Das Gemälde stellt Martin Luther in Mönchskutte und mit Doktorhut dar, unter dem sich im Nacken das lang gewachsene Haupthaar zeigt. Das Bildnis reiht sich in eine kleine Gruppe von Gemälden (I.6M1–I.6M3) ein, die Luther mit Habit vor hellgrünem Grund zeigen.[3] Hierin entsprechen alle drei Exemplare der Hintergrundgestaltung der frühen Luther-Bildnisse aus der Cranach-Werkstatt bis 1525.[4] Während die Bildmaße der drei Versionen voneinander abweichen, zeigt das eigentliche Porträt Luthers bei allen Werken den gleichen Darstellungsmaßstab.[5]
Das vorliegende Bildnis wurde auf einem hochrechteckigen Lindenholzbrett mit vertikalem Faserlauf ausgeführt, welches rückseitig umlaufend gefalzt ist. Lucas Cranach d. Ä. verwendete bis etwa 1520 häufig Lindenholz, während ab etwa 1520 bis um etwa 1535 vor allem für kleinformatige Bildnisse Buchenholz deutlich überwog.[6] Unter den erhaltenen Luther-Bildnissen tritt in diesem Zeitraum ausschließlich Buchenholz als Bildträger auf. Lindenholz fand in dieser Zeit vorzugsweise für größere, aus mehreren Brettern zusammen gesetzte Tafeln Verwendung, allerdings bestätigen mehrere Beispiele den Einsatz auch für kleinformatige Bildnisse.[7]
Die in einem flüssigen schwarzen Medium ausgeführte, prägnante Unterzeichnung ist durch den Wechsel von lang durchgezogenen und sehr kurzen, schraffurartig gesetzten Pinselstrichen gekennzeichnet. Damit unterscheidet sie sich zwar deutlich sowohl von den Luther-Bildnissen der anderen Bildnisgruppen als auch von anderen Lucas Cranach d. Ä. zugeschriebenen Bildnissen, doch zeigen sich Ähnlichkeiten zur Unterzeichnung des Nürnberger Augustinermönchs (I.6M1).[8] In der Überblendung der Infrarotreflektogramme des vorliegenden Bildnisses, des Nürnberger Augustinermönchs (I.6M1) und der Wittenberger Darstellung (I.6M3) zeigen sich geringe Abweichungen, vor allem an Ohr, Mund und Schulterlinie (vgl. Einleitung zu Bildnisgruppe I). Zwar zeigt sich eine recht hohe Ähnlichkeit mit dem Wittenberger Exemplar (I.6M3) in der ausgeführten Malerei, aufgrund der abweichenden Bildanlage ist jedoch nicht auf eine gemeinsame Pause zur Übertragung zu schließen. Vielmehr könnte das vorliegende Bildnis in Kenntnis von I.6M3 entstanden sein.
Die grundsätzliche Auffassung der Physiognomie entspricht in der malerischen Umsetzung der der beiden anderen Gemälde, fällt aber durch Eigenheiten wie die hochgezogenen Mundwinkel und die ausgeprägten Stirnwülste auf.[9] Die Gestaltung der Reflexlichter in den Pupillen durch ein aufgesetztes weißes Rechteck mit zwei schwarzen Strichen, die ein Fensterkreuz andeuten, ist unikal unter den Luther-Bildnissen, aber nicht innerhalb der Cranach-Werkstatt.[10] Die in der oberen linken Bildecke in schwarz aufgebrachte Jahreszahl „1517“ sowie das Schlangensignet mit aufgerichteten Flügeln über Luthers rechter Schulter wurden schon 1974 von Dieter Koepplin als falsch erkannt.[11]
Die gegenwärtigen Befunde lassen eine Entstehung vor 1525 in der Werkstatt oder im Umkreis plausibel erscheinen.[12] Eine Entstehung vor den Junker-Bildnissen ist unwahrscheinlich, da diese zumindest indirekt als Vorlage gedient haben dürften.
Das vorliegende Porträt könnte einem Luther-Bildnis gleichen Formats aus dem Bestand der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha[13] als Vorbild gedient haben, das zwar die Jahreszahl 1524 trägt, die aber ebenfalls später aufgebracht sein dürfte.[14] Der Maler der Gothaer Tafel erweitert den Bildausschnitt nach unten und ergänzt eine Hand Luthers mit Schriftrolle sowie – seitlich des Kopfes – die Initialen des Dargestellten.[15] Diesem Bildnis ist eine weitere Kopie aus Privatbesitz an die Seite zu stellen, bei der Luther statt der Schriftrolle ein Buch trägt.[16]
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Klein 16.11.1993 bestimmt den Bildträger als Lindenholz.
[2] Vgl. Aukt.-Kat. London 2017, Los 6.
[3] Das Gemälde selbst stand für eine Untersuchung nicht zur Verfügung. Die Befunde stützen sich auf das dem Projekt zur Verfügung gestellte Material, vgl. Cranach Digital Archive: https://lucascranach.org/de/PRIVATE_NONE-P201.
[4] Auch die beiden Bildnisse Luthers als „Junker Jörg” (II.M1 und II.M2) sowie die frühen Ehebildnisse (III.M7–III.M10) sind auf grünem Fond gemalt. Ab 1525 wird dieses durch ein helles Blau abgelöst (III.M1–III.M6b; III.M11–III.M19).
[5] Das vorliegende Bildnis ist nur geringfügig kleiner als das Nürnberger Bild. Der deutliche Größenunterschied zur Wittenberger Version ist wohl auf die spätere Formatbeschneidung des Letzteren zurückzuführen; vgl. dazu den Katalogeintrag zu I.6M2.
[6] Ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Buchenholz als Bildträger für Gemälde und der Verlegertätigkeit Cranachs wurde von Heydenreich 2007B, S. 29–32, vorgeschlagen.
[7] Vgl. dazu das Bildnis des Pfalzgrafen Philipp bei Rhein ([DE_smbGG_601)]) sowie die Bildnisse Georg und Apollonia von Wiedebachs ([DE_MdbKL_762] und [DE_MdbKL_763]), die jeweils auf umlaufend gefalzten Lindenholzbrettern vergleichbarer Abmessungen ausgeführt sind. Andere Tafeln desselben Formats wurden aus zwei ([UK_NGL_1925]) oder gar drei ([DE_BRD-KSVC_M326]) Brettern zusammengesetzt.
[8] Neben längeren, geschwungenen Pinselstrichen im Kinnbereich sind auch die einzelnen Haarlocken in der Stirn in ähnlicher Weise wiedergegeben wie beim Nürnberger Augustinermönch. Die Schraffuren, mit denen beim vorliegenden Bildnis einzelne Gesichtsbereiche angegeben sind, die später durch Schattierungen plastisch ausgearbeitet werden sollten, fehlen in der Nürnberger Version. Auch lassen sich Gemeinsamkeiten mit Unterzeichnungen von Werken erkennen, die dem sogenannten „Meister der Gregorsmesse“ zugeschrieben werden: So finden sich die Schraffuren beispielsweise in der „Messe des hl. Gregor mit Kardinal Albrecht von Brandenburg“ (Cranach Digital Archive: https://lucascranach.org/de/DE_BStGS_6271) wieder. Die Unterzeichnung des Porträts Albrechts von Brandenburgs ist in ganz ähnlicher Weise ausgearbeitet. Beide Unterzeichnungen scheinen nicht frei ausgeführt, sondern von einer Vorlage abgezeichnet oder mit einer Pause übertragen worden zu sein, wobei die Übertragungslinien in einem eigenen Arbeitsschritt mit dem Pinsel übergangen worden sein dürften.
[9] Im Vergleich mit dem Nürnberger Exemplar (I.6M1) fällt die flacher gestaltete Kapuze auf. Da das Bildnis im Rahmen des Projektes für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stand, war eine vergleichende Auswertung der Maltechnik nicht möglich.
[10] Beim Nürnberger Augustinermönch (I.6M1) und den „Junker Jörg”-Bildnissen (II.M1, III.M2) werden die Reflexlichter durch vier aufgesetzte Pinseltupfer wiedergegeben, in den später entstandenen Luther-Bildnissen sind diese durch zwei neben die Pupillen gesetzte sichelförmige Pinselstriche ersetzt. Die Gestaltung der Lichtreflexe in Form von Fensterkreuzen tritt innerhalb der Cranach-Werkstatt, aber auch an anderen Werken auf.
[11] Vgl. Koepplin / Falk 1974, S. 100, Nr. 43.
[12] Bei einer Entstehung in der Cranach-Werkstatt spräche die flüssige Pinselunterzeichnung eher für eine frühe Datierung, da diese bei Luther-Bildnissen ab 1525 nicht mehr auftritt.
[13] Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Malerei auf Lindenholz, 37 x 24,3 cm; Inv.-Nr. 57/16); vgl. zu diesem Bildnis Rogge 1982, S. 184, und Ausst.-Kat. Gotha 1994, Nr. 1.16.
[14] Schuchardt 2004, S. 19, und ders. 2015, S. 37, hält es für möglich, dass diese Datierung auch für das vorliegende Bildnis zutrifft.
[15] Die für diese Tafel in Erwägung gezogene Zuschreibung an den Dürer-Schüler Crispin Herrant, der seit 1529 Hofmaler Albrechts von Preußens in Königsberg war, basiert auf dem stilistischen Vergleich mit den wenigen Herrant zugewiesenen Werken, ist aber wenig überzeugend; vgl. Ausst.-Kat. Gotha 1994, S. 49.
[16] Malerei wohl auf Eichenholz, 35,8 x 25,1 x 0,6 cm; vgl. das Gutachten des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft vom 30.10.1987 im Archiv Dieter Koepplins. Das Gemälde wurde von Dieter Koepplin als Kopie nach Lucas Cranach d. Ä. eingeordnet, die Signatur erachtet er als nicht authentisch.
Quellen / Publikationen:
Koepplin / Falk 1974, Nr. 43; Friedländer / Rosenberg 1979, Nr. 147; Ausst.-Kat. Hamburg 2003, Nr. 43; Schuchardt 2004, S. 18–19; Ausst.-Kat. Frankfurt 2007, Nr. 38; Ausst.-Kat. Eisenach 2015, S. 35; Aukt.-Kat. London 2017, Los 6; Aukt.-Kat. New York 2018, Los 9.