Das Bildnis Luthers zeigt den Reformator mit schwarzem Barett und Schaube in der Weise, wie es für die Bildnisgruppe IV üblich ist,[1] wohingegen Philipp Melanchthon mit grauem kurzem Bart und einem offenen, am Kragen gefälteten Hemd gezeigt wird, das er über einer pelzbesetzten Schaube trägt. Ein solcher Darstellungstypus wurde erst Ende der 1540er Jahre in der Cranach-Werkstatt entwickelt und in den darauffolgenden beiden Jahrzehnten genutzt.[2]
Beide Bildnisse sind auf jeweils einem hochrechteckigen astfreien Lindenholzbrett mit vertikalem Faserverlauf ausgeführt. Mit fast 40 cm Höhe und knapp 23 cm Breite sind die Bretter schmaler als die anderen, auf Buchenholz ausgeführten Werke dieser Gruppe.[3] Die Rückseiten sind grob geglättet und umlaufend auf etwa 4 mm Kantenstärke abgefast.[4]
Die kräftige Grundierung bildet einen markanten Grundiergrat in etwa 5 mm Abstand zu den Tafelrändern, dem der Farbauftrag folgt.[5] Die im Infrarotreflektogramm gut sichtbare Unterzeichnung des Luther-Bildnisses weist gleichmäßig dünne Linien auf, die die wesentlichen Gesichtskonturen angeben. Im Unterschied zu den Unterzeichnungen der bis um 1530 in der Cranach-Werkstatt entstandenen Luther-Bildnissen sind hier andere Details angegeben.[6] Dennoch weisen die in der Malerei ausgeführten Gesichtskonturen eine hohe Deckungsgleichheit zu den Vergleichswerken der Bildnisgruppe IV auf.[7] Das Melanchthon-Pendant scheint dagegen nicht oder mit einem im Infrarotreflektogramm nicht darstellbaren Medium unterzeichnet zu sein.[8]
In ihrer Malweise zeigen die beiden Bildnisse sowohl untereinander als auch zu den Werken der Bildnisgruppe IV deutliche Unterschiede. Die lasierend modellierten Inkarnate der Vergleichswerke wirken plastischer und lebendiger als die wohl Nass in Nass ausgemischten Inkarnate der Dessauer Bildnisse. Auch die pastos aufgesetzten Feinheiten wie einzelne Härchen, Glanz- oder Reflexlichter fehlen hier.[9] Das Gesicht Melanchthons wirkt aufgrund fehlender Konturangaben besonders flach und leblos, die Farbigkeit erscheint zudem ungewöhnlich warmtonig. Der Hintergrund ist zwar stellenweise übermalt, allerdings scheint die dunkelgrüne Farbigkeit wie auch die Inschrift in ihrem dunklen Gelbton ursprünglich zu sein, was die entstehungszeitliche Zusammengehörigkeit der Bildnisse in Frage stellt. Unklar ist, ob die in Schwarz ausgeführte Inschrift „1560. || morit:“ entstehungszeitlich ist oder erst nachträglich aufgebracht wurde. Insgesamt zeichnen die Befunde ein uneinheitliches Bild. Obwohl die Bildträger einen gemeinsamen Entstehungszusammenhang suggerieren, weichen die Malweise und die verwendeten Farbmittel deutlich voneinander ab. Mit der Verwendung von Lindenholz, der Wahl des ungewöhnlich schmalen Bildformates und den Charakteristika der Malerei unterscheiden sich die Bildnisse dabei von den bis 1530 in der Cranach-Werkstatt entstandenen Luther-Bildnissen. Der zugrundeliegende Darstellungstypus des Melanchthon-Bildnisses legt eine Datierung beider Tafeln in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts nahe.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Eine dem vorliegenden Luther-Bildnis sehr ähnliche Fassung stand im Dorotheum, Wien, 6. Juni 1972, Los 28, zum Verkauf: „Lucas Cranach d. Ä. (zugeschrieben), Bildnis Martin Luthers, datiert 1529, Malerei auf Holz, 39 x 23 cm; Inschrift oben: ‚D.M.L.‘“.
[2] Vgl. dazu etwa das 1559 datierte Bildnis Lucas Cranachs d. J. aus dem Städel Museum Frankfurt ([DE_SMF_SG349]); vgl. hierzu auch Klingen 1996, S. 39.
[3] Auch andere Werke der Cranach-Werkstatt sind im Verhältnis von Höhe zu Breite etwas ausgeglichener: Die Tafeln entsprechen ungefähr dem Tafelformat B nach Heydenreich 2007a, S. 43, das mit 33,5–39 x 23,5–30 cm angegeben wird. Auffällig ist aber, dass es die maximale Ausdehnung dieser Formatgruppe in der Höhe übersteigt und in der Breite unterschreitet.
[4] Beim Luther-Bildnis verweisen mehrere, wiederholt auftretende und bis zu 1 mm breite Stege auf ein schartiges Eisen des verwendeten Schropphobels. Diese markanten Spuren sind beim Melanchthon-Pendant nicht nachweisbar, obwohl hier ebenfalls feine Stege auftreten, die aber deutlich schmaler und flacher sind. Feine, schräg parallel verlaufende Werkspuren finden sich an beiden Tafelrückseiten in den Randbereichen. Sie könnten von der vibrierenden Klinge eines leicht gewölbten Eisens (Ziehklinge) oder von einer Feile stammen und sind in ähnlicher Form auch an den Werken in Bretten (IV.M12) und Mailand (IV.M13) nachweisbar.
[5] Dies spricht für die Grundierung und Bemalung in einem Rahmen. Trotzdem sind Ritzlinien entlang der Bildkanten in der Grundierung nachweisbar, die die Malfläche markieren.
[6] Während die drei markanten Stirnfalten, die oft eine Doppelkontur aufweisende Kinnlinie sowie das durch einen „U“-Schwung angelegte Philtrum hier nicht angegeben zu sein scheinen, ist der Nasenrücken mit einem zusätzlichen Bogen an der Wurzel stark betont.
[7] Die Übereinstimmung der Gesichtskonturen in absoluter Größe sowie die schematische Ausführung der Unterzeichnung sprechen für die Verwendung einer Pause.
[8] Der Abgleich mit den Gesichtskonturen anderer Melanchthon-Bildnisse könnte auch hier Aufschluss darüber geben, ob sich das Bildnis von einer Vorlage übertragen oder frei „kopiert“ worden ist.
[9] Einschränkend ist der durch zahlreiche Retuschen verunklärte Zustand des Bildnisses zu erwähnen. Lasuren und malerische Feinheiten könnten zudem durch frühere Eingriffe reduziert sein.
Quellen / Publikationen:
Hosäus 1883, S. 51, Nr. 1589, S. 52, Nr. 1603; Hartmann 1913, S. 90, Nr. 1589, 1603; Klingen 1996, S. 37–39, Nr. 440 und 441; Weiß u. a. 2015, S. 120–121; Ausst.-Kat. Dessau 2015, S. 283.