang und Bedeutung des Auftrags. Die Augsburger Fassung scheint für repräsentative Zwecke benutzt worden zu sein, da seine Provenienz die Ratshalle Augsburgs ausweist, für die die Tafel möglicherweise angefertigt wurde.[11] Auch wenn die genauen Auftragsumstände der Metropolitan-Fassung nicht bekannt sind, so scheint sie einen deutlich bescheideneren Zweck erfüllt zu haben. Die Abweichungen der Gestaltung gegenüber Augsburg können einfach das Resultat einer weniger arbeitsintensiveren Fertigung zu geringeren Kosten sein. Da keine logischen Beziehungen hinsichtlich der Komposition gezogen werden können, muss die Frage, welche Tafel zuerst entstand, einstweilig offen bleiben.
Vergleiche mit anderen datierten Tafeln der gleichen Zeit legen einen Zeitraum von 1528 bis 1530 nahe. Die Tafel "Lot und seine Tochter" von 1528 (Kunsthistorisches Museum Wien) und Aristoteles und Phyllis von 1530 (Privatsammlung) besitzen das gleiche Format und weisen auffällige Ähnlichkeiten in Komposition, Farbpalette, Faltenwurf sowie Figuren- und Gewandtypen auf.[12] Eine Datierung um 1528-1530 deckt sich außerdem mit dem Resultat der dendrochronologischen Untersuchung der Tafel. Diese weist als frühstes mögliches Fälldatum des Baums aus dessen Holz die Tafel gefertigt ist, das Jahr 1525 aus. Besonders interessant ist eine eingeschnitzte H-förmige Markierung auf der Rückseite der Tafel. Sie stammt möglicherweise vom Tafelverfertiger und ist hier erwähnt um ggf. auch auf anderen Cranach-Tafeln identifiziert werden zu können.
Zeitgenössische Quellen zeigen, dass die Geschichte von Samson und Delilah allgemein als Warnung vor dem Geheimnisverrat verstanden wurde, da Samsons Enthüllung der Quelle seiner Kraft ihn gegenüber seinen Erzfeinden verwundbar machte. Sebastian Brants Narrenschiff, erstmals 1494 in Basel publiziert, gab dieser Vorstellung eine weite Verbreitung. Das 51. Kapitel schmückt ein Holzschnitt, der zeigt, wie Delilah Samsons Haare schneidet. Der Text lautet: "Wer nit kan schwygen heymlichkeyt / Vnd syn anschlag eym andern seyt / Dem widerfert, rüw, schad, vnd leydt".[13] Aufschlussreich für die Häufigkeit dieser Idee ist eine Inschrift auf einem Backmodel aus dem Jahr 1510: "Hettestu verswigen dein heimkeit so were dir nit geschen leid". Dies war auch teilweise beim Ratsstubenkontext des Augsburger Beispiels von Bedeutung, wo die Aufforderung die Ratsherren erinnern sollte, Verschwiegenheit über städtische Angelegenheit zu bewahren.[15] Albrecht Dürers Entwurf für die Wandmalerei am Nürnberger Rathaus von 1521, der ebenfalls Samson und Delilah als Teil eines größeren Bildprogramms der Weibermacht darstellte, zeigt ebenfalls die Bedeutung des Themas für einen öffentlich-städtischen Kontext.[16]
Das kleinere Format der vorliegenden Tafel erscheint für einen solchen Kontext ungeeignet, vielmehr ist ein privater Nutzungszusammenhang denkbar, in welchem sie die Botschaft der Verschwiegenheit möglicherweise zusammen mit anderen Themen von Liebestorheit und Weibermacht verbreitete.
Dies würde einem Beispiel wie der Ausschmückung des Ehebettes von Herzog Johann von Sachsen (später Kurfürst, reg. 1525-32) von 1513 folgen. Cranach malte für dieses Bildprogramm verschiedene mahnende Szenen aus Bibel und Mythologie, darunter das Urteil des Paris, Herkules und Omphale und Salomons Götzendienst.[17] Die Weibermacht-Serie Lucas Cranachs des Jüngeren (Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden), zu der auch die oben erwähnte Samson und Delilah-Tafel gehört, wurde wahrscheinlich von Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen (reg. 1532-47) in Auftrag gegeben[18] und zeigt das Interesse an diesen Themen unter den wichtigsten Auftraggebern der Werkstatt. Die vorliegende Tafel mag außerdem als Gegenstück zu einer anderen Heldendarstellung Samsons gesehen werden. Cranachs "Samson erschlägt den Löwen" aus dem Schlossmuseum Weimar passt sehr gut zum New Yorker Beispiel: die Tafelmaße stimmen überein, der Entwurf ist vergleichbar und der Stil verweist ebenfalls auf die späten 1520er Jahre.[19] Eine Gegenüberstellung dieser beiden Szenen würde das Ausmaß von Samsons Abstieg vom Helden zum Narr zusätzlich betonen.[20]
[1] Vgl. S. L. Smith 1995; Bleyerveld 2000; Bleyerveld 2010; zu Samson und Delilah im Speziellen vgl. Kahr 1972.
[2] Eissengarthen 1985, S. 23-30, Abb.
[3] Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, p. 573, unter Nr. 471; zu dieser Nobilitierung als Leitmotiv bei Cranach vgl. Koepplin 2003a.
[4] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 111, Nr. 212, Abb.; vgl. auch Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 573-74, Nr. 471, Abb. 295; Schawe 2001, S. 38, 70, 82, Abb. 69.
[5] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 140, Nr. 357E; vgl. auch Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 574, Nr. 472, Abb. 297; Karin Kolb in Chemnitz 2005-6, S. 218-23, Nr. 4, Abb.
[6] Sotheby’s 1961, S. 47, Nr. 107.
[7] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 111, Nr. 213; die Meinung wird wiederholt von H. Hoffmann 1990, S. 60, unter Nr. 19.
[8] Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 574, unter Nr. 471; Koepplin 2003a, S. 147, 162, Anm. 23.
[9] Messling in Brüssel und Paris 2010-11, S. 217, Nr. 124, Abb. Der Holzschnitt des Lucas van Leyden in Filedt Kok 1996, S. 157, Nr. 176.
[10] Vgl. Baetjer 1980, Bd. 1, S. 36; Metropolitan Museum 1987, S. 109; Baetjer 1995, S. 221.
[11] Vgl. Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 573-74, Nr. 471.
[12] Zum Werk in Wien vgl. Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 110, Nr. 206, Abb.; vgl. auch Karl Schütz in Wien 1972, S. 21-22, Nr. 8, Abb. 7. Für das Beispiel aus privater Hand vgl. Bernard Aikema in Rom 2010-11, S. 247-48, Nr. 38, Abb.
[13] Brant 1494/2004, S. 125; zitiert in H. Hoffmann 1990, S. 60.
[14] Zitiert in Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 574, unter Nr. 471).
[15] Diese Interpretation des Augsburger Gemäldes wurde erstmals erwähnt von Eckhard von Knorre in Bushart 1967, S. 60; vgl. auch Jachmann 2008, S. 122.
[16] The Morgan Library & Museum, New York (vgl. Winkler 1936-39, Bd. 4 [1939], S. 92, Nr. 921, Abb.; Barbara Drake Boehm in New York und Nürnberg 1986, S. 329-30, Nr. 146, Abb.).
[17] Bauch 1894, S. 424-25; Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 563; Arnulf 2004, S. 558-61.
[18] Vgl. Kolb in Chemnitz 2005-6, S. 218-35, Nrn. 4 (Samson und Delilah), 5 (David und Bathsheba), 6 (Salomons Götzendienst), Abb.
[19] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 97, Nr. 140, Abb.; H. Hoffmann 1990, S. 28-29, Nr. 8, Abb. Meiner Meinung nach ist die von Datierung um 1520-25 (Friedländer und Rosenberg; Hofmann) zu früh. Kleinere Version in einer Privatsammlung (Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 97, Nr. 140A; vgl. auch Koepplin in Basel 1974, Bd. 1, Tafel 20, Bd. 2, S. 607, Nr. 514).
[20] Eine solche Gegenüberstellung trat auch in der mittelalterlichen Weibermacht-Ikonografie auf, z.B. beim Maltererteppich in Freiburg (s.o.) und einem süddeutschen Wandteppichfragment von um 1420-30 im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg (Bleyerveld 2000, Abb. 6).
[Cat. New York 2013, 59, 60, 62, 287, 288, No. 12]