Innerhalb der Bildnisgruppe III, für welche die Hochzeit Luthers und Katharina von Boras am 13. Juni 1525 den Anlass bildete, zählt das vorliegende Porträt zusammen mit den Rundbildnissen (III.M1–III.M6) zu den frühesten datierten Exemplaren, unterscheidet sich von den Tondi aber durch das erheblich größere Format.
Das auf 1525 datierte Porträt bildet den Auftakt zu einer Reihe von Bildnissen gleichen Formats, die wie die früheren „Junker Jörg“-Bildnisse auf grünem Grund ausgeführt sind.[2] Weitere Exemplare befinden sich in Stockholm [SE_NMS_5016] (III.M8a) sowie in Privatbesitz ([PRIVATE_NONE-P015] (III.M9a), [PRIVATE_NONE-P407] (III.M10)) und sind auf 1526 datiert.[3] Zwei davon (III.M8a und III.M9a) sind als Doppelbildnisse mit einem von Bora-Pendant erhalten.[4] Daher ist zu vermuten, dass auch zum vorliegenden Bildnis ursprünglich ein Gegenstück existierte.[5] Im Unterschied zu den kleinen Ehediptychen (III.M11–III.M19) erlaubte das deutlich größere Format eine wesentlich differenziertere Ausarbeitung der Physiognomie Luthers.
Das Bristoler Bildnis wurde auf einem hochrechteckigen, astfreien Buchenholzbrett mit vertikaler Faserrichtung gemalt. Nach der dendrochronologischen Untersuchung stammt der jüngste Jahrring der Tafel aus dem Jahr 1523.[6] Bei einer Nutzung des gesamten Stammquerschnitts und einer Mindestlagerzeit des Holzes von zwei Jahren könnte das Gemälde ab 1525 entstanden sein.[7]
Mit einer Differenz von zwei Jahren zwischen dem jüngsten nachgewiesenen Jahrring und der Datierung der Tafel entspricht das Bristoler Bildnis An den Rändern der Tafel ist rückseitig umlaufend ein Falz erhalten, der auf die ursprüngliche Einpassung in einen Nutrahmen hindeutet. Damit zeigen sich Parallelen zu den beiden früher entstandenen „Junker Jörg“-Bildnissen II.M1 und II.M2, die ebenfalls umlaufend gefalzt sind. Beim 1526 datierten Stockholmer Exemplar ist die Tafel nicht gefalzt, vielmehr ist die Rückseite an den Rändern leicht abgefasst und zeigt damit eine Tafelbearbeitung, die sich bei den auf ab 1528 datierten im Format ähnlichen Ehebildnissen durchsetzte.[8]
Die Gesichtskonturen der vier Exemplare des vorliegenden Bildnistyps gleichen sich in der absoluten Größe bis auf geringste Abweichungen. Die im Vergleich mit den drei anderen Exemplaren schmaler wirkende Anlage des Kopfes ist auf den Verlust der ehemals dünn auf dem Hintergrund aufliegenden Haarlocken zurückzuführen.[9] Auffällig ist allerdings, dass nur beim Bristoler Exemplar keine Unterzeichnung nachweisbar ist.[10] Projiziert man die Umzeichnung des Kopfes auf die entsprechend skalierten, deutlich kleineren Rundbildnisse sowie die kleineren Varianten der Bildnisgruppe (III.M15–III.M19*), ergibt sich eine hohe Übereinstimmung bei den Gesichtskonturen (vgl. die Einleitung zu Bildnisgruppe III). Dies legt nahe, dass es eine Porträtstudie gab, nach der zeichnerische Vorlagen in unterschiedlichen Größen zur Vorbereitung der Gemälde gefertigt wurden.[11]
Die Provenienz des Bildnisses lässt sich nicht weiter als bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Es entstammt der Sammlung des 1897 verstorbenen Henry Pelham-Clinton, dem sechsten Duke of Newcastle, wurde von dessen Erben veräußert[12] und von A. H. Buttery erworben, der das Gemälde noch im selben Jahr F. P. M. Schiller verkaufte. Aus dem Erbe Schillers kam das Gemälde 1946 an das städtische Museum Bristol.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Vgl. Klein 22.06.2020.
[2] Nachweisbar bei III.M.7, III.M.8 und III.M9. Von III.M10 liegt nur eine Schwarzweißaufnahme vor, anhand derer die Farbigkeit des Hintergrundes nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann.
[3] Laut Dokumentation des Museums wurde bei einer Restaurierung 1939 die originale Jahreszahl freigelegt. Die ehemalige Übermalung zeigte die Jahreszahl „1526“.
[4] Nicht zu dieser Gruppe gehören die Tafeln aus Bundesbesitz im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, bei denen es sich um spätere Kopien handelt (siehe Anhang des KKL).
[5] Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch einzelne Bildnisse Luthers dieser Gruppe die Cranach-Werkstatt verlassen haben, so ist gerade bei den Werken, die im Jahr der Hochzeit oder dem Folgejahr auftreten, ein Pendant zu erwarten.
[6] Vgl. Klein 22.06.2020. Der jüngste nachweisbare Jahrring stammt aus dem Jahr 1523.
[7] Damit entspricht das Ergebnis den Befunden an weiteren Buchentafeln aus der Cranach-Werkstatt, wonach die bis 1525 entstandenen Gemälde eine Trocknungs- und Lagerdauer von 2–3 Jahren aufweisen. Der Durchschnitt aller dendrochronologisch ausgewerteten datierten Tafeln beträgt 4,5 Jahre. Vgl. dazu die Querauswertung der dendrochronologischen Befunde in Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[8] Aufgrund fehlenden Bildmaterials der Rückseiten der beiden Exemplare in Privatbesitz ist die Bildträgerbearbeitung dieser Werke nicht beurteilbar. Einzig die großformatigeren, aus mehreren Brettern bestehenden Bildnisse wurden auch nach 1528 gefalzt (nachgewiesen bei IV.M20a, IV.M20b, IV.M24a und IV.M24b).
[9] Solche „Verputzungen“ sind häufig auftretende Folgen von Reinigungsmaßnahmen oder Firnisabnahmen, insbesondere bei sehr dünnen, braunen Farbschichten und Lasuren.
[10] Beim Stockholmer Exemplar dagegen sind die ausführlich und sorgfältig auf den Malgrund übertragenen Gesichtskonturen im Infrarot, aber auch mit bloßem Auge deutlich sichtbar. Sollte das Bristoler Exemplar ebenfalls unterzeichnet sein, so muss dafür ein anderes, mittels Infrarotreflektografie nicht darstellbares Farbmittel verwendet worden sein.
[11] Auffällig ist, dass die großformatigen Exemplare eine geringere Übereinstimmung der Gesichtskonturen mit der kleinformatigen Untergruppe der mit z-förmiger „2“ datierten Werke zeigen.
[12] Vgl. Aukt-Kat. London 1939, Los 12.
Quellen / Publikationen:
Aukt.-Kat. London 1939, Los 12; Bristol 1957, S. 99; Levey / White 1961, S. 487; Koepplin / Falk 1974, S. 296; Wright 1976, S. 44; Ausst.-Kat. London 1977, Nr. 113; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007, Nr. 40; Ausst.-Kat. Tokyo 2016, Nr. 82.