Unter den zahlreich erhaltenen Bildnissen Martin Luthers erscheint die Darstellung in Verbindung mit Johann Friedrich I. von Sachsen als Unikum, treten doch im Medium der Malerei sonst ausschließlich die Bildnisse der Katharina von Bora oder des Philipp Melanchthon als Pendants zu Luther auf.[1] Die beiden Dargestellten sind einander zugewandt und vor einen blaugrauen Fond gesetzt. Das Luther-Bildnis folgt dem ab 1529 auftretenden Typus mit größerem Bildausschnitt und ineinander gelegten Händen, die sich gegen die schwarze Schaube absetzen. Dem Bildnistypus entsprechend trägt Luther ein schwarzes Barett auf lockigem Haupt, das Gesicht zeigt einen leichten Bartschatten. Sein Blick gilt ebenso den Betrachtenden wie derjenige Johann Friedrichs, welcher ein schwarzes Gewand über einem weißen Leibhemd mit Goldbrokat- und Perlenbesatz sowie eine dreireihige Kette um seinen Hals trägt. Den Zeigefinger seiner linken Hand ziert ein mit Edelstein besetzter Ring, das schwarze Barett ist mit einem Federbausch und einer Brosche geschmückt. Diese besteht aus einer grünblauen Gemme mit dem Motiv der Venus mit Amor als Honigdieb, das Cranach wenige Jahre zuvor als eigenständiges Sujet in seine Malerei eingeführt hatte.[2]
Die gemeinsame Provenienz der beiden Werke lässt sich bis in das Augsburger Bürgertum des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen. Das im Stadtarchiv Augsburg verwahrte „Inventarium des innerlichen Kirchenschmucks, Bücher und anderer Sachen bey St. Anna“ weist für das Jahr 1722 die beiden Tafeln als Stiftung eines „Jenisch ledig“ aus.[3] In seiner Stadtbeschreibung Augsburgs erwähnt Paul von Stetten 1788 ein Bildnis Luthers „unter [der Emporkirche], über den Sitzen der Ratsherren“ der Anna-Kirche, jedoch in Kombination mit einem Porträt Philipp Melanchthons,[4] das aber in einem Inventar des Jahres 1744 nicht nachweisbar ist, wahrscheinlich also erst nach diesem Jahr in die Kirche St. Anna gekommen ist.[5] Zu diesem Zeitpunkt scheint sich das Bildnis Johann Friedrichs außerhalb des öffentlich zugänglichen Bereichs befunden zu haben.
Beide Tafeln bestehen aus drei vertikal ausgerichteten, maximal 12 mm dicken Brettern mit auffällig roh belassenen Rückseiten, die deutliche Spuren von der Aufspaltung des Stammes sowie Züge eines Schropphobels zeigen.[6] Die Bretter sind mit stumpfem Stoß gefügt und durch Kaschierungen gesichert.[7] Das mittlere Brett des Luther-Bildnisses sowie die beiden seitlichen Bretter des Kurprinzen-Porträts stammen aus demselben Buchenstamm wie 39 weitere Bretter von insgesamt 26 Gemäldetafeln aus der Cranach-Werkstatt.[8] Der jüngste nachweisbare Jahrring unter diesen Brettern stammt aus dem Jahr 1524, der jüngste Jahrring des Luther-Bildnisses lässt sich auf 1527 datieren.[9] Bei einer Lagerungsdauer der Bretter von mindestens zwei Jahren kann das Kurprinzen-Bildnis ab 1526, sein Gegenstück ab 1529 entstanden sein. Ein umlaufender Falz gleicher Breite und Tiefe diente vermutlich dazu, die Tafeln in Nutrahmen einzufügen. Auch wenn sich die mit schwarzer Farbe aufgebrachte Jahreszahl 1529 der Luther-Tafel mit dem dendrochronologisch ermittelten, frühestmöglichen Entstehungsjahr deckt, handelt es sich sowohl bei der Jahreszahl als auch bei dem darunter angebrachten Schlangensignet in ihrer heutigen Ausführung um spätere Hinzufügungen.[10] Obwohl das Luther-Porträt in seiner Grundanlage den Bildnissen der Gruppe IV, im speziellen jenen mit deutlich größerem Bildausschnitt,[11] entspricht, zeigt es bemerkenswerte Abweichungen zu den übrigen Werken dieser Gruppe: Beide Tafeln sind deutlich größer ausgeführt als alle anderen Vertreter der Bildnisgruppe.[12]
Bermerkenswert ist zudem, dass die Hintergrundgestaltungen der beiden Tafeln voneinander abweichen. Der beim Bildnis Luthers gesetzte Schlagschatten des Kopfes auf den Hintergrund fehlt bei Johann Friedrich.[13] Auch die Farbe des Hintergrundes zeigt eine unterschiedliche Zusammensetzung: Wurden bei Luther Kupferblau und Bleiweiß mit dem geringen Zusatz eines roten Lacks ausgemischt, so kamen beim Bildnis Johann Friedrichs Pflanzenschwarz und Bleiweiß mit einem geringen Zusatz von rotbraunen Ockerpigmenten zum Einsatz.[14] Der Farbeindruck weicht dadurch wenig, aber merklich voneinander ab. Deutlich unterscheiden sich beide Varianten in Farbzusammensetzung und -wirkung von den zwischen 1528 und 1530 in der Cranach-Werkstatt entstandenen Luther-Bildnissen.[15] Diese Unterschiede heben die Bildnisse nicht nur deutlich von den anderen Exemplaren der Bildnisgruppe IV ab, sondern sie stellen auch die konzipierte Zusammengehörigkeit der beiden Gemäldetafeln als ein Bildnispaar infrage. Für eine solche These sprechen neben den identischen Formaten auch die einheitliche Bearbeitung der Buchenholztafeln sowie der sich kompositorisch ergänzende Bildaufbau. Luther sitzt höher im Bild, wodurch sich die durch seine schwarze Schaube gefüllte Fläche merklich vergrößert. Auch sein Barett ist voluminöser ausgeführt. Diese Abweichungen könnten aus der formalen Angleichung an das Pendant mit der breiteren Anlage des Oberkörpers und der auffälligen Kopfbedeckung Johann Friedrichs resultieren.
Insgesamt lassen die Befunde keinen sicheren Schluss darüber zu, ob bzw. wann die beiden Bildnisse als Paar gefertigt wurden.
Seit dem Tod seines Vaters Johann I. am 16. August 1532 initiierte der neue Kurfürst Johann Friedrich im Bestreben, seinen Kurfürstentitel gegenüber Reich und Kaiser zu legitimieren, eine wahre Bildnisoffensive. Diese umfasste neben dutzenden kleinformatigen Doppelbildnissen der Kurfürsten Friedrich III. und Johann I.[16] mehrere Werke, die Johann Friedrich in die Reihe seiner Amtsvorgänger setzte. Ein prominentes Beispiel ist etwa das ebenfalls um 1532 entstandene sogenannte „Kurfürstentriptychon“ der Hamburger Kunsthalle, in dem Mitteltafel und Flügel von je einem Kurfürsten besetzt werden. Johann Friedrich nimmt dabei den rechten Flügel ein und bildet das in Leserichtung nächste Glied einer Abfolge der Kurfürsten Friedrich (linker Flügel) und Johann (Mitteltafel).[17] Das vorliegende Bildnis entspricht dagegen der Darstellung Johann Friedrichs auf dem 1531 datierten Bildnis im Louvre[18], das den Ernestiner in prächtigem Gewand und Schmuck zeigt.[19] Eine Datierung in diesem Zeitraum erscheint daher zumindest für das Johann Friedrich naheliegend. Das Luther-Bildnis könnte dem dendrochronologischen Befund nach ab 1529 entstanden sein.
Wie die kunsttechnologischen Beobachtungen gezeigt haben, entstammen die beiden vorliegenden Bildnisse jedoch nicht der typischen Serienproduktion der Cranach-Werkstatt für die Jahre 1528 bis 1530, sondern stellen individuelle Ausarbeitungen dar, die – anders als die Werke der erwähnten Bildniskampagne Johann Friedrichs – nicht als Träger einer politischen Botschaft, sondern als Ausdruck einer persönlichen Verbundenheit angesehen werden müssen.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Sowie ab 1532 Bildnisse Philipp Melanchthons. Für Beispiele von Luther-Bora-Doppelbildnissen mit dem vorliegenden weiten Bildausschnitt vgl. IV.M22 und IV.M23.
[2] Das früheste, etwa um 1525 anzusetzende Beispiel für dieses Motiv findet sich in der National Gallery, London, vgl. [UK_NGL_6344]; ein Exemplar aus dem Staatlichen Museum Schwerin ist mit der Jahreszahl 1527 das früheste inschriftlich datierte Exemplar, das heute bekannt ist, vgl. [DE_SMS_G199].
[3] Verzeichnet ist die Schenkung aus dem Jahr 1722 im Bestand: Evangelisches Wesensarchiv, Akten 666, Specificationes […] der Malereien in St. Anna Zech gehörig, 1630–1800. Für ihre Hinweise sei Dr. Barbara Rajkay, Augsburg, herzlich gedankt. Wie Link 2013, S. 424, zeigt, muss es sich hierbei um Marx Abraham Jenisch (1677–1748) gehandelt haben, der einer angesehenen Augsburger Kaufmannsfamilie entstammte und der Neffe des Kunstsammlers, Mäzens und Augsburger Bürgermeisters Marx Anton Jenisch (1623–1674) war. Ihren heutigen Platz im Chor der St. Anna Kirche hatten die Bildnisse nicht immer: 1749 werden sie „zur rechten des bogens […] unter der oberen Empor Kirche“ verzeichnet (zitiert nach ebd., S. 427–428).
[4] Vgl. Stetten 1788, S. 162.
[5] Vgl. Ausst.-Kat. Augsburg 1997, Nr. 6.
[6] Der dunkle Rückseitenanstrich ist bei der Versäuberung insbesondere über den Brettfugen abgearbeitet worden. Sollten die Hobelspuren und die anschließenden Fugenkaschierungen entstehungszeitlich sein, spricht dies dafür, dass es sich bei dem dunklen Anstrich eher um einen Schutzanstrich der einzelnen Bretter während Transport oder Lagerung handelte als um einen Rückseitenanstrich der fertigen Gemäldetafeln. Es könnte auch auf eine längere Lagerzeit der Bretter hindeuten. Ein ähnliches Phänomen ist am Londoner „Junker Jörg“-Gemälde (II.M-Sup01) zu beobachten.
[7] Rückseitig sind die Fugen sichtbar mit Fasern verstärkt, die dem optischen Erscheinen nach Tiersehnen sein könnten. Vorderseitig verweist das in diesen Bereichen abweichende Krakelee-Bild darauf, dass die Kaschierung auch auf der Tafelvorderseite aufgebracht wurde (eine in der Cranach-Werkstatt gängige Praxis, vgl. dazu Heydenreich 2007b, S.72–73 sowie Heydenreich 2017, S. 258). Eine Verwendung von Tiersehnen als Kaschierungsmaterial ist auch bei IV.M-Sup01 nachgewiesen.
[8] Vgl. dazu die Querauswertung der dendrochronologischen Befunde in Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[9] Vgl. Klein (wie Anm. 1).
[10] Sowohl die Ausführung der Zahlen und des Schlangenkörpers als auch die Beschaffenheit der schwarzen Farbe weichen erheblich von den authentischen Cranach-Signets dieser Zeit ab. Zudem sind mit der Farbe ältere Malschichtsprünge und verputzte Partien im Hintergrund übermalt.
[11] Vgl. VI.M20–IV.M23.
[12] Sie sind etwa 20 cm höher und breiter als die Vergleichswerke IV.M20–IV.M23 mit durchschnittlichen Maßen von ca. 53 x 37 cm.
[13] Auf Grundlage der mikroskopischen Untersuchung der Tafel kann eine spätere Hinzufügung des Schlagschattens jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die nur beim Luther-Bildnisses auftretende Inschrift am oberen Bildrand entspricht nicht dem originalen Zustand, auch wenn sie dem gängigen Schema der Bildnisse dieses Typus’ folgt.
[14] Vgl. Hoblyn / Freysoldt 21.03.2021a und dies. 21.03.2021b.
[15] Bei allen untersuchten Bildnissen besteht die Hintergrundfarbe aus Kupferblau und Bleiweiß ohne Zusatz eines roten oder schwarzen Farblacks bzw. Pigments. Vgl. dazu die technologischen Untersuchungsberichte im Cranach Digital Archive sowie Ottweiler, Wibke: Kunsttechnologische Beobachtungen an den frühen Luther-Gemälden aus der Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (in Vorbereitung).
[16] Vgl. hierzu den Rechnungsbeleg Cranachs über „60 par tefflein, doruff gemalt sein die bede churf[urste]n selige vnd lobliche gedechtnus“ (Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Bb 4361, Bl. 44r, für Scan und Transkription vgl. [DE_ThHStAW_EGA_Reg-Bb_4361_44r].
[17] Weitere Beispiele für eine solche Verwendung im Germanischen Nationalmuseum ([DE_GNMN_Gm222c]) sowie, nur als Einzeltafel überliefert, in Enschede ([NL_RMTE_0021]). Vgl. zu diesem Themenkomplex Bierende 2006.
[18] Für dieses Bildnis, das ein deutlich geringeres Format aufweist, konnte dendrochronologisch eine Entstehung ab 1525 festgestellt werden, vgl. Klein 04.07.1997. Den Bezug zum Pariser Beispiel stellt auch Hahn 1997, Nr. 6 her.
[19] Diese Darstellung Johann Friedrichs mit Hut wird erst ab etwa 1535 wieder von der Cranach-Werkstatt aufgegriffen und in mehreren Versionen produziert.
Quellen / Publikationen:
Stadtarchiv Augsburg, Evangelisches Wesensarchiv, Akten 666, Specificationes […] der Malereien in St. Anna Zech gehörig, 1630–1800; Stetten 1788, S. 162; Ausst.-Kat. Augsburg 1997, Nr. 6 und 7; Link 2013, S. 424, 427–428, 429–430, 437, 440, 444.