Das vorliegende Bildnis nimmt eine Sonderstellung innerhalb der Bildnisgruppe IV ein, da es auf Pergament[1] ausgeführt ist, das heute auf eine Eichenholztafel aufgeklebt ist.[2] Damit steht es in Beziehung zum Bildnis „Luther als Augustinermönch” (I.6M1), welches ebenfalls auf ungrundiertes Pergament auf Holz gemalt wurde.[3] Erhaltene Porträtstudien auf Papier oder Pergament[4] belegen, dass in der Cranach-Werkstatt Bildnis-Vorlagen als Grundlage für die spätere Ausführung als Tafelgemälde existierten, die auch zur Herstellung von Pausen verwendet worden sein könnten, um mehrere Bildnisse in Serie anzufertigen.[5] Nachdem Pergament aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften schon früh als kaschierende Zwischenschicht geschätzt wurde, fand es als Malgrund insbesondere in der Porträtmalerei des 16. Jahrhunderts vielfache Verwendung.[6]
Auf dem ungrundierten Pergament sind die Gesichtskonturen mit schmalen grauschwarzen Linien umrissen, die im Infrarotreflektogramm nachweisbar sind. Der sparsame, kopierende Charakter der gleichmäßig dünnen Linien, die im Bereich des Kinns eine Überschneidung aufweisen,[7] spricht gegen eine Porträtstudie, die vor dem Modell aufgenommen und nachfolgend zum Bildnisgemälde ausgearbeitet wurde. Auch dafür, dass die zeichnerische Anlage auf dem Pergament als Pause für andere Bildnisse dieses Typs verwendet worden sein könnte, gibt es keine triftigen Hinweise.[8] Neben Luthers linkem Nasenflügel ist die ursprünglich breiter angelegte Kontur des unteren Nasenrückens zu erkennen, die in der ausgeführten Malerei nicht berücksichtigt wurde. Auffällig ist, dass die unterzeichneten Binnenkonturen des Gesichtes nahezu vollständig mit den auf grundierten Buchenholztafeln ausgeführten Exemplaren dieser Bildnisgruppe übereinstimmen,[9] die Außenkonturen von Schaube und Barett aber schmaler ausfallen als bei der Mehrzahl der Tafelgemälde. Einzig das auf 1528 datierte Exemplar aus Hannover (IV.M4) zeigt auch eine hohe Übereinstimmung im Verlauf der Schulterpartie. Dieses ist mit 23,5 cm Breite vergleichsweise schmaler als die anderen durchschnittlich 26 cm breiten Tafeln, was die Annahme stützt, dass die Form der Schulterpartie jeweils dem Format des Bildträgers angepasst worden sein dürfte.[10]
Unklar bleibt, ob das Bildnis ursprünglich als Tafelgemälde gefertigt oder erst später auf einen starren Träger aufgezogen wurde.[11] Da das Eichenholzbrett, auf dem das Bildnis heute appliziert ist, um 1600 datiert, wurde das bemalte Pergament frühestens im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts mit der heutigen Tafel verbunden.[12]
Das wohl kurz nach 1535 in eine Bibel eingeklebte Tüchlein V.M1 belegt, dass gemalte, dem Buchformat angepasste Luther-Bildnisse der Cranach-Werkstatt auch in anderen Zusammenhängen Verwendung fanden. Möglicherweise wurde für das vorliegende Bildnis ebenfalls ein kleineres Format gewählt, um es in ein Buch einkleben oder einbinden zu können. In Wasser- und Deckfarbenmalerei ausgeführte Arbeiten auf Pergament, die für Bücher Verwendung fanden, sind für die Cranach-Werkstatt belegt.[13]
Ungeachtet des ursprünglichen Verwendungszusammenhangs erscheint die malerische Ausführung hervorragend. Die Augen wurden besonders plastisch modelliert und Details wie einzelne Härchen, Falten und Reflexlichter in souveräner Manier umgesetzt. Auch die Schaube Luthers ist mit dem sich vom Gewand absetzenden Kragen samt zweiteiligem Mantelverschluss und plastisch ausgearbeiteten Falten deutlich ausmodelliert. Die mit gelber Farbe über Luthers linke Schulter gesetzte Werkstatt-Signatur ist in Form und Pinselführung besonders gekonnt umgesetzt.[14] Das nicht mit einer Jahreszahl datierte Bildnis dürfte in der Zeit um 1528 bis 1530 entstanden sein.
Nach langem Verbleib in unbekannten Privatsammlungen erschien das Werk, einem Nachfolger Lucas Cranachs d. J. zugeschrieben, in schlechtem Zustand und mit dunklen Übermalungen des Hintergrunds 2010 auf dem Kunstmarkt[15] und gelangte in deutschen Privatbesitz. Erst die Restaurierung im Vorfeld einer erneuten Verauktionierung im Folgejahr[16] brachte die Qualität und Beschaffenheit des Werks zu Tage. Nachdem es als Dauerleihgabe im Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in Lemgo ausgestellt war, ging es 2018 in russischen Privatbesitz über.
Daniel Görres, Wibke Ottweiler
[1] Das Schadensbild aus etlichen winzigen Malschichtausbrüchen und die darin sichtbare glasige, durchscheinend wirkende Oberfläche des Trägermaterials lassen annehmen, dass es sich dabei um Pergament handelt.
[2] Diese datiert der dendrochronologischen Untersuchung nach um das Jahr 1600, vgl. Klein, wie Anm. 1.
[3] Vgl. dazu den Katalogeintrag zu [DE_GNMN_Gm1570] (I.6M1).
[4] Vgl. Heydenreich 2007b, S. 261, für Beispiele aus der Cranach-Werkstatt etwa Rosenberg 1960, Nr. 71–92, bzw. Hofbauer 2010, Nr. 117–125, 210–221, 223–224, 226–228, darunter u. a. die Studie für das Bildnis des Hans Luthers, für die sich auch die Ausarbeitung in der Tafelmalerei erhalten hat [DE_WSE_M0070].
[5] Vgl. Heydenreich 2007b, S. 259, 301–302.
[6] Vgl. Heimberg 1998, S. 49–52; Ainsworth 1999, S. 251–260; Rief 2001/2002, S. 27–35; Metzger 2010; Strolz 2010, S. 34. Zur Verwendung von Pergament in der Cranach-Werkstatt Heydenreich 2007a, S. 255–259.
[7] Eine solche Doppelkontur ist ein Indiz für das Nachzeichnen von Linien einer Vorlage.
[8] Werner Schade mutmaßte dies 2010 in einem unveröffentlichten Gutachten und hielt das Bildnis für eine eigenständige Arbeit Lucas Cranachs d. Ä.
[9] Einzig der Nasenrücken ist im unteren Bereich flacher ausgeführt.
[10] Die hohe Übereinstimmung dieser Bildbereiche bei der überwiegenden Zahl der Tafelgemälde erscheint bei einer seriellen Fertigungspraxis der Exemplare durchaus auch ohne direktes Übertragen erreichbar.
[11] Das Schadensbild lässt vermuten, dass sich das bemalte Pergament längere Zeit nicht im Verbund mit einem starren Träger befand oder die Haftung zu diesem verlor. Weiterhin sprechen Nagellöcher in unregelmäßigen Abständen an den Kanten des Pergamentblattes dafür, dass der Bogen, möglicherweise aufgrund seiner fehlenden Haftung zum Träger, temporär auf einer Unterlage fixiert worden ist. Strolz 2010, S. 36, beobachtete ähnliche Nagelspuren am auf einem Pergamentblatt ausgeführten Bildnis eines jungen Mädchens von Hans Schäufelin.
[12] Nach der dendrochronologischen Analyse von Klein (wie Anm. 1) stammt der jüngste Kernholzjahrring des Brettes aus dem Jahr 1595. Unter Berücksichtigung des anzunehmenden zusätzlichen Splintholzanteils von im Median 17 Jahrringen und unter Voraussetzung einer mindestens zweijährigen Lagerung des Holzes, kann die Tafel ab 1604 entstanden sein. Plausibler erscheint eine Einordnung nach 1614. Die bei einer 2010 erfolgten Restaurierung dokumentierten großflächigen Malschichtverluste könnten die Übertragung auf einen neuen Träger veranlasst haben. Ob das Pergament zuvor bereits auf einer anderen Tafel aufgezogen war, lässt sich anhand des Schadensbildes nicht nachweisen. Das Pergamentblatt weist zudem an den Seitenkanten mehrere kleine Löcher in unregelmäßigen Abständen auf. Deren plastisch aufstehenden Ränder sprechen dafür, dass die Löcher von der Rückseite des Pergaments her eingestochen worden sind.
[13] Etwa die Illustrationen der Pergamentbibel Johann Friedrichs I. von Sachsen [DE_ThULBJ_Ms-El-f-102a] oder Johanns II. von Anhalt [DE_SBB_fol-9-Ir] sowie die Bildnisse im sogenannten Stammbuch Cranachs [DE_SMBKSK_KdZ398]; vgl. Heydenreich 2007b, S. 255.
[14] Eine bei allen übrigen Werken dieser Gruppe darüber gesetzte Jahreszahl lässt sich dagegen heute nicht mehr ausmachen. Direkt an die Signatur angrenzend ist die Malschicht großflächig verloren und die Fehlstellen retuschiert. Ein Foto des vormaligen Zustands dokumentiert das Ausmaß der Schäden. Es ist daher nicht mehr feststellbar, ob ursprünglich eine entsprechende Datierung vorhanden war.
[15] Vgl. Aukt.-Kat. Amsterdam 2010, Los 12.
[16] Vgl. Aukt.-Kat. London 2011, Los 35.
Quellen / Publikationen:
Aukt.-Kat. Amsterdam 2010, Los 12; Aukt.-Kat. London 2011, Los 35; Ausst.-Kat. Lemgo 2017, S. 41, Abb. 33.