Bei den im folgenden gemeinsam behandelten Werken handelt es sich um Rundbildnisse Martin Luthers und Katharina von Boras, die, nach den jüngsten Untersuchungsergebnissen zu urteilen, sehr wahrscheinlich ursprünglich Gegenstücke bildeten und sich heute in Berlin und Wittenberg befinden.[2] Luther, barhäuptig mit schwarzer Schaube und stehendem Kragen, richtet seinen Blick nach rechts, während Katharina von Bora, gewandet in ein schwarzes Kleid über weißem Leibhemd, die Betrachtenden anblickt.
Die Bildnisse sind auf jeweils etwa 4 mm starke Buchenholztäfelchen mit horizontalem Faserverlauf gemalt. Das Brett des Luther-Tondos stammt aus demselben Stamm wie III.M4 und neun weitere Gemälde aus der Werkstatt.[3] Der jüngste Jahrring dieses Stammes wird in das Jahr 1522 datiert. Bei einer Nutzung des gesamten Stammquerschnitts und einer Mindestlagerzeit von zwei Jahren könnte das Gemälde im Jahr der Hochzeit selbst, also 1525, entstanden sein.[4]
Die heute völlig identischen Maße der beiden Tafeln entsprechen nicht dem Originalzustand.[5] Nimmt man eine Rahmung wie bei den Baseler Exemplaren an, dürften umlaufend etwa 2,5 cm des Tafelrandes entfernt worden sein.[6] Außerdem ist eine weitere geringfügige Angleichung der Tafeln in jüngerer Zeit anzunehmen.[7]
Die Annahme, das Luther-Bildnis sei über einer vollflächigen Kaschierung aus Papier oder Pergament ausgeführt,[8] konnte durch die jüngste Untersuchung nicht bestätigt werden.[9] Die Malerei ist auf einer weißen Grundierung ausgeführt. Eine Unterzeichnung ist auf beiden Tondi weder mit bloßem Auge noch im Infrarotreflektogramm erkennbar.[10] Aufgrund der großen Übereinstimmung der Gesichtskonturen in Form und Größe sowohl mit den anderen Rundbildnissen[11] als auch mit einigen hochrechteckigen Kleinformaten[12] ist die Verwendung einer Pause zur Übertragung der Konturen und Gesichtszüge anzunehmen (vgl. Einleitung zu Bildnisgruppe III).
Beide Rückseiten tragen je eine mit einem Geißfuß in gleicher Größe und Ausführung eingeschnittene Ziffer „5“, deren Schreibweise an das 16. Jahrhundert erinnert.[13] Wie die mikroskopische Untersuchung zeigt, sind die Ziffern zeitlich vor dem Auftrag des dunklen Rückseitenanstrichs ausgeführt worden, den beide Tafeln aufweisen.[14] Aufgrund des Rückseitenbefunds dürften beide Tafeln ursprünglich Pendants gebildet haben.
Die Provenienz der beiden Tafeln lässt sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Luther-Tondo entstammt der Sammlung des Halberstädter Oberdompredigers Dr. Christian Friedrich Bernhard Augustin, dessen Sammlung den Grundstock des heutigen Lutherhauses bildete. Die Bora-Tafel dagegen wurde zusammen mit der bedeutenden Sammlung des britischen Kaufmanns Edvard Solly 1820 vom preußischen Staat für die künftige Berliner Gemäldegalerie erworben.[15] Das Wittenberger Luther-Bildnis wurde während des Zweiten Weltkriegs zum Schutz vor Bombenangriffen ausgelagert und galt danach als verloren, bis es 1950 der Gemäldegalerie Berlin (West) zum Kauf angeboten wurde. Fortan waren beide Bildnisse in Berlin vereint, bis 1988 im Zuge des deutsch-deutschen Kulturabkommens eine Rückführung an das Lutherhaus erfolgte.[16] Vergleichbare Spuren der Befestigung an den Tafelrückseiten zeugen von dieser temporären Zusammenführung.[17]
Beide Tafeln sind jeweils mit einem als entstehungszeitlich zu bewertenden Schlangensignet bezeichnet, das Luther-Bildnis ist zudem mit 1525 datiert.[18]
Da auf dem Luther-Tondo die Ziffer „2“ der Jahreszahl „1525“ als „Z“ ausgeformt ist, wie es bei anderen qualitativ herausragenden Werken Cranachs d. Ä. zu beobachten ist, die Modellierung der Inkarnate hingegen im Vergleich mit den Fassungen in Basel (III.M1) und Lübeck (III.M4) die dort so souverän gesetzten abschließenden Farbakzente vermissen lässt, wird für dieses Bildnispaar eine Zuschreibung an Lucas Cranach d. Ä. und Werkstatt erwogen.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Vgl. Klein 30.11.2020c.
[2] Diese Vermutung bereits bei Kabus 1989, S. 33.
[3] Siehe dazu die Querauswertung der dendrochronologischen Befunde in Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[4] Vgl. Klein (wie Anm. 1).
[5] Das einzige im ursprünglichen Tafelformat erhaltene Exemplar (Kunstmuseum Basel, III.M2a) weicht mit seinem größeren Bildausschnitt zwar von den übrigen Exemplaren ab. Da mit der Änderung des Ausschnitts aber auch eine entsprechende Verkleinerung der Darstellung einherging und zudem die bemalte Fläche bei allen Tondi etwa denselben Durchmesser aufweist, dürften die anderen Tafeln (III.M2–III.M6) ursprünglich ähnliche Abmessungen aufgewiesen haben.
[6] Bis auf wenige Ausnahmen wurde bei den erhaltenen Exemplaren der Rundbildnisse, aber auch der rechteckigen Kleinformate dieses Bildnistyps, das Tafelmaß nachträglich bis zur Malfläche reduziert.
[7] Beide Tafeln zeigen abschnittsweise Schnittspuren an den Tafelkanten, die beim Bildnis der Katharina von Bora den hellbraunen Rückseitenanstrich beschneiden, also frühestens nach dessen Auftrag erfolgt sein können.
[8] So etwa bei Joestel 2008, S. 97; vgl. dazu auch den Restaurierungsbericht von Ateliergemeinschaft Reschke / Beck 07.01.2001.
[9] Die auf einer weißen Grundierung ausgeführte Malerei weist zwar ein sehr spezifisches Schadensbild von an den Rändern aufstehenden Malschichtsprüngen auf, deren Verlauf ungewöhnlich erscheint und darunter befindliche Risse eines Papiers oder Pergaments vermuten lassen. Dieses Schadensphänomen dürfte jedoch auf einen anderen Umstand zurückzuführen sein. So ließ sich durch eine µCT-Messung (Mikro-Computertomographie) feststellen, dass die aufstehende Malschicht exakt oberhalb von Holzschädlingsfraßgängen verläuft, welche die Grundierung samt Farbschichten nach oben gedrückt haben. Eine Zwischenlage, die Holz und Grundierung trennt, konnte dagegen nicht nachgewiesen werden.
[10] Dies entspricht den Beobachtungen an den anderen Rundbildnissen.
[11] Einzig das Basler Exemplar (III.M1) weist eine kleinere Darstellung auf.
[12] Vgl. III.M15a–III.M19a. Die anderen Bildnisse dieser Serie (III.M11a–III.M14a) weisen etwas vergrößerte Köpfe auf, dürften also nicht mit Hilfe derselben Pause hergestellt worden sein. Vgl. dazu auch die Einleitung zu Bildnisgruppe III.
[13] Unter den erhaltenen Doppelbildnissen ist dieser Befund, die Zugehörigkeit der beiden Pendants zu markieren, jedoch unikal.
[14] Der dunkle Rückseitenanstrich lässt sich beim Luther-Tondo noch heute nachvollziehen. Der hellbraune Anstrich der von Bora-Tafel entspricht einem in der Gemäldegalerie Berlin um 1830 üblichen „Galerie-Anstrich“ (freundliche Mitteilung von Babette Hartwieg, 25.11.2019) und dürfte somit nach dem Eingang in die Sammlung 1821 erfolgt sein. Darunter ist der ältere dunkle Anstrich jedoch weiterhin nachweisbar und liegt ebenfalls über der eingeschnittenen Ziffer.
[15] Vgl. etwa Ausst.-Kat. Bremen 2009, Nr. 1.
[16] Vgl. Kabus 1989, S. 33, sowie Joestel 2008, S. 97.
[17] Mehrere Kerben, die von Nägelchen oder Stiften stammen dürften, finden sich in vergleichbaren Positionen an beiden Tafeln. Auffällig ist eine durch den gesamten Bildträger hindurch reichende Kittung von etwa 4 mm Durchmesser am oberen Rand des Luther-Bildnisses, die beim Baseler Exemplar (III.M1) eine Entsprechung findet.
[18] Während die Mehrzahl der Doppelbildnisse aus der Cranach-Werkstatt nur auf einer Tafel signiert und datiert ist, existieren auch Bildnispaare, die Signaturen auf beiden Tafeln aufweisen. Dazu gehören die Exemplare in Schwerin (III.M17), die Tondi in der Morgan Library (III.M3) sowie die Tafeln in englischem Privatbesitz (III.M16). Auf beiden Tafeln signiert ist auch das prominente Doppelbildnis von Johann Friedrich von Sachsen und Sibylle von Cleve, welches anlässlich der Verlobung im Jahr 1526 entstand.
Quellen / Publikationen:
Zu III.M2a: Flechsig 1900b, Nr. 84; Jordan 1920, S. 6; Jordan 1924, S. 6, 29, 65; Friedländer / Rosenberg 1932, Nr. 160E; Thulin 1956, S. 66, 69, 70; Thulin 1967, S. 69, 70; Friedländer / Rosenberg 1979, S. 108; Nr. 189B; Kabus 1986, S. 5; Stiegler 1988, S. 9–12; Kabus 1989, S. 32-34; Hennen 1992, S. 232, 233; Ausst.-Kat. Wittenberg 1999, S. 52–53; Schwarz-Hermanns 2007, S. 122; Joestel 2008, S. 97.
Zu III.M2b: Waagen 1830, S. 153, Nr. 100; Muther 1889, S. 169, 170; Flechsig 1900b, S. 258; Ausst.-Kat. Berlin 1929, S. 261; Kunze 1931, Nr. 637; Friedländer / Rosenberg 1932, Nr. 160; Ausst.-Kat. Berlin 1929, S. 23, Nr. 40; Lüdecke 1953, S. 135; Schade 1973, Nr. 91; Friedländer / Rosenberg 1979, S. 108, Nr. 190A; Ausst.-Kat. Berlin 1983a, S. 320, Nr. E 36; Geismeier 1986, S. 63–64; Michaelis 1989, S. 22; Grosshans / Bock 1996, S. 34; Ausst.-Kat. Wittenberg 1999, S. 52–56; Schwarz-Hermanns 2007, S. 122; Ausst.-Kat. Bremen 2009, S. 34, Nr. 1; Müller 2010, S. 58; Ausst.-Kat. Eisenach 2015, S. 58; Schuchardt (in Ausst.-Kat. Eisenach 2015), S. 38, 40.