I. Kunst- und quellenhistorischer Kontext
Das Bild zeigt Luther als sitzende Halbfigur in ein schwarzes Wams mit hohem Kragen gekleidet. Die rechte Hand ist gestikulierend erhoben, während die linke ein Schwert hält, dessen Heft und Knauf über der rechten Armbeuge sichtbar werden. Im Vergleich zum Leipziger Bild des “Junker Jörg” (II.M1) bietet das Weimarer Exemplar insgesamt einen größeren Bildausschnitt und zusätzlich ein Motiv der Inspiration, das im zum Himmel gerichteten Blick des Dargestellten und im Redegestus der erhobenen Rechten deutlich wird.
Fraglich ist vor allem die Reihung, in die alle „Junker Jörg”-Porträts in Malerei und Druckgraphik zueinander zu bringen sind. Historisch wurden sowohl das Weimarer Gemälde als auch das Leipziger Gemälde oder aber Cranachs Holzschnitt (II.D1) als Ursprung angenommen.[2] Plausibel erscheint zunächst die Annahme einer (nicht erhaltenen) Bildnisstudie Cranachs, der zeitlich nachgeordnet alle anderen Porträts folgen,[3] was Spielräume in der Datierung und Ausführung der verschiedenen Objekte zulässt.
Je nachdem wird auch die Deutung des vorliegenden Gemäldes ausfallen. Spätestens seit Schuchardts „Wiederentdeckung” des Gemäldes 1871 wird in der Forschung die Frage nach seinem historischen Zeugniswert kontrovers diskutiert. Das in dieser Diskussion deutlich werdende Interesse an Lucas Cranachs d. Ä. möglicherweise ältestem erhaltenen Gemälde Luthers verdankte sich nicht zuletzt der 1850 erfolgten Erstedition von Matthias Ratzebergers um 1550 entstandener Luther-Biografie, nach der Justus Jonas während Luthers zwischenzeitlicher Rückkehr nach Wittenberg im Dezember 1521 bei Lucas Cranach d. Ä. scherzhaft ein Porträtgemälde Luthers Auftrag gegeben habe.[4] Vor diesem Hintergrund wurden in der Forschung sowohl das Weimarer als auch das Leipziger Luther-Bildnis als Porträts ‚nach dem Leben‘ interpretiert.[5] Abgesehen davon, dass der Quellenwert dieser anekdotischen Erzählung selbst höchst zweifelhaft ist, erscheint eine Verknüpfung dieser Episode entweder mit dem Weimarer oder mit dem Leipziger Gemälde keineswegs zwingend, denn die quellenmäßige Überlieferung zeigt deutlich, dass es neben den Darstellungen in Leipzig und Weimar ohnehin weitere gemalte „Junker Jörg“-Bildnisse gegeben hat: In einem Brief vom 26. April 1523 berichtet der Magdeburger Vogt Sebastian Langhans, dass er ein Brustbildnis Luthers mit Schwert, Bart und schwarzer Joppe konfisziert habe. Zudem berichtet Philipp Glüenspiess in einem Brief vom 15. Oktober 1522 von der Bestellung eines Luther-Bildnisses bei Cranach d. Ä., bei dem es sich ebenfalls um eine „Junker Jörg”-Darstellung gehandelt haben könnte.[6]
II. Kunsttechnologischer Befund
Der Bildträger besteht aus einer hochrechteckigen, astfreien Buchenholztafel mit nahezu stehenden Jahrringen. Aufgrund des Zerstörungsgrades ist jedoch eine dendrochronologische Datierung der Tafel mittels des jüngsten Jahrrings auch im Röntgenbild nicht möglich. Längsseitig ist der Falz jeweils erhalten, oben und unten ist die Tafel jedoch beschnitten. Wahrscheinlich wurde auch deren Rückseite geglättet: neben vier Schnittkerben, die eventuell von einem Spalteisen oder -beil stammen, sind keine der sonst bei Gemäldetafeln häufig anzutreffenden Hobelspuren erkennbar.[7] Heute zeigt die Rückseite sich überlappende, unzusammenhängende und unvollständige motivische Ritzspuren. Sie deuten auf die zeitweise Verwendung der Tafel als Unterlage für handwerkliche Arbeiten in anderem Zusammenhang hin. Am linken und rechten Tafelrand ist jeweils ein Grundiergrat der calciumhaltigen Grundierung erhalten.[8] Die Malerei wurde mit einem wässrigen, dunklen Medium und Pinsel relativ sparsam und formweisend unterzeichnet. Im Bereich der Hände sind die Linien deutlich breiter und kräftiger ausgeführt als am Kopf.[9] An Augen und Unterlippe sind Reste trocken aufgebrachter Übertragungslinien erahnbar. Am oberen Rand der Tafel deutet ein schmaler, waagerecht verlaufender Pinselduktus das Ende des Bildformats nach oben hin an. Aufgrund des nicht erhaltenen Grundiergrates zeugt dies von einem sehr knappen, späteren Beschnitt der Bildtafel. Am unteren Rand ist die Tafel etwas breiter beschnitten, das Ausmaß lässt sich jedoch schwer einschätzen.[10] Das bei Auflicht flach und platt wirkende schwarze Wams zeigt im Röntgenbild eine deutlich detailreichere, plastischere Modellierung.[11] Am unteren Bildrand ist der Ansatz seines rechten, nach vorn zeigenden Oberschenkels sichtbar. Der Dargestellte wird damit als sitzende Person erkennbar. Er trägt einen Bauchgurt und hält das ursprünglich deutlicher angelegte Schwert zwischen den angewinkelten Beinen. Auffällig ist außerdem eine fast grafische Linienführung als Andeutung von Falten, die sich beim Leipziger Gemälde (II.M1) in gleicher Weise zeigt. Die Pigmentanalyse belegt eine sparsame Verwendung von Farben.[12] Die Farbflächen sind grundsätzlich nebeneinander gesetzt und überlappen sich nur geringfügig, weshalb teilweise die Grundierung zwischen den Farbschichten sichtbar ist. Die Hände sind dabei so großzügig schablonenhaft von der Farbe des dunklen Wams ausgespart, dass die Konturlinien der Unterzeichnung nicht abgedeckt werden.[13] Weiterhin rahmt und kontrastiert der stark pastos ausgeführte, türkisgrüne Hintergrund mit deutlichem Pinselduktus die weich modellierte Malerei der Person.[14]
Der heutige visuelle Eindruck der Bildtafel ist mit Blick auf seine bewegte Geschichte und seinen Erhaltungszustand erstaunlich. Zunächst zeugen die Spuren auf der Rückseite von einer temporär zweckentfremdeten Verwendung der Tafel. Die durch Anobienbefall bedingte starke Degradation der Holztafel und deren aus heutiger Sicht unsachgemäße konservatorische Behandlung belegen eine weitere intensive Beanspruchung des Holzbildträgers. Eine ehemals flächige Übermalung und deren nachträgliche Entfernung verweisen schließlich auf die ebenso in Anspruch genommene und dadurch in ihrer Wirkung beeinträchtigte Malschicht. Von dieser Übermalung ist die Beschriftung „S. F. Xavier” in der unteren linken Ecke erhalten geblieben. Zahlreiche Retuschen vor allem im Hintergrund, die Reduzierung von Lasuren im Inkarnatbereich sowie Verseifungserscheinungen prägen das heutige Erscheinungsbild des „Junker Jörg”. Sie lassen es heute flacher und grafischer erscheinen, als es ursprünglich ausgeführt worden war.
III. Forschungsgeschichte
Das in der Forschung als Weimarer Bildnis Luthers als „Junker Jörg” firmierende Porträt ist erst seit dem frühen 19. Jahrhundert sicher in Weimar zu verorten. Im Inventar des Kunstkabinetts in der Großherzoglichen Bibliothek ist das Gemälde 1818 verzeichnet als „St. Franciscus Xaverius, Halbfigur auf Holz gemahlt, von Lucas Cranach“.[15] Diese Bezeichnung führte noch der Reiseführer von Adolf Schöll 1847 unter Zuschreibung an einen anonymen „deutschen Maler“.[16] Als „Luther, als Junker Jörg, mit kurzem Haar, Schnautz- und starken Kinnbart, den Degengriff haltend“ wurde es dann ab 1848 geführt.[17]
Die Identifikation als Bildnis des jesuitischen Heiligen Francisco de Xavier (1506–1552) reflektiert die rötlich-ockerfarbene Aufschrift in der linken unteren Ecke mit dieser Benennung, die Helga Hoffmann typographisch in das 17. oder 18. Jahrhundert datierte.[18] Die Schreibweise „S. F. Xavier“ ist sowohl in französischer als auch spanischer Literatur für Bildunterschriften des Dargestellten gebräuchlich.[19]
Abhängig davon, wann und wo genau die Inschrift aufgetragen wurde, muss sie nicht unbedingt als Unkenntnis gedeutet werden: Mit der Ikonographie des Heiligen im Gedächtnis könnte das Bildnis eine Überführung in einen jesuitischem Kontext erfahren und mit der nicht-barocken, wenig plastischen und hieratischen Darstellungsweise vielleicht sogar als besonders altertümliche und zeitnahe Darstellung des Heiligen gegolten haben.
Christian Schuchardt revidierte 1871 die alte Identifikationsfrage und begriff sich als Wiederentdecker einer originalen Benennung als „Junker Jörg”, auch mit Verweis auf die motivisch verwandten Druckgrafiken.[20] Einem größeren Publikum präsentierte die Weimarer Lutherausstellung 1883 das Gemälde zusammen mit dem komplementären Holzschnitt „bei der Rückkehr von der Wartburg nach Wittemberg gefertigt“.[21] Dieser gegenseitige Verweis und damit die Ableitung einer Datierung des Weimarer Gemäldes auf wahlweise 1521 oder 1522 begegnet bis heute.[22] Erst neuerdings wurde eine deutlich spätere Datierung auf mindestens nach 1537 oder sogar erst nach Luthers Tod angenommen und die ‚persona‘ Luthers als „Junker Jörg” vor allem als retrospektives Konstrukt begriffen. Diese Annahme kann nach der Entdeckung quellenmäßiger Überlieferungen zu zwischen 1522 und 1523 entstandenen „Junker Jörg”-Darstellungen als widerlegt gelten.[23]
Sebastian Dohe, Anne Levin, Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Die Tafel ist am oberen und unteren Tafelrand beschnitten.
[2] Vgl. die Bandbreite an Deutungen, indem Vogel 1918, S. 63 am Beginn das Leipziger Gemälde, dagegen das Weimarer als späte Replik deutet, Schade 1974, S. 52 dagegen die Grafiken nur als „Nebenprodukt“ des Weimarer Gemäldes deutet, für eine Dominanz der Grafiken plädieren dagegen wiederum Koepplin / Falk 1974, S. 98, und Warnke 1984, der die gemalten Porträts ganz ausklammert. Friedländer / Rosenberg 1932, S.54 und dies. 1979, S. 100, nehmen „eine nicht mehr erhaltene Bildnisstudie“ als Vorlage für das Leipziger und Weimarer Bildnis an. Vgl. auch Schuchardt 2015, S. 33, das Weimarer als „das erste gemalte Lutherbildnis“ interpretierend.
[3] Vgl. auch dazu die Einleitung zu Bildnisgruppe II.
[4] Vgl. Neudecker 1850, S. 56–57: „Also ließ auch D. Jonas Meister Lucas Malern holen, einen frembden Junckern abzumalen, Meister Lucas fragete Ihn, Ob er das Contrafait von Oel oder wasserfarben zurichten sollte, und Juncker Georgen antworten musste, ward er In disser unkentlichen Gestalt An der rede von Meister Lucas auch erkant, Legete darnach seinen habitum equestrem abe und verrichtet sein Ampt, Dardurch er des Carlstadts Unruhe stillete, und diejenigen, die er Irre gemacht hatte, wiederumb zu recht brachte.“ Zur neueren Debatte vgl. Kaufmann 2020, S. 66–67.
[5] Gegenläufig ist die Deutung, es gerade nicht als mimetisch, sondern als rhetorisch überhöhte Darstellung zu lesen, „eine bestimmte Situation und persönliche Haltung festhalten zu wollen“ (Wolfgang Holler, in: Ausst.-Kat. Weimar 2015, S. 83). Pointiert drehte Helga Hoffmann die Lesart um, indem sie „eher umgekehrt die Bildnisse als Voraussetzung für die Schilderung“ (Hoffmann 1990, S. 25) deutete, in der zwei Studenten Luther als “Junker Jörg” begegnet sein wollen.
[6] Zur genaueren Einordnung und Diskussion dieser im Rahmen des KKL erschlossenen Quellen vgl. die Einleitung zu Bildnisgruppe II.
[7] Die glatte Rückseite der Leipziger Tafel zeigt ebenfalls kaum Hobelspuren und einen tiefen Kerbschnitt von einem Spalteisen oder -beil.
[8] Mittels RFA nachgewiesene Blei-Anteile könnten entweder auf einen Zusatz von Bleiweiß in der Grundierung, in einer pigmentierten Zwischenschicht oder einer Isolierschicht stammen. Auch beim Leipziger Gemälde (III.M1) wie auch an allen anderen im KKL-Projekt mittels RFA untersuchten Gemälden sind im RFA ganzflächig Bleianteile nachweisbar.
[9] Damit stellt sich die Unterzeichnung ähnlich dar wie beim Leipziger Gemälde (KKL II.M1).
[10] Im Röntgenbild ist gut erkennbar, dass der Pinsel, der die Form des Oberschenkels erzeugte, schwungvoll ausgeführt wurde, am Rand aber abrupt abbricht. Dies lässt die Vermutung zu, dass gut 1 cm Malfläche (zuzüglich eines eventuell ehemals vorhandenen Falzes) abgetrennt wurde.
[11] Diese Tatsache lässt sich sehr wahrscheinlich auf Verseifungserscheinungen des Bleiweiß-Pigments zurückführen. Es wird transparenter und verliert an Deckkraft.
[12] Vgl. dazu den kunsttechnologischen Untersuchungsbericht auf dieser Seite.
[13] Auch dieser Effekt wird durch Verseifungserscheinungen begünstigt.
[14] Der Hintergrundfarbton ist eine Ausmischung aus Pigmenten von Bleiweiß und Kupfergrün(?). Ob die ockerfarbene Lasur, die über diesem Farbton liegt und der optischen Erscheinung den warmen Gelbton verleiht, einen originalen Ursprung hat, lässt sich ohne Probenentnahme nicht eindeutig feststellen.
[15] Repertorium ueber das Grossherzogliche Kunstcabinet, 1818, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar, Sign. Loc A : 58, S. 63, https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/fullscreen/1764568702/75/LOG_0028/ (Zuletzt aufgerufen: 27.07.2021). Das Verzeichnis wurde 1818 von Christian August Vulpius aufgestellt und 1851 durch Christian Schuchardt revidiert.
[16] Schöll 1847, S. 167.
[17] Verzeichniss der im Kunst-Cabinet auf Grossherzogl. Bibliothek befindlichen Gegenstände, 1848–1853, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar, Sign. Loc A : 38, S. 372, Nr. 354, https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:32-1-10031223598 (Zuletzt aufgerufen: 26.07.2021).
[18] Vgl. Hoffmann 1990, S. 25. Die Identifikation ist plausibel mit Blick auf Darstellungen des Heiligen dieser Zeit. Vgl. z.B. Bartolemé Estebán Murillo, Hl. Franz Xaver, um 1670, Wadsworth Atheneum, Hartford (CT), Inv.-Nr. 1937.3; als Schulterstück in einer frühen Druckgraphik von Hieronymus Wierix, vor 1619, British Museum, London, Inv.-Nr. 1859,0709.3232.
[19] Vgl. z.B. die Bildunterschriften in: M.M.P., De la devotion de Saint François Xavier a Iesus-Christ crucifié, Paris 1679, zw. S. 52 und 53; Bernardo de Huarte, Tomo segundo de los annales del reyno de Navarra, Pamplona 1695, Frontispiz.
[20] Vgl. Schuchardt 1871, S. 184 und 202.
[21] Ausst.-Kat. Weimar 1883, S. 2, Nr. 11.
[22] Unverständlich ist vor diesem Hintergrund die – vermutlich versehentliche – Vordatierung vor den Reichstag zu Worms auf 1520 in den Ausst.-Kat. Weimar 1953, Nr. 20 und Ausst.-Kat. Weimar 1972, Nr. 19.
[23] Vgl. Kaufmann 2020, S. 46. Die These steht zudem im Widerspruch mit neuesten quellenkundlichen und kunsttechnologischen Befunden, die im Rahmen des KKL gesammelt werden konnten. Vgl. dazu die Einleitung zu Bildnisgruppe II sowie die Beiträge zu II.M1 und II.D1.
Quellen / Publikationen:
Schöll 1847, S. 167; Parthey 1863, S. 696, Nr. 314; Schuchardt 1871, S. 222, Nr. 88; Sallet 1883, S. 81; Ausst.-Kat. Weimar 1883, Nr. 11; Anonym 1884, Nr. 13; Anonym 1894, Nr. 16; Gabelentz-Linsingen 1910, S. 32; Anonym 1910, Nr. 139; Hermens 1913, Nr. 141; Vogel 1918, S. 63; Friedländer / Rosenberg 1932, Nr. 126; Ausst.-Kat. Berlin 1937, Nr. 45; Giesecke 1939, S. 21-25; Lilienfein 1942, S. 52; Ausst.-Kat. Weimar 1953, Nr. 20; Ruhmer 1963, S. 85; Ausst.-Kat. Weimar 1972, Nr. 19; Ullmann 1974; Schade 1974, S. 52; Friedländer / Rosenberg 1932, Nr. 149; Snyders 1985, S. 376-377; Hoffmann 1992, S. 25-27; Schuchardt 2004, S. 18; Heydenreich 2007a, S. 32; Ausst.-Kat. Weimar 2015, Nr. 50; Schuchardt 2016, S. 32-34, 37.