Obwohl für den Zeitraum von 1505 bis 1553 mehr als 200 auf Leinwand ausgeführte Gemälde Cranachs d. Ä. und seiner Werkstatt archivalisch belegt sind, haben sich kaum solche Werke erhalten.[1] Dem vorliegenden Bildnis kommt daher nicht nur innerhalb des Korpus‘ der Luther-Bildnisse eine besondere Bedeutung zu.
Es zeigt Luther mit Schaube und Barett, den Blick nach rechts gerichtet, vor einem leuchtend blauen Hintergrund. Das an Wangen und Nase deutlich rot ausgemischte Inkarnat ist durch Weißhöhungen akzentuiert und verleiht der Darstellung zusammen mit den in hellem Rot gehaltenen Lippen eine starke Präsenz. Die akzentuierten Stirn-, Augen- und Glabellafalten und der in kurzen vertikalen Pinselstrichen angelegte Bartschatten, der im Vergleich zu Darstellungen auf den Tafelgemälden hier auffallend deutlich betont ist, unterstreichen diese Wirkung.[2] In das über die Ohren reichende lockige braune Haar haben sich bereits einzelne graue Haare gemischt.
Das Bildnis wurde auf eine feine und dicht gewebte[3], ungrundierte Leinwand[4] gemalt, sodass es als „Tüchlein“ bezeichnet werden kann. Im Infrarotreflektogramm zeigt sich eine zarte, grau-schwarze Unterzeichnung mit dünnem Strich, die sowohl die Außen- als auch wesentliche Binnenkonturen angibt. Eindeutige technologische Hinweise auf eine Übertragung mittels einer Pause sind nicht auszumachen, ihre Verwendung ist aufgrund der hohen Übereinstimmung in Größe und Verlauf der Gesichtskonturen mit den weiteren Exemplaren dieser Bildnisserie jedoch anzunehmen.[5] Der Hintergrund wurde in dunkelblauer Farbigkeit ausgeführt und erscheint heute weniger grünlich als bei den Tafelgemälden.[6] Die dunkelbraun akzentuierten Binnenkonturen wirken stärker betont.
Das Tüchlein ist auf einen Papierbogen geklebt, der heute den Vorsatzspiegel der 1535 bei Hans Lufft erschienen Bibelausgabe in der Übersetzung Luthers (VD16 B 2699) bildet. Dem Bildnis gegenübergestellt ist auf dem fliegenden Blatt des Bandes eine handschriftliche Widmung[7] Martin Luthers an den brandenburgisch-ansbachischen Kanzler Georg Vogler.[8] Dieser hatte Luther als Gesandter auf dem Reichstag in Worms 1521 kennengelernt und förderte ab 1528 die Einführung der Reformation im markgräflichen Franken, wurde jedoch 1533 abgesetzt und zog nach Windsheim, wo er bis 1545 in zweiter Ehe lebte. Vogler reiste 1536 durch Wittenberg, worin der Anlass für die Widmung zu sehen sein dürfte. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Rothenburg ob der Tauber und vermachte seine umfassende Bibliothek der Stadt. Er verfügte testamentarisch, dass seine aus Windsheim stammende zweite Frau eine seiner Bibelausgaben auswählen durfte, sodass anzunehmen ist, dass die Bibel über die Familie der Ehefrau an ihren gegenwärtigen Standort kam,[9] wo sie (samt Bildnis) im 1728 erstellten Inventar erstmals schriftlich erwähnt wird.[10]
Unklar ist, wann Buch, Bildnis und Widmung zusammengeführt wurden. Schnittkanten im nach innen umgeschlagenen Leder des Einbandes sowie Alterungsspuren und Schäden an Gemälde und Papier sprechen dafür, dass der Papierbogen mit dem Bildnis zunächst separat genutzt[11] und erst nachträglich eingesetzt wurde.[12] Aufgrund von Eingriffen im Buchfalz während mindestens zweier Restaurierungen ist auch nicht nachvollziehbar, ob die Papiere, die Bildnis und Widmung tragen, identisch sind.[13] Das Erscheinungsdatum der Bibel 1535 und das angenommene Entstehungsjahr der Widmung im Jahr 1536 liefern somit keine direkten Hinweise für die Datierung des vorliegenden Bildnisses. Der vorliegende Bildausschnitt ist in verschiedenen Vertretern dieser Gruppe im Medium der Malerei und Druckgraphik zwischen 1530 und 1532 belegt, was auch den Rahmen für die Datierung dieses Werkes setzt. Die souveräne Modellierung der Gesichtszüge sowie der äußerst geschickte Einsatz von Weißhöhungen, die sich vergleichbar in der Bildnisstudie aus schottischem Privatbesitz (V.Z1) ablesen lassen, legen eine Beteiligung von Cranach d. Ä. nahe.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Vgl. Heydenreich 2007b, S. 231–233.
[2] Gleiches trifft auf die Zeichnung in Thornhill (V.Z1) zu.
[3] Gewebe in einfacher Leinwandbindung, Dichte ca. 25–30 Fäden/cm2.[e]
[4] Die bemerkenswerte Helligkeit der Leinwand belegt einerseits eindrücklich, dass das Bildnis die überwiegende Zeit geschützt unter Lichtabschluss (im Buchverbund?) aufbewahrt worden sein muss und lässt andererseits annehmen, dass es sich um eine gebleichte Leinwand handelt, die sich für ungrundierte Tüchleinmalerei besonders gut eignete. Für das Jahr 1536 ist belegt, dass Cranach Leinwand aus Ulm und St. Gallen bezog (vgl. dazu Heydenreich 2007b, S. 430 f. und 432), was für seine hochwertigen gebleichten Leinwände bekannt war. Vgl. dazu auch Heydenreich 2017), S. 262 sowie Heydenreich 2008.
[5] Die hohe Übereinstimmung der Gesichtskonturen mit den Tafelgemälden in New York (V.M2) und Kopenhagen ([DK_SMK_KMSsp720]) spricht dafür, dass eine gemeinsame Pausvorlage verwendet worden sein könnte. Die geringfügig in ihrer Höhe zueinander verschobenen Augen der Bad Windsheimer Version könnten durch leichtes Verrutschen der Pause während der Übertragung entstanden sein (vgl. dazu die Überblendungen der Umzeichnung mit den Gemälden.
[6] Dem mikroskopischen Erscheinungsbild nach handelt es sich bei dem Blaupigment um Azurit. Der davon abweichende grünlichere Farbeindruck der Hintergründe auf den Tafelgemälden könnte sowohl auf eine altersbedingte Gilbung von öligem Bindemittel und Firnis als auch auf den feineren Mahlgrad des Blaupigmentes zurückzuführen sein, was zu einer Farbverschiebung ins Grünliche führen kann.
[7] „Joh xix || Mein Reich ißt nicht von dannen || das ißt, Mein reich ist nicht ein || weltlich Reich Warumb? || Darumb, Das ym Weltlichen Reich, das || mehrer teyl sich halten nach des teuffels || reich. Wie ps. 2. Stehet. Warumb toben || die heiden vnd die volcker richten unnützes || Die Könige e[tc.] Aber mein reich || haltet sich ganz nach Gott, wieder den || teuffel || Joh xi || Ich bin das leben vnd auferstehung || Wer an mich gleubet, der sol leben || wenn er gleich stirbet || D Georgio Vogler Amicissimo f [?] || Martinus Luther d“.
[8] Zu Georg Vogler vgl. Huber 2008.
[9] Vgl. Schlosser 1983 [ohne Paginierung].
[10] Das Inventar von 1728 vermerkt unter Nr. 17 „[…] Bibel Lutheri Wittenberg 1535 […] inclusive NB [?] Vornen ist Lutheri Contrefait mit seiner eigenen Handschriftt D. Voglern zu Ehren geschrieben.“
[11] Dabei legt der vergleichsweise gute Erhaltungszustand der empfindlichen Malerei nahe, dass das Bildnis relativ früh geschützt aufbewahrt wurde.
[12] Mehrere in der Leinwand befindliche Knicke und Stauchfalten, auf deren Rücken die Farbe berieben ist, deuten darauf hin, dass die Leinwand nicht immer in der Bibel eingeklebt oder auf einem starren Träger fixiert war. Dies legen auch Insektenlöcher im Trägerpapier nahe, die keine Entsprechung im Buchdeckel der Bibel und dem Papier der Widmungsseite haben.
[13] Vgl. das Zustands- und Restaurierungsprotokoll Nr. 1 von Georg Reinwald, Germanisches Nationalmuseum, 22.12.1982.
Quellen / Publikationen:
Anonym 1868; Enders 1903, S. 282–283, Nr. 2348; Bergdolt 1921, S. 122; Schlosser 1982, S. 146–147; Schlosser 1983; Oberman 1984, S. 31–32; Ausst.-Kat. Berlin 2006, S. 60–61, Nr. I.42; Foresta 2007, S. 134.