Die im September 1928 von Ludwig Roselius erworbenen und im heute nach ihm benannten Museum in Bremen aufbewahrten Tafeln stellen typische Beispiele der Bildnisgruppe IV dar, für deren spätere Vertreter ab 1529 die Darstellung der Katharina von Bora mit Fellkragen und Haarnetz charakteristisch ist. Das Luther-Bildnis zeigt den Reformator mit schwarzer Schaube und Kopfbedeckung; das Schlangensignet und die Jahreszahl „1529“ in schwarzer Farbe am linken Bildrand über Luthers Schulter entsprechen ebenso dem gängigen Schema wie die Inschriften der beiden Bildnisse, die hier um die Namen der Dargestellten bzw. deren Kürzel erweitert sind.[1]
Beide Bildnisse sind auf jeweils einem hochrechteckigen, astfreien Buchenholzbrett mit vertikalem Faserverlauf ausgeführt. Die dendrochronologische Untersuchung weist beide Tafeln einem Baumstamm zu, dessen jüngster nachgewiesener Jahrring aus dem Jahr 1524 stammt.[2] Bei einer Nutzung des gesamten Stammquerschnitts sowie einer Mindestlagerungszeit des Holzes von zwei Jahren[3] könnte das Doppelbildnis ab 1526 entstanden sein. Aus demselben Stamm wurden 26 weitere Tafeln gefertigt, darunter die Bildnisse aus Wittenberg (IV.M5), Darmstadt (IV.M6a), Gotha (IV.M11b), Grunewald (IV.M15, Oldenburg (IV.M22), Augsburg (IV.M24a und IV.M24b) sowie eines aus Privatbesitz (IV.M23), die jedoch eine andere Tafelbearbeitung zeigen.[4] Im Unterschied zur Mehrzahl der Exemplare aus Bildnisgruppe IV sind die Bremer Tafeln einheitlich dünn gehalten[5] und rückseitig sehr sorgfältig geglättet.[6] Der Auftrag der fein verstrichenen weißen Grundierung endet wie bei vielen weiteren Gemälden der Gruppe in unregelmäßigen Abständen wenige Millimeter vor den Tafelrändern.[7] Die Unterzeichnung weist in ihren wesentlichen Charakteristika auf die Verwendung einer Pause zur Übertragung der Gesichtszüge hin, deren Gebrauch für weitere Exemplare dieser Bildnisgruppe nachweisbar ist (vgl. die Einleitung zu Bildnisgruppe IV).[8] Die bemerkenswerte Gleichförmigkeit in der Ausführung bei mehreren Exemplaren[9] dieser Bildnisgruppe spiegelt sich auch im Farbauftrag, der nicht nur einem einheitlichen technischen Aufbau folgt, sondern selbst marginale Details wie die Anzahl von Wimpern wiederholt.[10] Einzig der Kragenverschluss von Luthers Schaube ist unterschiedlich ausgeführt; die vorliegende Version formuliert einen einteiligen Verschluss, bestehend aus einem dreieckigen Knebel am Kragenaufschlag.[11]
Die Luther-Tafel weist rückseitig ein appliziertes Schriftstück aus Papier oder Pergament auf, welches mit schwarzer Tinte beschriftet ist: „Gleich wie zu zeiten deß Königs JOSIAE das Gesetzbuch || [wi]derfunden: Also ist auch zu Zeiten HERTZOG JOHANN || [FRI]DERICHEN durch Herrn D. MARTINUM LUTHE = || REM die HEiliGE [Schrift?] widerumb an Tag kommen. || ANNO MDCXIIII.“ Das Blatt trägt an der unteren rechten Ecke die Reste eines runden Wachssiegels, von dem nur das linke obere Viertel erhalten ist, das ursprünglich ein Doppel- oder Allianzwappen gezeigt zu haben scheint. Von dem linken der beiden Wappen sind nur Reste eines steigenden Löwen sowie, seitlich der Helmzier, die Buchstaben „M“ und „B“ sichtbar geblieben.
Bildträger, Charakteristik der Unterzeichnung sowie der Farbaufbau weisen die beiden vorliegenden Tafeln als typische Werke der Cranach-Werkstatt aus, die für die serienmäßige Produktion der Luther-Bildnisse geeignete Praktiken entwickelte.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Der Wahlspruch Luthers „IN SILENCIO ET SPE ERIT FORTITVDO VESTRA“ entstammt Jesaja 30,15 und wird bei Luther übersetzt als „Durch stille sein und hoffen würdet ir starck sein.“ (WAB 11/1, S. 96). Beim Bildnis Katharina von Boras heißt es: „SALVABITVR PER FILIORUM GENERACIONEM“ (1. Tim. 2,15) in der Übersetzung Luthers: „Sie wirt aber selig werden durch kinder geperen“ (WAB 7, S. 262). Vgl. zu den Inschriften auch den Text zu Bildnisgruppe IV.
[2] Vgl. Klein 14.05.1992a.
[3] Ebd.
[4] Vgl. die dendrochronologische Querauswertung in Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[5] Die Brettstärke beträgt 0,5 cm.
[6] Elf von dreizehn untersuchten Werken der Bildnisgruppe IV weisen eine Brettstärke von mittig ca. 1–1,3 cm auf, sind mit einem Schropphobel nur grob geglättet und mit einem dunklen Rückseitenanstrich versehen.
[7] Möglicherweise wurde zum Grundieren ein temporärer Hilfsrahmen verwendet, der den vollflächigen Grundierungsauftrag zwar verhinderte, aber das unregelmäßige Eindringen des flüssigen Grundes unter die Rahmenleisten ermöglichte, was das Fehlen eines Grundiergrates und die dünn auslaufenden, unregelmäßigen Randbereiche erklärt, vgl. dazu auch Heydenreich 2007b, S. 86–92.
[8] Sowohl die Außen- als auch die wesentlichen Binnenkonturen sind mit einem grau-schwarzen Farbmittel angegeben. Dabei scheinen die feinen Linien abschnittsweise von regelmäßig auftretenden, ca. 1–1,5 mm langen anschwellenden Sequenzen überlagert zu werden, wodurch ein gestrichelt wirkendes Erscheinungsbild entsteht. Im Kinnbereich zeigt sich zudem eine kurze Dopplung der Linien. Beide Merkmale treten bei mehreren Exemplaren (IV.M2–IV.M4, IV.M12, IV.M14, IV.M15) der Bildnisgruppe auf und deuten auf die Verwendung einer Pause hin.
[9] Vgl. IV.M11–IV.M14.
[10] Vgl. dazu die Einleitung und Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[11] Im Gegensatz dazu gibt es Werke mit einer korrespondierenden Schlaufe als Gegenstück und einzelne Exemplare ohne Verschluss, vgl. dazu auch Hänsch / Ottweiler 2022.
Quellen / Publikationen:
Friedländer / Rosenberg 1932, Nr. 251B; Friedländer / Rosenberg 1979, Nr. 312–313C; Klein 1994, S. 199–200; Stamm 2003, S. 69–75; Ausst.-Kat. Bremen 2009, Nr. 6 und 7.