Bildnis Georg Spalatin / Bildnis Philipp Melanchthon
Um 1530 sahen sich viele Lutheraner in ihrer Hoffnung enttäuscht, eine grundsätzliche Verständigung mit den Schweizer Reformierten einerseits, den Altgläubigen andererseits zu erzielen: 1529 scheiterte das Marburger Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli, auf dem Augsburger Reichstag 1530 wiesen die Katholiken unter Kaiser Karl V. die von Philipp Melanchthon konziliant formulierte und persönlich vertretene „Confessio Augustana“ zurück. Damit war die Entwicklung des Luthertums zu einer selbständigen Kirche vorgezeichnet. In dieser Phase malte Lucas Cranach die Porträts enger Vertrauter und Mitstreiter Martin Luthers. Zu den hier gezeigten Bildnissen Georg Spalatins und Philipp Melanchthons scheint noch ein drittes zu gehören, das die gleiche Konzeption, Größe und Datierung aufweist: das Porträt von Johannes Bugenhagen, heute in der Lutherhalle Wittenberg.[1] Unbekannt ist, ob Cranach die Werke auf Wunsch eines Auftraggebers schuf. Es ließe sich an einen Fürsten denken, haben doch die beiden Karlsruher Gemälde eine bis ins 17. Jahrhundert zurückzuverfolgende fürstliche Provenienz.[2] Offen ist auch, ob zu der Bildnisreihe ursprünglich weitere Porträts zählten. Zumindest das Konterfei Luthers möchte man gedanklich ergänzen.
Georg Spalatin (1484-1545) war nach Jurastudium und Priesterweihe zum Geheimsekretär und Beichtvater Friedrichs des Weisen geworden. Er beriet den Kurfürsten in weltlichen und geistlichen Fragen. Vor allem sorgte er dafür, dass dieser seine schützende Hand über Luther hielt, mit dem Spalatin seit etwa 1515 befreundet war. Nach dem Tod Friedrichs wurde Spalatin Pfarrer in Altenburg, doch blieb er ein bedeutender Ratgeber der Kurfürsten. Ein besonderes Vertrauensverhältnis verband ihn mit dem seit 1532 regierenden Johann Friedrich, den er als jungen Prinzen unterrichtet hatte. In engem Austausch mit Luther organisierte er die Neuordnung der sächsischen Kirche im reformatorischen Sinne. 1537, im Entstehungsjahr des Cranach-Porträts, reiste er mit Luther zum Schmalkaldener Bundestag der protestantischen Länder und Städte. Zur selben Zeit wurde in Dänemark die Reformation eingeführt, woran der Wittenberger Theologe Johannes Bugenhagen (1485-1558), ein anderer enger Vertrauter Luthers, maßgeblichen Anteil hatte.
Philipp Melanchthon (1497-1560) war der neben Luther herausragende Vertreter und Mitbegründer der neuen Lehre. Schon als 18jähriger von Erasmus wegen seiner Gelehrsamkeit öffentlich gelobt, wurde er mit 21 Jahren Professor des Griechischen an der Universität Wittenberg. Sein Lebenswerk war die Synthese von Humanismus und Reformation. Die wichtigen Anstöße, die er zur Verbesserung der Universitäten und des Schulwesens gab, trugen dazu bei, dass der Protestantismus ein wissenschaftliches Fundament erhielt und eine Bildungsbewegung von großer Wirkkraft wurde.
Die Bildnisse Spalatins und Bugenhagens hat Cranach 1537 vermutlich nach dem Leben oder nach vor dem Modell entstandenen Zeichnungen gemalt; weitere Fassungen dieser Werke sind nicht bekannt. Im Falle Melanchthons griff er hingegen auf ein älteres Vorbild, ein Porträt von 1532, zurück. Von diesem Bildnis existieren mehrere Versionen, meist in Kombination mit einem Porträt Luthers.[3] Die Fassung in Dresden trägt die Altersangabe 30, die für das Karlsruher Gemälde offenbar übernommen wurde. Sie ist in beiden Fällen irreführend, denn 1532 war Melanchthon 35, 1537 folglich 40 Jahre alt. Die Inschrift LVCA CRONACHIO PICTORE dürfte sich auf den älteren Cranach, das Oberhaupt der Werkstatt, beziehen. Sein gleichnamiger, damals 21jähriger Sohn mag allerdings bei der Ausführung beteiligt gewesen sein.[4] Die Farbe ist jeweils recht dünn aufgetragen. Durch Infrarotreflektographie lässt sich eine kräftige Unterzeichnung sichtbar machen.[5]
Die Verbindung von Bild und lateinischem, in Kapitalisbuchstaben geschriebenem Text ist ein Kennzeichen des Humanistenporträts. Nichts deutet darauf hin, dass es sich bei den hier Dargestellten um Reformatoren handelt. Erst später entwickelten Lucas Cranach d. J. und andere den Typus des Reformatorenbildnisses: großformatig, die Heilige Schrift an zentraler Stelle eingefügt, die Porträtierten zunehmend unnahbar und denkmalhaft.[6] Die beiden Karlsruher Gemälde gehören erkennbar einer früheren Phase an: Spalatin und Melanchthon sind ohne Attribute und autoritäre Züge ins Bild gesetzt. Sie wirken – bei allem Selbstbewusstsein – bescheiden und verbindlich.
Holger Jacob-Friesen
[1] Max J. Friedländer/Jakob Rosenberg: Die Gemälde von Lucas Cranach, Basel, Boston, Stuttgart 1979, Nr. 351.
[2] Sie befanden sich wahrscheinlich im Besitz der Herzöge von Sachsen-Lauenburg und gelangten durch die Heirat von Prinzessin Sibylla Augusta mit Ludwig Wilhelm von Baden 1691 in die Sammlung der Markgrafen von Baden-Baden. Auf der Rückseite des Melanchthon-Porträts befindet sich, eingedrückt in roten Siegellack, das badisch-sachsen-lauenburgische Allianzwappen.
[3] Friedländer/Rosenberg 1979 (wie Anm. 1), Nr. 314-315 sowie die Fassungen A-C; vgl. auch Sibylle Harksen: Bildnisse Philipp Melanchthons, in: Philipp Melanchthon. Humanist, Reformator, Praeceptor Germaniae, hrsg. vom Melanchthon-Komitee der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1963, S. 270-287.
[4] Zur Zuschreibung an Lucas Cranach d. J. vgl. Friedländer/Rosenberg 1979 (wie Anm. 1), S. 140; Irmgard Höß: Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1989, S. XXXVII.
[5] Aufnahmen im Archiv der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Die Ergebnisse einer 1981 von Peter Klein, Hamburg, durchgeführten dendrochronologischen Untersuchung der Buchenholztafeln bestätigen die Datierung 1537.
[6] Vgl. Kurt Löcher: Humanistenbildnisse – Reformatorenbildnisse. Unterschiede und Gemeinsamkeiten, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hrsg.): Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, 3. Folge, Nr. 208), Göttingen 1995, S. 352-390.