Es handelt sich hier um eines von vielen gedruckten oder gemalten Bildnissen Martin Luthers (1483-1546), die von Cranach und seiner Werkstatt ab ca. 1520 gefertigt wurden. Der Reformator und der Künstler standen sich sehr nahe: Cranach fungierte als Luthers Brautwerber als Katharina von Bora in Cranachs Haus in Wittenberg zwischen ca. 1523 und 1525, dem Jahr der Heirat mit Luther. Luther war außerdem Taufpate von Cranachs erster Tochter, geboren 1520.
Als treibende Kraft innerhalb der protestantischen Bildproduktion illustrierte Cranach Bibelausgaben, darunter das "Neue Testament deutsch" (Wittenberg, 1522) und die Predigten, Vorlesungen, polemische Traktate und Flugblätter Martin Luthers. Weiterhin malte er einige Einzeltafeln und Retabeln, die die protestantische Lehre verdeutlichten, darunter die Bildnisse Luthers, die sich abhängig vom Nutzungszusammenhang unterschieden.[1] 1532 kombinierte Cranach eine halbfigurige Darstellung Luthers mit Blickrichtung nach rechts mit einer solchen Melanchthons, dieser jedoch nach rechts blickend. Unter den vielzähligen Versionen dieser Bildpaare werden die Pendants in der Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, zu den frühsten gezählt.[2] Melanchthon war als Theologe und intellektueller Führer der Reformation Luthers wichtigster Gewährsmann. Das Lutherbildnis des Museums gehört zu einer Unterart dieser Gruppe, die einen kleineren Bildausschnitt und ein abweichendes Format aufweist und möglicherweise mit einem Melanchthonbildnis verbunden war.[3] Ein erhaltenes Paar in der Gemäldegalerie, Berlin besitzt sehr ähnliche Maße (37 x 26,6 cm und 37 x 23,5 cm) zu dem des Metropolitan Museums (33,3 x 23,2 cm, die geringere Höhe resultiert aus einer Beschneidung der Tafel entlang des unteren Rands).[4]
Kurt Löcher nahm an, dass sich dieser Bildnistyp Luthers 1532 aufgrund eines neuen protestantischen "Bewusstseinsstands" entwickelt habe, der aus dem Augsburger Reichstag von 1530 resultierte.[5] Mit dieser Versammlung und der Präsentationen der "Confessio Augustana" wurde, laut Löcher, der lutherische Protestantismus eine vom römischen Katholizismus unabhängige Konfession und Kirche.[6] Im Bildnistyp von 1532 trägt Luther das typische schwarze Gewand eines Protestanten und wird mit dem Eindruck ruhiger Überzeugungskraft gezeigt, die den streitbaren Impetus von Cranachs frühen Bildnissen gewichen ist, wie sie etwa der Kupferstich Luthers als Augustinermönch (1520) oder der Holzschnitt Luthers als Junker Jörg (1522) vermittelt.[7] Die Kombination mit den Melanchthonporträts kann laut Löcher ebenfalls auf den Augsburger Reichstag zurückgeführt werden, denn es war Melanchthon, der die Augsburger Konfession aufsetzte und als Vertreter des kurfürstlichen Sachsens und der protestantischen Staaten präsentierte.[8] Kira Judith Kokoska drückte es wie folgt aus: "The intention of pairing the two main Reformers of Wittenberg was likely to represent pictorially the unity of the Protestant movement and the legitimacy of the doctrine which Melanchthon had worked out and set in canonical form."[9] Sie führt außerdem an, dass die Gewährung des Status einer Konfession auf Reichsebene für die Protestanten beim Frieden von Nürnberg 1532 den Bedarf nach einem spezifischen Bildnistyp und schließlich dessen zunehmende Produktion vorangetrieben habe.[10] Die Kombination von Luther und Melanchthon kann, wie Löcher annimmt, kann ebenso auf humanistische Freundschaftsporträts wie sie etwa in der Form von Quentin Metsys' Bildnissen des Erasmus und des Peter Gillis erhalten sind, herrühren (Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Barberini, Rom, und Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen).[11] Indem er Parallele zu den Doppelbildnissen von Kurfürst Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen zieht, bringt Löcher den kurfürstlichen Hof als Impulsgeber für die Bildnispaare Luther und Melanchthons von 1532 in die Diskussion ein, und sieht ihren Zweck vor allem propagandistischer Art um das Image der spirituellen Führer der Reformation zu verbreiten.[12] Auch wenn das Bildnispaar die Idee der Reformation und der Reformatoren als Institutionen manifestierte, bleibt ein konkret verfolgtes propagandistisches Ziel unklar. Robert Scribner vermerkt für die propagandistischen Drucke der Reformation nach 1540, sie seien weniger gedacht um ein reformatorische Bewegung zu etablieren als sie zu konsolidieren.[13] Die "ruhige Überzeugungskraft", wie Scribner es nennt, die den Bildnissen eigen ist, konnte dazu dienen die Idee der neu etablierten Reformation aufrecht zu erhalten und die Moral der Befürworter zu stützen.[14]
Obwohl Max J. Friedländer die vorliegende Luthertafel zunächst als eigenhändiges Cranachwerk von um 1530 erachtete [15], wurde diese Einschätzung im Laufe der Jahre im Lichte der vielfachen Varianten und Werkstattkopien noch einmal überprüft.[16] Das Gemälde zeigt tatsächlich die eher trockenen, harten Konturen einer Kopie. Es existieren fünf Version ungefähr gleichen Formats, vier davon in Öl auf Holz (Auktion Christie’s, London, 7. Juli 1972, Los 75; Statens Museum for Kunst, Kopenhagen; Gemäldegalerie, Berlin; Universitätsmuseum für Bildende Künste, Marburg) und eine weitere Tusche auf Pergament (Sammlung des Herzogs von Buccleuch, Boughton House). Die Version bei Christie's und in Kopenhagen tragen die Cranachsignatur und das Jahr 1532.[17] Die vorliegende Tafel ähnelt am meisten der Kopenhagener Version und der Variante der Buccleuch-Sammlung. Besonders die geschwungene Konturlinie des Kopfes rechts, der Gestaltung der Gesichtszüge, die Anordnung der Haarlocken links und der Bartstoppeln rücken unsere Version näher an die Zeichnung als jede andere Tafel.
Passt man digital die unterschiedlichen Maßstäbe der beiden einander an, so zeigt sich eine fast vollständige Deckungsgleichheit, so dass eine direkte oder indirekte Beziehung bestehen muss. Trotzdem lässt sich kein sichtbarer Beweis für eine mechanische Übertragung an der Tafel ausmachen. Es besteht die Möglichkeit, dass die grauen Lavierungen beim Kopf solche Beweise verdekct haben. Das lebhafte Erscheinungsbild der Zeichnung[18] und das Trägermedium Pergament legen nahe, dass sie der Werkstatt als Vorlage diente, entweder für Lutherbildnisse oder als Gedankenstütze. Falls ersteres zutrifft, folgt die vorliegende Tafel diesem Modell sehr genau.
[1] Vgl. besonders Martin Warnke 1984 und Hess/Mack 2010.
[2] Warnke 1984, S. 62; Karin Kolb in Chemnitz 2005 – 6, S. 474 – 79, Abb. ([DE_SKD_GG1918_FR314-315], [DE_SKD_GG1919_FR314-315]). Weitere Beispiele in der Eremitage, St. Petersburg (nos. ГЭ8600 und ГЭ8601); den Uffizien, Florenz (Nrn. 472, 512); und den Fürstenbergsammlungen Donaueschingen (Nrn. 727, 728). Außerdem einige Einzeltafeln ohne Gegenstück (Werkakte, Department of European Paintings, MMA).
[3] Kein bekanntes Gegenstück des Melanchthonpoträts kann eindeutig mit der vorliegenden Tafel in Verbindung gebracht werden.
[4] Vgl.Gemäldegalerie (Berlin) 1986, Nrn. 617, 619 ([DE_smbGG_617_FR314-315F], [DE_smbGG_617_FR314-315F]). Diese Haltung und Bildausschnitt war durch die Drucke von Heinrich Aldegrever und Hans Brosamerweiter weiter verbreitet. Aldegrever gibt seinem Luther ein Bildnis Melanchthons bei (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg [Nrn. K305, K306]) und Brosamer ein Bildnis der Katharina von Bora (Hollstein 1954 – , Bd. 4 [1957], S. 260 – 61, Nrn. 596, 597).
[5] Löcher 1995, S. 371.
[6] Löcher 1997, S. 149.
[7] Ebd.
[8] Löcher 1995, S. 371.
[9] Kokoska 1995a, S. 9.
[10] Kokoska 1995b, S. 16.
[11] Löcher 1995, S. 371. Vgl. außerdem John Oliver Hand, Catherine A. Metzger, Ron Spronk in Washington and Antwerp 2006 – 7, S. 116 – 21, Nr. 16.
[12] Löcher 1995, S. 371.
[13] Scribner 1981, S. 247 – 48.
[14] Ich danke Joshua Waterman für seine Forschung und Diskussion zu dieser Interpretation.
[15] Max J. Friedländer, unveröffentlicht, Berlin, 6. März 1927 (rückseitig auf einer Fotografie; Kopie in Werkakte, Department of European Paintings, MMA).
[16] Friedländer und J. Rosenberg 1932, S. 75, Nr. 252k; Kuhn 1936, S. 44, Nr. 143; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 130 – 31, Nr. 314F; Baetjer 1980, Bd. 1, S. 37; Baetjer 1995, S. 223.
[17] Die Cranachsignatur auf der Christie’s-Version erscheint suspekt. Die Flügel scheinen gesenkt, zeigen aber trotzdem spitze Ausläufer nach oben. Hier handelt es sich entweder um eine ungewöhnliche Version der Signatur mit gesenkten oder um eine solche mit erhobenen Flügeln.
[18] Schade 1980, S. 53.
[Ainsworth / Waterman 2013, S. 85, Nr. 18]