Lucas Cranach der Ältere begann mit der Darstellung von Venus und Amor als Honigdieb in der Mitte der 1520er Jahre.[1] Nach der Zahl der überlieferten Beispiele zu urteilen, gehörte das Sujet zu den beliebtesten seiner Werkstattproduktion.[2] Die Erzählung basiert auf dem 19. Idyll des Theokrit, die davon erzählt wie Amor von Bienen gestochen wurde als er ihren Stock auf der Suche nach Honig zerstörte. Anschließlich beklagte er seinen Schmerzen, die durch so kleine Wesen ausgelöst wurden. Venus vergleicht Amor amüsiert mit den Bienen, indem sie anmerkt, dass auch er klein sei und als Gott der Liebe ebenfalls viele Schmerzen verursache.[3] Der lateinische Vierzeiler in Cranachs Gemälden ist eine Adaption der Verse Theokrits durch den Dichter Georg Sabinus.[4]
Zeitgleich mit dem Auftreten des Themas in Cranachs Gemälden studierte Sabinus in den 1520er Jahren griechische Literatur an der Wittenberger Universität unter Philipp Melanchthon. Es wird angenommen, dass Melanchthon als Freund Cranachs, diesem Sabinus' Verse zur Kenntnis brachte und ihn in diesem Zusammenhang beriet.[5] Während die erste Hälfte von Sabinus' Vierzeiler die Geschichte Theokrits zusammenfasst ("Als Amor Honig stahl aus dem Bienenstock, / stachen die Bienen den Dieb in den Finger"[6]), enthält der zweite Teil eine direkte Warnung ("Ebenso suchen wir vergängliche und gefährliche Freuden, / die gemischt sind mit Trauer und Schmerz"). Die Warnung zielt klar auf die sexuellen und, allgemeiner, die weltlichen Verlockungen ab, die sich in der Figur der Venus manifestieren. Diese blickt den Betrachter in vielen Versionen direkt an, was die Gemälde einerseits visuell verführerisch und andererseits moralisch abschreckend wirken lässt. Dies stellt eine Adaption einer moralisierenden Darstellung dar, die Cranachs erste Fassung der Venus und des Amors von 1509 zeigt (Eremitage, St. Petersburg). In dieser hält die Göttin ihren Sohn zurück, der im Begriff ist seinen Bogen zu spannen, während die Inschrift den Betrachter warnt.[7]
Obwohl das vorliegende Werk im Katalog der Lehmann Collection von 1998 Cranach und seiner Werkstatt zugeschrieben und aufgrund der Inschrift auf 1530 datiert wurde [8], zeigten eine genauere technische Prüfung, dass es sich um eine alte Kopie eines verlorenen Originals handelt, wie bereits Dieter Koepplin 1976 vermerkte.[9] Dendrochronologische Untersuchungen des originalen Eichenholzträgers, weisen als frühstes möglichstes Fälldatum des Baumes 1570 aus; am plausibelsten wäre sogar 1580 oder später.[10] Außerdem ist die Technik zum Aufbau der Inkarnate abweichend von der üblichen Art der Cranachwerkstatt, sei es unter Cranach d. Ä. oder Cranach d. J.. Wo bei den Cranachs die Inkarnate mittels dünnen, lasierend aufgetragenenen schichten von Grau, Braun, Rosa und Weiß über einem hellen Grundton aufgebaut sind (mit stärkerer Betonung auf Rosa und Rot in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter Cranach d. J.), zeigt das vorliegende Beispiel dick, pastose und opak aufgetragene Farben, die sich aus einer Palette aus Brauntönen zusammensetzen.[11]
Allgemein ist der Farbauftrag hier breiter und summarischer als der präzise Farbauftrag, der typisch für Cranach und seine Werkstatt wäre. Dies wird zum Beispiel offensichtlich bei Amors Ohr und seiner rechten Hand, Venus' Gesicht und die schnell umrissene Stadtansicht rechts. Der Vergleich mit guten eigenhändigen Werken dieses Themas, wie dem aus einer Privatsammlung von 1529 [12], zeigen deutlich die fehlende Nähe zu Cranachs Arbeitsweise.
Eine fast identische Version der Komposition, vormals in der Björnstjerna-Sammlung, Stockholm, ist ebenso mit der geflügelten Schlange und dem Datum 1530 versehen, zeigt aber auch Anzeichen für ein deutlich späteres Entstehungsdatum.[13] Koepplin sieht in ihr ebenfalls eine alte Kopie nach verlorenem Original.[14] Es zeigt eine summarische Behandlung anatomischer Eigenschaften, des Buschwerks und der Landschaft und Gebäude im Hintergrund. Der durchsichtige Schleier, der der Venus beigegeben ist, tritt regelmäßig in den Jahrzehnten um 1600 auf.[15] Wie das vorliegende Beispiel ist auch die Tafel, die sich ehemals in Stockholm befand, auf Eichenholz mit horizontaler Maserung quer zur längeren Bildseite gemalt. Dies ist eine ungewöhnliche, da der Maserungsverlauf meistens parallel zur längeren Seite der Tafel ausgerichtet ist. Dendrochronologische Untersuchungen zeigen ein mögliches Fälldatum des Baums zwischen 1607 und 1637.[16] All diese Aspekte legen die Vermutung nahe, dass die beiden Versionen von der gleichen Hand stammen - vom selben Kopisten, der vor einem verlorenen Original arbeitete und dies um 1607.[17] Die etwas frühere dendrochronologische Datierung der Tafel aus dem Metropolitan Museum legt nur einen terminus post quem fest und widerspricht dem daher nicht.
Ein anhaltendes Interesse an dieser Komposition ist außerdem durch die Existenz noch einer weiteren Kopie belegt, möglicherweise aus dem späten 17. oder dem 18. Jahrhundert stammend, deren momentaner Standort unbekannt ist.[18] 1957 fertigte Pablo Picasso eine Gouache nach dem Abdruck der Lehmann-Tafel in einer Zeitschrift an.[19]
[1] Die vorliegende Diskussion dient als Ergänzung des Eintrags von Charles Talbot aus dem Jahr 1998 im Katalog der Robert Lehman Collection (Sterling et al. 1998, S. 43 – 47, Nr. 9). Sie liefert bibliografisch den neuesten Stand und neue Argumente für zuschreibungen und Datierungen.
[2] Vgl. die Auflistung bekannter Versionen in Herrmann Fiore 2010, S. 111 – 12. Das frühste bekannte Beispiel, heute in der National Gallery, London, datiert um 1526; vgl. Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 119, Nr. 246L; Caroline Campbell in London 2007, S. 80 – 83, Nr. 2, Abb. Für eine breitere Behandlung dieses Themas vgl. Dieter Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 655 – 56, unter Nr. 569; Koepplin 2003b, S. 37 – 51; Pérez d’Ors 2007, S. 85 – 88; Herrmann Fiore 2010, alle mit Verweisen auf ältere Literatur.
[3] Theocritus 1952 (Hg.), Bd. 1, S. 147: “A cruel bee once stung the thievish Love-god as he was stealing honey from the hives, and pricked all his finger-tips. And he was hurt, and blew upon his hand, and stamped and danced. And to Aphrodite he showed the wound, and made complaint that so small a creature as a bee should deal so cruel a wound. And his mother answered laughing, ‘Art not thou like the bees, that art so small yet dealest wounds so cruel?’”
[4] Für Sabinus' Autorenschaft vgl. Bath 1989, S. 66 – 69 (basierend auf Hutton 1941, S. 1041, Nr. 16; Hutton 1980, S. 112, Nr. 16), und die Korrekturen durch Pérez d’Ors 2007, S. 87 – 88, 91 – 95. Der Vierzeiler qurde publiziert in Sabinus’s Poemata (Straßburg, 1538), fol. L6v (und spätere Ausgaben). Wie Charles Talbot in Sterling et al. 1998, S. 44 vermerkt, beinhaltet die Version des Textes bei der Metropolitan-Version die Textvarianten "sedvla pvnxit" and "moritvra" an Stelle des üblichen "cvspide fixit" and "peritvra."
[5] Vgl. Bath 1989, S. 68 – 69; Pérez d’Ors 2007, S. 87 – 88. Koepplin 2003b, S. 37 – 38, hat sowohl Melanchthon als auch den kurfürstlichen-sächsischen Sekretär und Hofhistoriografen Georg Spalatin als möglichen Berater ausgemacht.
[6] Diese ersten beiden Verse entlehnt und modifiziert Sabinus von Ercole Strozzis Theokrit-Übersetzung, publiziert 1513 (vgl. Leeman 1984, S. 275).
[7] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 72, Nr. 22, Abb.; Bierende 2002, S. 217 – 19. Der lateinische Text der Inschrift: "Pelle cvpidineos toto conamine lvxvs / Ne tua possideat pectora ceca venvs."
[8] Talbot in Sterling et al. 1998, S. 43 – 47, Nr. 9. Dies ist die allgemeine Annahmen; vgl. auch Neumann 1909, S. 19 – 21, Nr. 26; Friedländer und J. Rosenberg 1932, S. 67 – 68, Nr. 204e; V. Campbell 1957, S. 29; Charles Sterling in Paris 1957, S. 7 – 8, Nr. 9; Cincinnati 1959, S. 20, Nr. 120; New York 1960, o.P., Nr. 15; Descargues 1961, S. 59; Russoli 1962, Tafel 163; Szabó 1975, S. 90; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 118 – 19, Nr. 246E; Baetjer 1980, Bd. 1, S. 36; Hutton 1980, S. 131; Görel Cavalli-Bjorkman in Stockholm 1988, S. 133 – 35; Baetjer 1995, S. 220; Bettina Back in Köln und Antwerpen 2000 – 2001, S. 280 – 81, Nr. 25; Back in München 2001, S. 152 – 53, Nr. 11; Pérez d’Ors 2007, S. 86, Nr. 1; Herrmann Fiore 2010, S. 111.
[9] Koepplin in Basel 1974, Bd. 2 (1976), S. 787, Nr. 1.
[10] Holzartbestimmung und dendrochronologische Untersuchung durch Peter Klein, Universität Hamburg (Bericht, 12. Mai 1997, Werkakte, Department of European Paintings, MMA). Kleins dendrochronologische Analyse weist als frühstes Fälldatum 1568, als frühstes Fertigungsdatum 1570 und als plausibelstes Fertigungsdatum 1580 oder später aus.
[11] Für eine Diskussion der vielfältigen Techniken des Inkanrataufbaus in Cranachs Werkstatt vgl. Heydenreich 2007b, S. 193 – 207. Im Gegensatz zur Aussage von Charles Talbot in Sterling et al. 1998, S. 47 findent sich keine Retuschen beim Gesicht der Venus.
[12] Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 118, Nr. 246B; Bodo Brinkmann in Frankfurt and London 2007 – 8, S. 352 – 53, Nr. 112, Abb.
[13 Stockholm 1966, S. 513, Nr. 1289; Friedländer und J. Rosenberg 1978, S. 118, Nr. 246D; Auktion, Christie’s, London, 30. November 1979, Nr. 71, Abb. (ehemals Graf Carl Björnstjerna). Ich danke Gunnar Heydenreich für das Teien seiner Kenntisse der Tafel aus erster Hand.
[14] Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 787, Nr. 1.
[15] Vgl. z. B. das Gewand der Ceres in Bartholomäus Spranger, Sine Cerere et Baccho Friget Venus (ohne Ceres und Bacchus, Venusfries), ca. 1590, Kunsthistorisches Museum, Wien (Kaufmann 1988, S. 265, Nr. 20.48, Abb.).
[16] Bericht von Ian Tyers, Dendrochronological Consultancy Limited, Sheffield, August 2010 (Kopie in der Werkakte, Department of European Paintings, MMA).
[17] Die mutmaßlich Rudolfinische Provenienz des vormals Björnstjerna-Gemäldes legt die Vermutung nahe, dass eine Verbindung zwischen dem Maler und Kaiser Rudolf II (reg. 1576 – 1612) bestand, der ein bedeutender Sammler deutscher Gemälde des frühen 17. Jahrhunderts war. So beauftragte er beispielsweise den Hofmaler Joseph Heintz d. Ä. mit der Kopie eines Cranach-Gemäldes (Salome mit dem Kopf Johannes' des Täufers, ca. 1601 – 2, Kunsthistorisches Museum, Wien; vgl. Kaufmann 1988, S. 191, Nr. 7.28, Abb.).
[18] Datiert (fälschlicherweise) 1530, Öl auf Holz, 35 × 21,5 cm (Angaben stammen von Fotografien in der Sperling-Akte, Department of European Paintings, MMA).
[19] Vgl. Koepplin in Basel 1974, Bd. 2, S. 787, Nr. 1, Abb. 360; Talbot in Sterling et al. 1998, S. 47.
[Waterman, Cat. New York 2013, 92-93, 292, 293]